Wie ein Arbeiter aus dem zerstörten Atomkraftwerk Fukushima sieht Andreas Kornath aus, er trägt Gasmaske, Teflon-Anzug, Handschuhe aus speziellem Kunststoff und Gummistiefel. Die Schutzmontur wirkt angsteinflößend, doch sie ist notwendig, wenn der Chemieprofessor mit Flusssäure in seinem Labor an der Münchener Uni hantiert.
Flusssäure, auch Fluorwasserstoff genannt, entsteht, wenn das klimaschonende, aber hochentzündliche Kältemittel HFO-1234yf verbrennt, das zukünftig in Auto-Klimaanlagen gefüllt wird. Das zeigen Gutachten des Bundesamts für Materialprüfung und Versuche der Deutschen Umwelthilfe. Flusssäure ist ein tückisches Gift: "Schon eine handtellergroße Benetzung der Haut kann tödlich enden, wenn man nicht innerhalb weniger Minuten Gegenmaßnahmen ergreift", erklärt Kornath.

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Kältemittel HFO-1234yf

HFO-1234yf

HFO-1234yf (2,3,3,3 Tetrafluorpropen) wird als Nachfolger des Kältemittels R134a in Auto-Klimaanlagen eingesetzt. Der Vorteil von HFO-1234yf: Es hat ein geringeres Treibhauspotenzial.

Global Warming Potential

Das Global Warming Potential (GWP) oder auch Treibhauspotenzial gibt an, wie stark ein Gas zum Treibhauseffekt beiträgt. Das GWP von R134a beträgt 1300, das von HFO-1234yf liegt bei 4. Seit Anfang 2011 dürfen in Neuwagen nur noch Kältemittel mit einem GWP kleiner als 150 eingesetzt werden.

Universität von Ohio

HFO-1234yf wurde 1946 an der Universität von Ohio erstmals synthetisiert. Die Einzelsubstanz galt bis vor wenigen Jahren wegen ihrer Reaktivität als ungeeignet für Pkw-Klimaanlagen.

Patente

Die meisten Patente für HFO-1234yf liegen bei den US-Chemiekonzernen Honeywell und Dupont, die zurzeit gemeinsam in China eine Fabrik errichten. Diese wird ab dem vierten Quartal 2012 große Mengen des neuen Kältemittels herstellen – gut ein Jahr später als ursprünglich geplant.

Alternativen

Mögliche Alternativen zu HFO-1234yf sind CO2 (R744), Propan (R290) und Butan (R600).
Für AUTO BILD führte der Chemiker ein Experiment durch, das die Wirkung von Flusssäure auf Hautgewebe zeigen soll. Ein Schweinekopf vom Schlachthof wurde begast, mit erschreckendem Ergebnis: Nach kurzem Einwirken von insgesamt zehn Gramm Fluorwasserstoffgas verfärbt sich die Haut innerhalb einer halben Stunde dunkelgrau, die Augen trüben sich milchig. "Die graue Verfärbung ist ein Zeichen dafür, dass die Flusssäure in die Haut eingedrungen ist und mit dem Gewebe reagiert", so Kornath. Hätte das Schwein noch gelebt, käme spätestens jetzt jede Hilfe zu spät. Sämtliche Versuchsergebnisse sprechen also eine deutliche Sprache: Die Verwendung von HFO-1234yf in Auto-Klimaanlagen ist gefährlich. Ursprünglich sahen das wohl auch die deutschen Autohersteller so, die sich 2007 gemeinsam dafür entschieden hatten, als Kältemittel zukünftig das ungefährliche und billige CO2 zu verwenden.

Zweifel an der Sicherheit

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Video: Killer-Kältemittel

Achtung, Lebensgefahr!

