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Video: Navi gegen App Test (2017)

Smartphone gegen Navi

Wer fährt denn heutzutage noch per Navi-Gerät? Um von A nach B zu kommen, greift doch jeder lieber zum Smartphone samt Navi-App, oder? Von wegen! Mehr als 1,5 Millionen Saugnapf-Geräte gingen 2016 über deutsche Ladentheken, im Schnitt zahlten Kunden 160 Euro dafür. Doch wer kann es besser: Navigations-App oder Navigations-Gerät? AUTO BILD und COMPUTER BILD wollten es genau wissen. Deshalb begaben sich zwei Redakteure auf Testfahrt von Hamburg nach Kopenhagen – mit 21 Smartphones und Navis an der Windschutzscheibe.

Die Kontrahenten: Navi-Geräte im Test

Großer Navi-Check: Geräte und Apps im Test
Max Wiesmüller und Timo Schurwanz haben sich für den großen Navi-Test auf die Reise gemacht!
Bild: Matthias Jueschke
Die drei großen Hersteller auf dem deutschen Navimarkt heißen TomTom, Garmin und Becker. Sie führen die Bestsellerlisten einschlägiger Online-Händler wie Amazon an. Alle Hersteller sind im Test jeweils mit Geräten des günstigen, mittleren und teuren Preissegments zwischen 179 und 379 Euro vertreten. Garmin stellt noch ein viertes Modell mit Spezialfunktionen wie eingebauter Dashcam, Kollisionswarner und Spur-verlassen-Warnung. Auch bei den Apps haben die Tester besonders beliebte Anwendungen wie Google Maps auf Android- und Apple Karten auf iOS-Geräten gewählt. Sie sind gleichzeitig ein wichtiger Baustein in modernen vernetzten Autos, weil sie dort über Apple CarPlay und Android Auto als Navi-Ersatz dienen. Die ehemalige Nokia-Tochter Here stellt mit Here WeGo den größten Konkurrenten – und die einzige App, die weltweit kostenlos navigiert und gleichzeitig den Download von Navikarten erlaubt, um Datenvolumen zu sparen. Das dürfte TomTom und Navigon ein Dorn im Auge sein. Beide sind jeweils mit einer App vertreten, verlangen aber teure Abogebühren. TomTom ruft 20, Navigon gleich 30 Euro pro Jahr auf. Als Geheimtipp unter Autofahrern gilt die Gratis-App Waze, die dank großer Community topaktuelle Verkehrsmeldungen oder Infos zu Sperrungen und Blitzern bereithält. Alle Apps – bis auf die iOS-exklusive Apple-Lösung – haben AUTO BILD und COMPUTER BILD in der iPhone- und Android-Version getestet.

Viel Platz und Technik an Bord

Großer Navi-Check: Geräte und Apps im Test
37 Gigabyte Datenvolumen haben alle Geräte insgesamt verbraucht!
Bild: Max Wiesmüller, Timo Schurwanz
Als Testwagen diente eine aktuelle Mercedes V-Klasse. Die große Windschutzscheibe und das Cockpit des Familienvans bieten reichlich Platz für elf Handy-Halterungen und zehn Navigeräte. Fünf in Reihe geschaltete Stromverteiler lieferten per Zigarettenanzünder und USB genug Anschlussmöglichkeiten für alle Geräte und die beiden LTE-fähigen WLAN-Router von Netgear. Die brachten die Testgeräte online und versorgten sie mit Daten. Im Laufe der großen Testfahrt von Hamburg nach Kopenhagen und zurück sowie zweier Städtetests fraßen sich alle Geräte zusammengerechnet durch rund 37 Gigabyte Datenvolumen!

