Die Hits von gestern und heute

Mensch, was bist du erwachsen geworden! Diesen (nervigen) Spruch hört jedes Kind, wenn es nach längerer Zeit von Verwandten begrüßt wird. Ganz ähnlich ist es mit diesen Autos: Mercedes S 320 und VW Phaeton 3.2, BMW 320i und Mercedes C 180 K, VW und Peugeot 307 – sechs Autos aus drei Klassen. Die Paarungen stammen bewusst nicht von einer Marke, sie markieren die Spitzentechnik ihrer Klasse damals und heute.

Zwischen den beiden Vergleichs-Kandidaten liegen jeweils zehn Jahre. Dreier und Golf stammen von 1992 (der Benz von 1993), Phaeton, C-Klasse und 307 sind aktuelle Neuwagen und werfen in diesem Jahrgangsvergleich die Frage auf: Was ist besser geworden, was schlechter? Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Nicht nur im Automobilbau. In den vergangenen zehn Jahren verdreißigfachte sich die Rechenleistung von PCs. In zehn Jahren entfernen sich Amerika und Europa einen Meter voneinander. Und in zehn Jahren wächst ein Kind vom Neugeborenen zur stattlichen Größe von 1,40 bis 1,50 Metern heran.

Mensch, was bist du groß geworden! Das gilt aber auch für Autos. Bei den Paaren VW Golf und Peugeot 307 sowie BMW 320i und Mercedes C 180 K ist das jeweils jüngere Auto deutlich länger, breiter und höher. Dick und rund sind sie also geworden, unsere Kompakt- und Mittelklassemodelle. Nur bei dem Duo S 320 und Phaeton gilt das nicht ganz. Der Alte ist länger und höher, der Neue breiter und schwerer. Logisch: Zehn Jahre sind natürlich nicht spurlos an den Modellen vorübergegangen. Sie haben sich verändert. Weit mehr, als der äußere Eindruck verrät.

Den Fortschritt sieht man ihnen äußerlich nicht sofort an. Doch dafür kann man ihn messen. Vor allem die Verbrauchs- und Abgaswerte sind in der Regel besser geworden. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Bei gleichem Hubraum schluckt zum Beispiel der Phaeton mehr als die zehn Jahre alte S-Klasse. Der größte Entwicklungssprung steckt aber in der Sicherheit. Zwar gab es auch vor zehn Jahren schon Airbags und ABS, aber heute sind diese Sicherheitsmerkmale längst serienmäßig.

Junger Löwe trifft alten Wolf

Tapfer steht er da: ein blauer Zweitürer, Sondermodell New Orleans. Der Aufkleber an der C-Säule wirkt deplatziert. So war der Zeitgeist 1992, und der Golf war schon damals Deutschlands Bestseller. Heute dagegen wirkt er alt. Besonders drinnen. Der schwarze Kunststoff ist fantasielos. Auch sein einst gelobtes Platzangebot ist dem des Peugeot 307 deutlich unterlegen.

Rein technisch hat sich auf den ersten Blick aber wenig getan. Beide Autos haben 75 PS und das gleiche Höchsttempo. Der alte Golf hat sogar das bessere Drehmoment: 140 statt 120 Newtonmeter. Das spürt man auch auf der Straße. Er ist agiler. Sein Motor zieht kräftiger. Kein Fortschritt also? Doch! Der Peugeot 307 fährt erheblich leiser und komfortabler. Motor- und Windgeräusche dringen deutlicher in den VW-Innenraum. Das Thema Dämmung gehörte in den letzten Jahren offenbar zu den Schwerpunkten der Entwickler. Zu den jederzeit spürbaren Verbesserungen zählen auch Kupplung und Getriebe. Im VW ist das linke Pedal schwergängig, die Fünfgangschaltung knochig. Der Peugeot dagegen lässt sich spielerisch bedienen, alles funktioniert einfach und bequem.

Doch spätestens an der Tankstelle wird der Fortschritt sichtbar: Auf 100 Kilometer ist der 307 knapp einen Liter sparsamer als der Golf – das sind Welten. Dramatisch auch der Unterschied bei den Bremsen: fast drei Meter längerer Bremsweg beim Golf (41,9 Meter aus 100 km/h). Mit Trommeln an der Hinterachse kein Wunder. So trumpft der moderne 307 insgesamt bei der Sicherheit mächtig auf: ABS kostete im Golf rund 1000 Euro Aufpreis – heute ist es serienmäßig. Genauso wie Airbags für Fahrer, Beifahrer, an der Seite sowie für die Köpfe. Hätte man das Golf-Fahrern vor zehn Jahren erzählt ...

