Schnell für eine Nacht an den Strand fahren. Auf ein Bier den Sonnenuntergang genießen – so sehen Träume vom Kurzurlaub aus, wenn der Job nervt oder die Nase einfach eine frische Prise Meereswind braucht. Aber bitte nicht in einem der Wohnmobile, die zur Ferienzeit die rechte Autobahnspur zupflastern. Trödelnde Tabberts, blendend weiße Dethleffs-Dreiachser, schleichende Westfalia-Wanderdünen. Das ultimative Reisemobil für den rasanten Abstecher zum Traumstrand sieht anders aus. Eher so wie der Ballermann von Hymer und Goldschmitt. Die rasende Einzimmerwohnung Hymercar 322 will das schnellste Reisemobil der Welt sein – und damit direkt ins Guinnessbuch der Rekorde fahren. Rund 300 PS und Diesel-Gasantrieb sollen reichen, das getunte Apartment auf rund 210 Sachen zu schieben. Die offizielle Rekordfahrt steht noch aus – aber AUTO BILD inspiriert schon der Gedanke an einen Blitzbesuch an die Nordsee. Irrwitzige 207,8 km/h hat der TÜV nach Messfahrten bereits bestätigt – demnach schafft es der Goldschmitt-Hymer in kurzweiligen 43 Minuten von Hamburg nach St. Peter Ording.

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Na ja, rein theoretisch jedenfalls. Denn als es so weit ist, behindern ein Stau vor Itzehoe, die StVO und eine schwächelnde Maschine unseren ungebremsten Vorwärtsdrang. Denn Goldschmitts Rekord-Diesel ist leider beim Rekordversuch geplatzt, nun feilt die Firma an einer standfesteren und noch brutaleren Version. Der Testwagen rollt also mit einem leicht modifizierten Reservemotor. Chipgetunte 180 PS taugen trotzdem für die linke Spur und einen zügigen Feierabendtrip an den Sandstrand. Bett, Bad und Bratpfanne sind schließlich immer an Bord. Tief in seinem buchenholzfurnierten Inneren ist der Hymercar ganz brav ein fein durchdachtes Wohnmobil geblieben. Mit typischer "Venezia"- Polsterung unter platzsparenden Schränkchen-Arrangements, Klapptisch und Drehsesseln. Die auf dem Campingplatz obligatorische Partie Rommé könnte jedenfalls sofort steigen.

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Goldschmitt-Hymer Hymercar 322
Jedes Rad des Hymercars ist einzeln luftgefedert, entsprechend lässt sich die Karosserie absenken.
Außen geht’s deutlich weniger bieder zu. Statt der Isolierfenster hat Tuner Goldschmitt leichte Polycarbonatscheiben eingeschraubt, die Spalten zwischen Rahmen und Blech sorgfältig abgedeckt. Türgriffe, Zierleisten und Lüftungsgitter fehlen gleich ganz. Karosseriefugen sind glättend verklebt. Und unter der Heckstoßstange klemmt ein riesiger Diffusor, breit wie eine Regenrinne. Nützt ja nichts, nur so lässt sich der fahrenden Schrankwand ein Hauch von Windschlüpfigkeit abtrotzen. Die Finesse steckt im Detail. Jedes Rad des Hymercars ist einzeln luftgefedert, entsprechend lässt sich die Karosserie absenken. Für eine besssere Aerodynamik verschwinden die dicken 295er-Reifen auf 20-Zoll- Alus weit in den Radkästen. Damit macht sich allerdings auch der Federungskomfort fast ganz aus dem Staub. Bockig hart nimmt das tiefergelegte Sport-Mobil die A 23 unter die Räder – die Reise nach Nordfriesland fühlt sich an wie letzte Rille Nordschleife. Erst Recht bei Vollgas.

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Die Maschine dröhnt und brüllt, die Tassen scheppern im Schrank, der Aufbau zittert dazu im Dieseltakt, und die Tachonadel klettert ganz gemütlich nach oben – im Gegensatz zur Tanknadel, die längst ihren spektakulären Sinkflug begonnen hat. Wer wie ich sonst mit einem betagten VW LT auf Fernreise geht, genießt es, endlich mal die linke Spur auskosten zu können. Liegt meine Heimat normalerweise rechts bei der kriechenden Karawane der Dänemark-Urlauber, so fliegen jetzt die "Alkoven" und "Integrierten" nur so an mir vorbei, selbst Golf, Passat und Co scheinen zu parken. Reisen im Rasemobil – so gefällt mir Last Minute. Und wenn jetzt einer rauszieht? Wenn einer der Reifen dem feisten Gewicht des Raketen-Häuschens nicht gewachsen ist? Auch wenn wir im Test anständige Bremsleistungen ermittelt haben (100 auf 0 km/h in 46,6 Metern) und ein erstaunlich unproblematisches Ausweichverhalten feststellen konnten – sobald 3,5 Tonnen Hausrat ins Trudeln kommen, helfen auch ESP und – das übrigens im Komfortmodus sehr geschmeidig abgestimmte – Vier-Kanal-Vollluftfederfahrwerk nichts mehr.
Doch die Furcht, irgendwann einen wildgewordenen Goldschmitt-Hymer im Rückspiegel zu entdecken, ist unbegründet. Das Auto ist und bleibt ein Einzelstück, allenfalls eine Fingerübung der Entwickler an Motor und Fahrwerk. Zudem ist das Ding der schiere Luxus. Allein Motorumbau, Fahrwerkmodifikationen und Räder kosten rund 80.000 Euro. Plus 41.700 Euro für die Basis, einen Hymercar 322 3.0 Multijet auf Fiat-Ducato-Fahrgestell. Zwei Jahre in einer Fünf-Sterne-Herberge kämen auch nicht teurer. Und überhaupt ist doch der Weg das Ziel. Für die schönste Zeit im Jahr sollten wir uns Zeit lassen.
Technische Daten Goldschmitt-Hymer Hymercar 322: Vierzylinder, Turbodiesel, vorn quer • vier Ventile pro Zylinder • Chiptuning, Flüssiggaseinspritzung • Hubraum 2287 cm3 • Leistung circa 132 kW (180 PS) bei 3500/min • max. Drehmoment circa 380 Nm bei 2000/min • Vorderradantrieb • Sechsganggetriebe • Reifen 295/35 R 20 • Länge/Breite/Höhe 5990/2080/2550 mm • Bremsweg 46,6 m • Höchstgeschwindigkeit (mit 300-PS-Diesel-Flüssiggasmotor) 207,8 km/h • Preis: keine Angabe.

Fazit

Ein Wohnmobil im Wahnsinns- tempo. Faszinierend oder Furcht einflößend? Eher was zum Schmunzeln. Wer will schon so stressig reisen? Immerhin zeigt Goldschmitt, dass die Reise-Riesen nicht automatisch Schleicher sein müssen. Am Ende ist’s eh egal – bleibt ja ohnehin ein Einzelstück.