Autofahrer, die Zweifel an einem Blitzerurteil hegen, haben das Recht, auch die Rohmessdaten des Radargeräts zu kontrollieren. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem am 15. Dezember 2020 veröffentlichten Urteil (Az.: 2 BvR 1616/18) entschieden. Ansonsten sei das Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Ein Betroffener hatte auf Zugang zu Informationen geklagt, die nicht Teil seiner Ermittlungsakte waren. Er war 2017 außerorts 30 km/h zu schnell gefahren und anschließend zu 160 Euro Bußgeld und einem Monat Fahrverbot (zum Ratgeber Führerschein) verdonnert worden. Nun gaben die Karlsruher Richterinnen und Richter der Verfassungsbeschwerde statt und stärkten damit grundsätzlich die Rechte von Autofahrern (so funktioniert das Flensburger Punktesystem).

Klage vor zwei Gerichten erfolglos

Der Mann und sein Anwalt hatten von der Bußgeldstelle zwar Einsicht ins Messprotokoll, das Messergebnis, den Eichschein und auch die Bedienungsanleitung des eingesetzten Messgerätes bekommen, nicht aber in dessen Lebensakte und die zugrundeliegenden Rohmessdaten. Eine Klage vor dem Amtsgericht im fränkischen Hersbruck war erfolglos. Begründung: Bei der Geschwindigkeitsmessung handele es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Das Gerät sei geeicht gewesen und durch geschultes Personal entsprechend den Vorgaben des Herstellers eingesetzt worden. Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg verwarf danach eine eingelegte Rechtsbeschwerde. Das BVerfG hob die bisherigen Entscheidungen mit dem Beschluss vom 12. November auf und verwies den Fall zurück an das Amtsgericht Hersbruck.

Konkrete Anhaltspunkte sind nötig

Das BVerfG bestätigte zwar, dass Bußgeldverfahren wegen massenhafter Verkehrsverstöße vereinfacht sein müssen und nicht jedes Mal "anlasslos die technische Richtigkeit einer Messung jeweils neu überprüft werden muss". Doch dürften Betroffene Informationen außerhalb ihrer Akte grundsätzlich überprüfen. Bei konkreten Anhaltspunkten auf ein fehlerhaftes Messergebnis müssen die Gerichte gegebenenfalls mithilfe eines Sachverständigen entscheiden, ob dennoch ein Verstoß vorliegt. "Die bloße Behauptung, die Messung sei fehlerhaft, begründet für das Gericht keine Pflicht zur Aufklärung."

Viele Geräte speichern Rohmessdaten nicht

Im Fall vor drei Jahren handelte es sich um das Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan SM1 der Firma Vitronic. Die Anlage ist wie auch andere Geräte heftig umstritten, da einige von ihnen die Rohmessdaten nicht speichern. So entschied der Verfassungsgerichtshof des Saarlan­des im Juli 2019 in einem Aufsehen erregenden Urteil, dass der Traffistar S350 nicht mehr eingesetzt werden dürfe, bis der Hersteller Jenoptik ein Software-Update vorgenommen habe (Az. Lv 7/17).

Verkehrsrechtsexperte Lenhart begrüßt Beschluss

"Endlich ist höchstrichterlich entschieden, dass es Autofahrer nicht hinnehmen müssen, den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung als Ergebnis einer völlig unbekannten Black Box hinnehmen zu müssen", sagt Uwe Lenhart, Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Frankfurt am Main, zum Beschluss aus Karlsruhe. Gerichte müssten aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes jede Messung unter Einbeziehung der Rohmessdaten, der Lebensakte und Bedienungsanleitung des Geräts sowie sonstiger Beweisstücke überprüfen. Gegebenenfalls müssten Rechtsanwälte entsprechende Beweise beantragen. Allerdings könnten Bußgeldbescheide oder Gerichtsentscheidungen kaum wieder aufgerollt werden: "Zwar wäre eine falsche Messung eine neue Tatsache, die bei Bußgeldsachen mit höherer Geldbuße als 250 Euro oder Fahrverbot eine Wiederaufnahme begründen könnte. Die falsche Messung muss aber bewiesen sein, wozu es ja gerade in der Vergangenheit nicht gekommen ist", so Lenhart.
Mit Material von dpa.