Die DS, die Göttin, ist Citroëns Säulenheilige. Jeder neue große Citroën musste sich an ihr messen – jetzt also auch die DS5. Sie sieht sich als wahre Erbin, fordert die alte DS zum Test. Eine historische Begegnung.
Sie wird ja auch nicht jünger. Es ist weder ihre Jahres- noch ihre Tageszeit, die Sonne glänzt fahl durch frostigen Morgennebel, als die alte DS aufs Testgelände fährt. Wobei: Sie fährt nicht einfach, sie tritt auf. Noch Jahrzehnte nach ihrem Debüt zelebriert die Göttin ein dramatisches Entree: Ihre Fernscheinwerfer schwenken durch Nebelschwaden, das Ticken der Hydraulikpumpe übertönt den Motor, ruckig kommt die DS 20 zum Stehen, dabei taucht erst der Bug tief ein, danach ihr Hinterteil. Und dann steht sie da – ein automobiles Jahrhundertereignis. Ach ja, neben ihr parkt die neue DS5. Hätten wir fast übersehen. Bevor wir uns gleich um Messprogramm und Testfahrten kümmern, müssen wir kurz zurück ins Jahr 1955 reisen, um zu verstehen, was die DS so besonders macht.
Generationen-Duell zwischen Citroën DS 20 und DS 5
Die Deutschen feiern damals den millionsten Käfer, bewundern noch immer die VW-Ingenieure für die kühne technische Meisterleistung, 1953 die Brezelfenster durch eine ungeteilte Heckscheibe ersetzt zu haben. Dazu verschnulzt die Nation kollektiv im Kino bei "Sissi" und "Der Förster vom Silberwald", während in Paris am 6. Oktober mal wieder eine Revolution ausbricht. Es ist ein Donnerstag, als Citroën auf dem Pariser Salon 1955 die DS präsentiert. Fast 20 Jahre haben sie an der Limousine entwickelt, die allen anderen Autos Jahrzehnte voraus sein wird, mit Scheibenbremsen, Leichtbau, Halbautomatik, Luftfederung, Servolenkung, aerodynamisch optimierter Form. Die DS gelingt so futuristisch, dass sie bis in die 80er-Jahre ungeschminkt in Science-Fiction-Streifen mitspielen kann. Die Produktion der Limousine endet am 24. April 1975 – nicht weil das Auto veraltet wäre, sondern weil irgendwann eben mal Schluss sein muss. Alle Modelle danach müssen sich an der DS messen lassen – und scheitern.
Extravaganz à la DS5: Drei starre Glasdächer mit E-Rollo. Die Dachkonsole mindert den Kopfraum.
Doch jetzt soll mit der DS5 ein würdiger Nachfolger bereitstehen. Als drittes Modell der DS-Linie soll sie beweisen, dass sie den legendären Namen zu Recht trägt. Dabei geht es um Design, Innovation, Komfort, Temperament und Charakter. Stünde die DS5 nicht gerade neben der DS 20, fiele die formale Eigenständigkeit der neuen viel deutlicher auf. Allerdings beschränkt sich das Styling darauf, anders zu sein als der Rest der Premium-Mittelklasse. Und wer von einer DS radikale Lösungen oder ganz neue Ideen erwartet, wird auch innen enttäuscht. Stattdessen gibt es Spielereien wie drei feste Glasdächer und eine Dachkonsole, die sich vor allem dadurch hervortut, das Raumgefühl zu mindern und die Regler fürs Head-up-Display zu beheimaten. Die etwas wirre Verteilung der Schalter erinnert an die alte Citroën-Zeit – an CX und BX, nicht an die DS 20.