Alte Rasse gegen neue Klasse

Es geht ums Prinzip. Fortschritt per Kompressor? Oder Motornostalgie aus Bayern? Zur Sache: Hier stehen sich zwei erfolgreiche Mittelklasse-Limousinen gegenüber, denen ihr Altersunterschied nur äußerlich anzusehen ist. Sicher, der neue Benz glänzt mit der aktuellen Airbag- und Aufpralltechnik. Logisch, sein Styling entspricht dem Geschmack der Gegenwart. Klar, Platzangebot und Funktionalität lassen kaum Wünsche offen.

Doch beim Verbrauch gibt es keinen Fortschritt. Er ist bei beiden Modellen gleich. Das verblüfft. Denn gerade mit dem 143-PS-Kompressor-Motor versucht Mercedes-Benz die Leistungsausbeute zu verbessern und den Verbrauch zu senken. Das Duell gegen den alten BMW geht trotzdem verloren. Der 320i glänzt mit einem seidigen 150-PS-Reihenmotor und schön direkter Lenkung. Ein rüstiger Pensionär. Sieben PS hat er mehr als der Benz. Wo steckt da der Fortschritt?

Haben sich beide Autos in Bewegung gesetzt, wird die Frage noch berechtigter. Das ist fast wie Rollentausch: Der Alte wirkt irgendwie frischer. Beim BMW ist die Kraftentfaltung direkt und ruckfrei. In Sachen Fahrspaß kommt der Mercedes C 180 K nicht an den Dreier heran. Beim Mercedes nervt das adaptive Gaspedal mit indirektem Kontakt zum Motor. Bei Ampelstarts ruckt er unharmonisch von der Haltlinie. Das ist kein Fort-, das ist Rückschritt.

Mercedes setzt die Prioritäten anders: Der Motor ist kaum hörbar. Bei Vollgas dringt nur leises Vierzylinderbrummen und Kompressorsurren aus der Haube. Ebenso liegt der Mercedes beim Komfort vorn. Bravo, sein Fahrwerk ist dem des BMW haushoch überlegen. So wird der Fortschritt dann doch spürbar. Vor allem auf dem Konto: Während der Mercedes bis 2005 von der Steuer befreit ist, zahlt der BMW-Lenker 217 Euro pro Jahr.

Schwere Jungs unter sich

Das gibt es doch nicht! Gleicher Hubraum, gleiches Drehmoment, fast gleiche Leistung – und trotzdem verbraucht der dicke Mercedes eine Schnapsflasche weniger Super auf 100 Kilometer als der neun Jahre jüngere VW. Unglaublich! Als der W 140 auf den Markt kam, war die Autowelt begeistert. Und entsetzt: Der Top-Benz war gut, aber (zu) schwer und verbrauchte (zu) viel. Und heute? Der VW Phaeton 3.2 ist noch schwerer und verbraucht noch mehr. Eigentlich ein Skandal. Dafür ist er aber auch noch viel besser.

Sein Verbrauchsnachteil wird quasi (über)kompensiert. Phaeton wie S-Klasse verfügen über Doppelverglasung. Doch ruhiger ist der Wolfsburger. Hauptgrund dafür ist seine strömungsgünstigere Karosserie. Die ermöglicht ihm auch eine höhere Endgeschwindigkeit. Selbst bei 245 km/h liegt der VW satt und ruhig auf der Bahn.

Anders der Mercedes: Er müht sich angestrengt über die 200-km/h-Marke und ist lange nicht so souverän. Das Auto ist – besonders bei Seitenwind – unruhiger. Ständig muss der Fahrer korrigieren. Bei der Leistungsentfaltung sind die Unterschiede gravierend.

Überlegen schöpft der VW-V6 Kraft aus dem Drehzahlkeller. Für rasches Fortkommen will der S-Klasse-Reihenmotor viel höher gedreht werden. In der Stadt rollt er zwar komfortabel, aber auch hier offenbaren sich Nachteile: Seine Lenkung ist weniger zielgenau, die Karosserie wankt mehr, beim Bremsen taucht der Bug tief ab und wippt lästig nach. Alles Marotten, die der Phaeton nicht kennt.

Überdeutlich wird der Entwicklungssprung im Interieur. Hier markiert heute VW den Maßstab. Material und Verarbeitung: makellos. Und das ist die größte Überraschung: Was früher Mercedes war, kommt heute aus Wolfsburg.