Test-Tour: Die Fahrt beginnt

Der Test begann an einem Montagmorgen – zur besten Stoßzeit. Die ersten Unterschiede kristallisierten sich aber schon vor Fahrtantritt heraus. Nach der Eingabe des Ziels "Kopenhagen" wollten alle Apps und fast alle Geräte bis auf das Garmin Drive Smart 61 und die drei Becker-Geräte zur Ostseeinsel Fehmarn, um die Fähre über den Fehmarnbelt nach Dänemark zu nehmen. Das Problem: Diese Route ist zwar 130 Kilometer kürzer als die von den Testern gewünschte Alternativroute – mit 100 Euro Fährkosten allerdings teurer als der etwas längere Landweg, auf dem 30 Euro Mautgebühren fällig sind. Der längere Weg kostet dabei nicht unbedingt mehr Zeit, weil die Fähre langsamer ist und Wartezeiten anfallen. Alle Apps außer Apple und Navigon lassen dem Fahrer die Wahl, welche Route er nimmt. Bis auf das Garmin Drive Luxe 51 und das Becker 7S bot keines der Geräte dem Nutzer automatisch Alternativen an – bei einigen klappte es immerhin auf manuelle Nachfrage. Allerdings erlauben alle Kontrahenten (außer Google), dass der Fahrer in den Einstellungen Fähren generell ausschließt – Problem gelöst.

Rückweg: Andere Route, dieselben Probleme

Auf dem Rückweg entschieden sich die Tester für die Route über den Fehmarnbelt, um das nur sporadisch mit Handynetz versorgte südliche Dänemark zu durchfahren. So ließ sich auch herausfinden, wie gut die getesteten Navis und Apps den Fahrer auf die Fährüberfahrt vorbereiten. Die anfallenden Gebühren kannten weder die Apps noch die Geräte. Auch die Abfahrtszeiten waren allen unbekannt. Dass grundsätzlich Gebühren entstehen könnten, wussten aber alle Testkandidaten. Sie warnten jedoch nur zu Fahrtbeginn. Eine zweite Warnung kurz vor der Fähre wäre hilfreich gewesen. Gebührenpflichtige Routen zählen also nicht gerade zu den Stärken der Helferlein.

Sprit finden: Einmal volltanken, bitte

Großer Navi-Check: Navis gegen Navi-Apps im Test
Entlang der Route – und damit ohne Umwege – halfen nur Google, Navigon, Becker und TomTom.
Bild: Max Wiesmüller, Timo Schurwanz
Auf den Tankstopp an der Grenze waren auch nicht alle perfekt vorbereitet. Nur Google, Navigon, die Becker- und TomTom-Geräte fanden Tankstellen direkt entlang der Route anstatt im Umkreis. Wer möchte schon fünf Kilometer in die falsche Richtung fahren, wenn nach sechs Kilometern entlang der Route auch eine Tankstelle ist? Noch besser ist natürlich eine Suche, die auch Spritpreise und Öffnungszeiten der Tankstelle anzeigt. Die Sternstunde der Apps? Nicht bei allen, nur die von Waze und Navigon boten das, die zehn Geräte allesamt nicht.

Sprachsteuerung: Am Steuer steuern

Klar, mit den Händen am Steuer lassen sich weder Apps noch Geräte per Touch bedienen. Deshalb waren im Test alternative Eingabemöglichkeiten per Sprache und Geste gefragt. Das können die teureren Navigeräte sowie die Apps von Waze, Google, Navigon und Apple per Siri. Die beiden günstigen Navis von Becker und die Einsteiger von TomTom und Garmin sowie die Here- und TomTom-Apps mussten hier passen. Die Navigon-App ist die einzige App, bei der sich die Sprachsteuerung per Geste auslösen lässt. Dazu hält der Autofahrer die Hand einfach nah ans Display des Handys. Den TomTom- und Garmin-Geräten genügt ein Sprachbefehl. Da sie sowieso konstant am Strom hängen, lauschen Mikrofone nach Triggerworten wie "Sprachbefehl" oder "Hallo TomTom" – moderne Technik erhöht die Verkehrssicherheit.

Apps kennen auch Bus und Bahn

Ein frischer Wind weht bei den Apps auch in anderer Hinsicht: Statt nur stupide Autorouten vorzuschlagen, beziehen sie alle Fortbewegungsarten ein. Bei Google, Here und Apple fließen ÖPNV, Zu-Fuß-Gehen und Fahrdienste wie Uber oder MyTaxi sowie CarSharing in die Routenvorschläge ein. Das leisten klassische Navi-Geräte nicht.