Bild: AUTO BILD
Dass reines HFO-1234yf sicher ist, glaubte bis vor wenigen Jahren nicht einmal sein Hersteller, der US-Chemiekonzern Honeywell. AUTO BILD liegt eine Präsentation vom Oktober 2006 vor, die ein Gemisch namens "Fluid H" vorstellt, bestehend aus HFO-1234yf und einem Feuerlöschmittel. Laut Honeywell erfüllte "keine Substanz allein alle Produktanforderungen". Das zielte auf die Brennbarkeit von HFO-1234yf ab, die durch Mischung mit dem Löschmittel beseitigt werden sollte. Eigentlich ein guter Plan, doch kurze Zeit später geriet das Feuerlöschmittel, eine Jodverbindung, unter Verdacht, am Ozonabbau in der Stratosphäre beteiligt zu sein. Im Jahr 2009 wurde deshalb seine Nutzung in der EU verboten – das Aus für Fluid H. Fortan propagierten Honeywell und sein Partner Dupont reines HFO-1234yf als idealen Ersatz für R134a. Die Brennbarkeit wird seitdem von Befürwortern heruntergespielt, sie sei vergleichbar mit der von R134a. Dem widerspricht Kornath: "Es ist fast unmöglich, R134a zu entzünden. Dafür brauchen Sie mindestens 1000 Grad, und die finden Sie außen am Motor nicht."Aber das eigentliche Problem sei nicht die Brennbarkeit oder Reaktionsfreudigkeit, so der Chemiker – denn im Auto seien wir es gewohnt, mit Gefahrstoffen wie Benzin, Bremsflüssigkeit oder Batteriesäure umzugehen: "Das Katastrophale ist die Flusssäure, die bei der Zersetzung von HFO-1234yf entsteht." Wenn Entflammbarkeit von Pkw-Kältemitteln aber kein Thema ist, dann kämen auch billige Kohlenwasserstoffe wie Propan in Frage. Sie werden in Australien seit Jahren erfolgreich als Ersatz für R134a verwendet und ohne vorherige Umrüstung in alte Anlagen eingefüllt. Geld ließe sich mit Propan allerdings kaum verdienen, der Kilopreis liegt unter einem Euro. Für HFO-1234yf muss der Kunde voraussichtlich 150 bis 200 Euro kalkulieren. Honeywell-Sprecherin Sabine Chmielewski begründete den hohen Preis gegenüber AUTO BILD mit den Kosten, die bei der Entwicklung von HFO-1234yf entstanden seien. Tatsächlich wurde die Substanz schon 1946 erstmals hergestellt. Entwicklungskosten gab es für Honeywell trotzdem: Der vor 65 Jahren beschriebene Syntheseprozess musste modifiziert werden – um überhaupt patentierbar zu sein.

Oben in der Bildergalerie: Die Wirkung von Flusssäure im Versuch

VW Touran des Umweltbundesamtes kühlt seit 2008 mit CO2
Mögliche Alternative zu HFO-1234yf: Die Klimaanlage dieses VW Touran des Umweltbundesamtes wird mit CO2 gekühlt.
Bild: Werk
Dass HFO-1234yf gegen alle Bedenken international als Kältemittel zugelassen wurde, ist nach Ansicht von Branchenexperten geschickter Lobbyarbeit und der Verflechtung von Chemie- und Autoindustrie geschuldet. Die Autohersteller kaufen bei Honeywell und Dupont schließlich nicht nur Kältemittel ein, sondern auch einen großen Teil ihrer Kunststoffe – und wollen das auch in Zukunft tun. So lässt sich erklären, dass der VDA 2009 seine Selbstverpflichtung für das Kältemittel CO2 zurücknahm und sich für eine teure, patentierte Risikochemikalie entschied. Offizielle Gründe: Die CO2-Klimaanlage koste pro Auto rund 100 Euro mehr, und man wolle eine nationale Insellösung vermeiden. Solche Insellösungen finden jetzt im kleinen Maßstab statt: Die Stadtwerke Jena lassen zukünftig ihre Busse mit CO2-Klimaanlagen ausrüsten. Der Anschaffungspreis für die CO2-Technik liege zwar höher, so ein Sprecher der Jenaer Nahverkehrsgesellschaft, jedoch amortisiere er sich nach wenigen Befüllungen. CO2 sei eben viel billiger als das teure HFO-1234yf.

Fazit

von

Frank Rosin
Die Entscheidung für HFO-1234yf haben die deutschen Autohersteller bereits getroffen – gegen alle Bedenken. Bleibt abzuwarten, ob sie ihre Rechnung ohne die Neuwagenkäufer gemacht haben. Viele werden Autos den Vorzug geben, deren Klimaanlage noch mit R134a kühlt. Denn das E10- Desaster zeigt uns: Der Verbraucher hat die Macht!

Von

Frank Rosin