Bei der gibt es so viel gar nicht zu bedienen. Einspeichen-Lenkrad, Wählhebel, Choke, Licht, Blinker, Wischer, Hupe, Hebelei für die variable Bodenfreiheit, Feststellbremse, zwei Pedale, fertig. Zum Starten den Schalthebel sacht nach links rücken, und der Anlasser rempelt den rauchigen Motor an. Die Hydropneumatik drückt die DS auf Fahrniveau empor. Schalthebel auf eins drücken, langsam und schlürfend schließt die ebenfalls von der Zentralhydraulik beförderte automatische Kupplung. Fuß aufs Gas, die DS sinkt mit dem Heck ein, reckt den Bug, dann ziehen die Vorderräder sie voran. Nach ein paar Metern den Schalthebel auf zwei, bald weiter nach rechts auf drei und vier ziehen. Mild geht es voran. Eine DS beschleunigt nicht, sie bricht zu einer Fahrt auf. Ohne Eile, wie die Messwerte zeigen. Sanft wogt die Göttin voran, selbst derbste Schlaglöcher verpuffen in der Federung. Noch heute beeindrucken die Vehemenz der Bremsen (auch die unterstützt die Hydropneumatik) und der Geradeauslauf. Der bleibt selbst in Kurven erhalten – in Form heftigen Untersteuerns. Biegungen durchkreuzt die DS ansonsten sicher, trotz starker Schlagseite. Slalom? Geht, ist aber etwas unwürdig. Dagegen beherrscht sie die große Reise. Zwar nestelt der Wind schon ab Tempo 70 an den dünnen A-Säulen, aber dieser Ausblick, diese Raumfülle. Vorn möblierte sich die DS mit knautschigen, auf Dauer rückenmordenden Ledersesseln, die Fond-Lounge mit dem knautschigen, rückenmordenden Ledersofa.
Die DS5 basiert auf der kompakten Plattform von C4 Picasso und Peugeot 3008. Das bedeutet den Verzicht auf die Hydropneumatik.
Die Sitze der DS5 können dagegen wohl auch führende Orthopäden-Gattinnen empfehlen. Vorn fühlt sich die neue DS tatsächlich ein wenig an wie die alte. Von den gegabelten A-Säulen profitieren Rundumsicht und Raumgefühl. Wobei das Raumangebot vor allem im gedrängten Fond hinter der Fülle der DS 20 zurückbleibt, was sich durch die 34 Zentimeter kürzere Außenlänge, vor allem aber durch fast 40 Zentimeter weniger Radstand erklärt. Denn die DS5 basiert auf der Kompaktklasse-Plattform, die der C4 Picasso und der Peugeot 3008 ebenfalls nutzen. Das bedeutet den Verzicht auf die Hydropneumatik. Egal, die Kunden mögen es ohnehin lieber sportlich, meint Citroën als Erklärung für die inakzeptabel straffe Fahrwerkabstimmung. Und das ausgerechnet bei Citroën, einer Marke, die sich nie darum gekümmert hat, was Kunden haben wollen. Hätten die sich je einen Ami 8 gewünscht oder in ihren kühnsten Träumen ein Auto wie die alte DS oder den SM vorstellen können? Und natürlich sagen Kunden, sie wollen gern sportlich fahren, wer gibt schon zu, er schunkele lieber sacht durch die Gegend?
Sorry, aber die Bedeutung von Kundenwünschen wird maßlos überschätzt. Glaubt Citroën wirklich, ein Audi-A4-Fahrer überlegt länger als vier Sekunden, ob er lieber eine DS5 kaufen soll, weil er hört, sie sei sportlich? Und das ist das ganze Problem der DS5. Sie will anders sein als andere, aber mehr als ein bisschen Design-Chichi traut sie sich dann doch nicht. So entstand kein schlechtes Auto, aber eben auch kein guter Citroën. Die DS5 beschleunigt vehement, verbraucht mit dem kultivierten Turbobenziner nicht mal viel, fährt sicher. Sie fühlt sich aber absurderweise trotz Rennfahrwerks und flach beflankter 19-Zoll-Bereifung, die den letzten Rest an Komfort ruiniert, niemals sportlich an – bestenfalls künstlich dynamisiert. Das liegt an der rückmeldungsarmen, inhomogen ansprechenden Lenkung. An Innovationen hat der Benziner nichts zu bieten, erst der Diesel-Hybrid bringt etwas Avantgarde in die DS5. Solange es nicht mehr ist, muss sich die alte DS nicht sorgen, die neue könnte ihren Platz in der Geschichte einnehmen. Komm wieder, wenn du mehr zu bieten hast, DS5. Bis dahin: Störe meine Greise nicht.
Fazit
von
Sebastian Renz
Die neue DS5 sieht besonders aus, ist in einigen Details außergewöhnlich, aber sie fährt sich gewöhnlich und für einen großen Citroën viel zu unkomfortabel. Stattdessen ist Citroën eine stilvolle und unkonventionelle, aber innovationsarme Alternative zu A4 & Co. gelungen. So mag die DS5 ein Erfolg werden, aber sicher keine Legende wie die alte DS.