Aktualität: Keiner ist so up-to-date wie Waze

Auch bei der Aktualität hinken die Saugnapf-Navis den Apps manchmal hinterher. Besonders die Waze-App punktete hier im Test: Auf der Autobahn A7 kannte nur sie eine geänderte Autobahnauffahrt. Danke, liebe Community! Alle anderen Apps und Geräte leiteten in Richtung Hannover statt nach Kiel. Doch als reine Online-App hat Waze mit Abstand den größten Datenhunger und – viel schlimmer – besteht während der Fahrt auf konstante Server-Kommunikation. Netzabbrüche führten deshalb häufig dazu, dass sich die Waze-App abmeldete. Im südlichen Dänemark lotste sie die Tester deshalb nicht zur Fähre – als einziger Testkandidat. Auf der anderen Seite der Fähre kämpfte dann die Apple-App: Nachdem das metallene Schiff den GPS-Empfang aller Geräte gekappte hatte, fanden sie nach der Rückkehr auf Fehmarn schnell die aktuelle Position. Apple Karten hingegen setzte den Testern ein Schachbrettmuster vor statt eine Karte. Die App benötigte über 20 Kilometer, um sich zu fangen – das ist schlicht inakzeptabel bei vollem Handy- und GPS-Empfang. Apps und Geräte mit Offline-Funktion waren hier klar im Vorteil.

Spezialfall TomTom-Apps: Grenzen im Kopf

Die Aufgabe war klar: Alle Navis sollten die Tester von Hamburg nach Kopenhagen lotsen. Bei der Eingabe machten die TomTom-Apps für iOS und Android aber nur Vorschläge wie "Kopenhagener Straße" oder "Koppenhagen" in Melsungen. Die dänische Hauptstadt war nicht dabei. Des Rätsels Lösung: Wer wie im Test Speicherplatz sparen will und daher nur Regionen wie D-A-CH und Skandinavien statt ganz Europa herunterlädt, kann nur zur jeweiligen Grenze navigieren, im Beispiel nach Flensburg. Nach Grenzübertritt ist dann in den App-Optionen ein händisches Umschalten auf die Skandinavien-Karte fällig. Offenbar ist das geladene Kartenmaterial nicht verknüpft. Nahtlose Routenführung über Ländergrenzen hinweg? Fehlanzeige. Das nervte im Test gewaltig – und gab eine saftige Abwertung für die TomTom-Apps.

Parken: Ey Mann, wo ist mein Auto?

Wenn das Navi schon weiß, wohin der Weg führt, dann müsste es ja auch wissen, wo das Auto steht. Wer unterwegs oder am Zielort parken möchte, bekommt etwa von Apple tatkräftige Unterstützung. Ist das Gerät per Bluetooth oder Kabel mit der Bordelektronik verbunden, speichert es die Parkposition. Anschließend bekommt der Fahrer automatisch eine Push-Nachricht, die den Standort zeigt. So lässt sich auch nach ausgedehnten Shoppingtrips in fremden Städten jederzeit problemlos das Auto aufspüren. Wer nur per Apple-Karten-App navigiert, ohne das iPhone mit einem Auto zu koppeln, kann sie aber nicht manuell speichern – schade. Google Maps und Waze speichern den Parkplatz in jedem Fall automatisch. Die Apps und Geräte von TomTom und die Becker-Navis können das manuell. Garmin bietet in den Geräten keine Option, den Ort zu speichern. Nur die Begleit-App Smart Link kann das. Die Gratis-App für iOS und Android ist aber auch so einen Download wert, da der Nutzer über sie etwa Adressen aus der Kontaktliste direkt ans Navi funkt, statt sie umständlich abzuschreiben und ins Navi einzutippen.

