Zehn PS für konkurrenzlose 3334 Mark

Die technischen Daten sind ernüchternd: zwei Zylinder, 293 Kubik, zehn PS. Damit mähen wir heute den Rasen. Vor 55 Jahren sah das noch anders aus. Die Bundesrepublik war gerade ein Jahr alt, das Wirtschaftswunder in Deutschland allenfalls am Horizont erkennbar. Autos galten fünf Jahre nach Kriegsende als unerschwingliche Mangelware: Selbst ein 25-PS-Käfer kostete mindestens 4800 Mark und verschlang damit deutlich mehr als ein durchschnittliches Jahreseinkommen. Für Normalverdiener, die sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen wollten, gab es allenfalls Motorräder. Oder einen Lloyd.

Der Bremer Unternehmer Carl Friedrich-Wilhelm Borgward, schon in den 30er Jahren mit seinem praktischen Blitzkarren und einer eleganten Limousine namens Hansa erfolgreich, sah als erster die Marktlücke. Er gründete 1948 die "Lloyd Maschinenfabrik" und konzipierte einen Kleinwagen, der für weniger als 3000 Mark zu kaufen sein sollte. Am Ende waren es dann doch 3334 Mark, aber die waren immer noch konkurrenzlos. Zwar bekam man dafür nur einen Zweizylinder-Zweitakter mit zehn PS, aber immerhin für vier Personen ein festes Dach über dem Kopf.

Nur: So ganz fest war es nicht. Denn die Karosserie des Lloyd 300 bestand aus Sperrholz, dem eine Haut aus Kunstleder eine gewisse Witterungsbeständigkeit verlieh. Gleichzeitig sorgte der Bezug auch für den Spitznamen: Schäden an der Außenhaut mußten nicht gespachtelt werden, sondern ließen sich mit Leukoplast-Pflaster zumindest kurzfristig versiegeln. Der Leukoplast-Bomber war geboren.

Wobei sich das mit dem "Bomber" weder auf die Leistung noch auf das Gewicht bezog. Eher schon auf die Nutzlast: Die Allgemeine Betriebserlaubnis vom 30. Juni 1950 erlaubte dem 475 Kilogramm leichten Lloyd ein zulässiges Gesamtgewicht von 800 Kilogramm! Das war zwar praktisch für den Familienurlaub, erwies sich aber spätestens bei der Überquerung der Alpen als ziemlich absurd. Auf den Brenner schaffte man es gerade so im zweiten Gang.

"Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd"

Bergab ging es schneller, oft zu schnell: eine simple Pendelachse, Blattfedern und Seilzugbremsen brachten viele Lloyd-Piloten an den Rand ihres Könnens – nicht selten darüber hinaus. Dann allerdings wurde es wirklich bitter, denn von passiver Sicherheit konnte bei der Holzkarosse kaum die Rede sein. Der Volksmund machte sich schnell einen Reim darauf: "Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd!"

Zum Kreis der Mutigen zählte Karl-August Mohr aus dem holsteinischen Struvenhütten. 1953 erwarb er seinen Führerschein und die erste Fahrpraxis auf dem Lloyd Kombi eines Freundes. Gemeinsam startete man zu Spritztouren, am liebsten ins Nachtleben von St. Pauli. "Zurück durfte ich dann immer fahren", erinnert sich Mohr noch heute mit frivolem Grinsen. Danach war dann erst mal Schluß mit lustig. Mohr fuhr zur See, sein Freund fand Gefallen an anderen Autos, der Lloyd verschwand in einer Scheune. Die, wie sich 1980 herausstellte, nicht ganz dicht war.

Der Vorderwagen war total verrottet, das ehedem gute Stück ein Bild des Jammers. Mohr, inzwischen als Installateur tätig, erwarb die traurigen Überreste, überführte sie in seine Garage – und wußte fortan, womit er seinen Ruhestand verbringen würde. Er wurde schon mal Mitglied bei der Interessengemeinschaft der Lloyd-Freunde, knüpfte Kontakte und sammelte Ersatzteile.

Motortausch für sieben Mark fünfzig

Richtig los ging es erst vor einem halben Jahr. Das Bodenblech wurde geschweißt, der Vorderwagen zerrupft, die morschen Hölzer einem Tischler zum Nachbau übergeben. Doch der fühlte sich überfordert und schmiß ihm die Teile nach zwei Wochen wieder vor die Füße. Mohr: "Da blieb mir gar nicht anderes übrig, als es selbst zu machen."

Und Mohr machte. Engagierte einen anderen Tischler, der ihm formverleimte Buchenholz-Rohlinge produzierte, sägte und feilte die Teile anschließend in seiner Garage passend. Hilfe fand er außerdem in seinem Sohn, seines Zeichens Kfz-Mechaniker, und bei einem Sattler, der ihm Sitze und Rückbank mit neuem Kunstleder bezog.

Einen neuen Auspuff aus Edelstahl schweißte Mohr selbst zusammen, nur um den Motor mußte er sich nicht groß kümmern: "Der wurde vor 15 Jahren generalüberholt. Seitdem lasse ich ihn dreimal pro Jahr laufen, damit er nicht rostet." Daran tut er gut, denn die volkstümlichen Ersatzteilpreise von 1950 sind schon lange nicht mehr aktuell. Ein neuer Zweitakter stand damals für 98 Mark in der Ersatzteil-Preisliste, der Austausch des Triebwerks erforderte die beachtliche Summe von 7,50 Mark.

Neugierige brauchen einen Holzstab

Auch andere Lloyd-Schriftstücke sorgen heute für Heiterkeit. So macht die Betriebsanleitung dem höchst übersichtlichen Armaturenbrett ein wunderbares Kompliment: "Man hat hier nicht das unangenehme Gefühl, man müsse erst Klavierspielen lernen, bevor man es bedienen kann." Dafür wären wir auch bei modernen Autos manchmal dankbar.

Die nicht vorhandene Tankanzeige konnte den belesenen Llyod-Lenker ebenfalls nicht vor Probleme stellen: "Wollen Sie einmal genau wissen, wie viel Kraftstoff in Ihrem Tank ist, dann messen Sie dies mittels eines Holzstabes." Auch die freundlichen Hinweise zur optimalen Pflege der Karosserie hat Karl-August Mohr schon aufmerksam studiert: "Beim Waschen gilt die gleiche Methode, die auch die Hausfrau anwendet: erst Einweichen – dann Nachspülen" heißt es da. Und, ganz besonders wichtig: "Es ist der Kunstlederbezug nicht mit Bohnerwachs zu behandeln."

Doch so weit ist der rührige Rentner noch nicht. Erst mal muß er noch einen Hersteller finden, der ihm eine geeignete Haut zum Beziehen der neuen Frontpartie liefert. Erste Materialproben harmonierten nicht mit dem Originalstoff am hinteren Fahrzeugteil, nach Alternativen fahndet er gerade. Doch zur Zeit pressiert es noch nicht.

Fertig sein soll das schnuckelige Schmuckstück erst im April 2006 – zum Jahrestreffen der Lloyd-Freunde. Denn dann will Mohr zum ersten Mal standesgemäß anreisen. Bis jetzt war er immer mit seinem Opel da.