Stadtverkehr: Ehrenrunde durch Hamburg

Natürlich ist es trotz des Zeitaufwands und häufiger Stopps ein Kraftakt, 21 Geräte parallel im Blick zu haben. Um die exakten Einzelbewertungen vorzunehmen und das Verhalten im Stadtverkehr zu testen, drehten die Tester eine Ehrenrunde durch Hamburg. Hier mussten alle Mitstreiter im Einzelcheck beweisen, dass ihre Verkehrsinfos präzise und aktuell sind. Auch temporäre Tempolimits, Baustellen oder Durchfahrtsbeschränkungen wie Einbahnstraßen standen auf dem Programm. Besonderer Härtefall: In Hamburg liegt die europaweit einzigartige Sierichstraße, eine zweispurige Ausfallstraße, die tagesabhängig die erlaubte Fahrtrichtung ändert. Von vier bis zwölf Uhr führt sie stadteinwärts, nachmittags und abends dann stadtauswärts – Nervenkitzel für Ortsfremde und Härtetest für Navis. Früher ein Garant für hakelige Situationen, scheinen die Navi-Hersteller diese hamburgerische Eigenart nun programmiert zu haben. Nur die Becker-Navis ziehen eine Parallelstraße vor – wohl zur Sicherheit.

Warnung: Achtung, Blitzmerker!

Apropos Sicherheit: Blitzer-Warner sind ein umstrittenes Thema unter Autofahrern. Die einen sagen: Wenn Blitzer der Sicherheit dienen, sollten Navis vor solchen Gefahrenstellen warnen. Andere sagen, Blitzer-Warner animierten dazu, nur dort angepasst zu fahren, wo es nötig ist. Die beste Note bekommt ein Navi in diesem Testpunkt deshalb, wenn der Blitzer-Warner vorhanden, aber deaktivierbar ist. Das ist bei Garmin, TomTom und Navigon der Fall. Hier darf der Fahrer entscheiden, ob er die Funktion nutzt. Google Maps, Apple Karten, Here und die Becker-Geräte warnen nicht – und bieten auch keine Möglichkeiten, Blitzer zu melden. Übrigens: Das Gerücht, dass die Polizei Navis oder Smartphones mit Blitzer-Warner beschlagnahmen dürfe, ist falsch. Allerdings müssen Fahrer mit einem Punkt in Flensburg und einer Geldstrafe rechnen.

Fazit

von

Max Wiesmüller
AUTO- und COMPUTER BILD waren gespannt, was die Redakteure auf der Testfahrt von Hamburg nach Kopenhagen erwarten würde – und waren sehr beeindruckt vom Chor aus 21 freundlichen Ansagestimmen, die uns den Weg weisen wollten. Die gute Nachricht: Alle Saugnapf-Geräte und Apps brachten uns ans Ziel. Ebenfalls erfreulich: Die beste App ist gratis! Google Maps will zwar ständig online sein (stabiles Mobilfunknetz Pflicht!) und benötigt fürs bequeme Navigieren Auto-Halterung und Stromkabel. Dafür spielt der Handy-Lotse bei Stau und Sperrungen seine Stärken aus, kennt die Verkehrslage und sorgt auf verstopften Straßen souverän für freie Fahrt. Daumen hoch! Aber haben Saugnapf-Navis deswegen ausgedient? Für Gelegenheitsfahrer wohl ja, wer aber regelmäßig auf langen, unbekannten Strecken den perfekten Begleiter sucht, für den kann sich ein teures Navi-Gerät lohnen. Und: Dank WLAN-Modul und/oder fest verbauter SIM-Karte (Topmodelle von Garmin, TomTom und Becker) sind viele der Geräte ebenfalls online – und so bestens informiert. Weiterer Vorteil: Es ist kein Zubehör nötig. Einfach anploppen, an den Zigarettenanzünder anschließen, fertig. Zu empfehlen sind vor allem die Garmin-Geräte ab 290 Euro, die mit guter Sprachsteuerung, Riesen-Display oder dank Kamera und Kollisionswarner mit Extras aufwarten, die einen Hauch von Oberklasse in jeden Kleinwagen bringen.

Von

Max Wiesmüller
Timo Schurwanz