Extratour: Trabant
Am laufenden Trabant

—
Ein Auto aus Blech, Baumwolle und Kunstharz: Vor 65 Jahren startet in Zwickau (Sachsen) die Produktion des Trabant. 1991 ist nach rund drei Millionen Exemplaren Schluss. Heute pflegen Mitarbeiter von damals das Erbe.
Bild: Holger Karkheck
Der Stoff, aus dem die Träume sind, ist weiß, flauschig und von minderer Qualität. "Wir mussten ja irgendwie improvisieren", sagt Wolfgang Kießling und streicht über das Baumwollvlies. Autos aus Ganzmetall – dafür fehlt in der Deutschen Demokratischen Republik schlicht das Material.
Also trägt die kleine DDR die Klamotten des großen Bruders UdSSR auf, gewissermaßen. Russische Baumwolle, die nicht zu Textilien verarbeitet werden kann, kommt nach Zwickau – als Grundstoff für den Trabant. Vor 65 Jahren, am 7. November 1957, laufen die ersten Exemplare der Nullserie vom Band. Als Unterbau ein Stahlblechgerippe, beplankt mit Karosserieteilen aus Duroplast – einer Verbindung aus Baumwolle und Phenolharz.

Ingenieur Roland Schulze (88) war vier Jahrzehnte im DDR-Automobilbau. Die Tasche ist noch von damals. Hier vor einer typischen DDR-Garage mit Trabant.
Bild: Holger Karkheck
Drüben im Westen wird der kleine Wagen mit seinen anfangs 18 PS und dem Zweitakt-Räng-täng-täng mit Überheblichkeit beäugt. Als der Sachsenring im Herbst 1958 auf der Leipziger Messe ausstellt, schreibt etwa die "Zeit": "Die Zwickauer Autowerke kamen mit dem Kleinwagen Trabant heraus, der etwa dem Lloyd entspricht, jedoch nur 90 Stundenkilometer erreicht und noch in den Kinderschuhen steckt."
1740 Trabant im ersten Jahr
Über die Höhe der Serienproduktion werde "verlegen geschwiegen". Und in der Tat: Im ersten Jahr schweißen und backen die Sachsen gerade mal 1740 Trabant zusammen. In Wolfsburg bei VW krabbeln zur selben Zeit 1961 Käfer vom Band – pro Tag! (Wartburg und Trabant – so kultig sind die Autos der DDR)
Und dennoch: Wenn man sich heute mit ehemaligen Mitarbeitern wie Wolfgang Kießling oder Roland Schulze unterhält, ist da nach wie vor eine große Verbundenheit zum ehemaligen Arbeitgeber zu spüren, dem VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau. "Wir waren als Sachsenringer genauso stolz wie die Leute beim Daimler“, sagt der gelernte Elektriker Kießling.
Er wuchs quasi neben dem Werk auf, das einst Keimzelle von Audi gewesen war und heute das August Horch Museum beherbergt. "Schon mein Vater war Sachsenringer", sagt Kießling. "Ich ging in den Werkskindergarten, nachmittags holte er mich dort ab.“
Arm an Rohstoffen, aber reich an Ideen: Mit dem Trabant beweist die DDR ihren Erfindergeist. Rund 30 Patente schützen damals das Duroplast.

"An Bier und Schnaps herrschte kein Mangel", sagen Kießling und Schulze. Hier sitzen sie in einer Original- Datsche, die im Museum aufgebaut ist.
Bild: Holger Karkheck
Bis zu zwölf Baumwollvliesbahnen werden dafür übereinandergelegt und verpresst. Daraus schneiden Arbeiter von Hand die Formen der Karosserieteile. Die werden anschließend in Pressen zu Teilen gebacken. Acht Minuten bei 188 Grad. Ingenieur Schulze: "Die Einfachheit macht die Legende aus. Der Trabant war herstellbar aus verfügbaren Ressourcen, das war entscheidend."
300 Verbesserungen über die Jahre
Dem ersten Trabant (P50) folgt 1962 der 600er (P60). Und 1964 kommt dann mit dem 601 jenes Modell, das die DDR bis zur Wende baut. Wenn auch nicht unverändert. "Im Laufe der Jahre gab es über 300 Verbesserungen", sagt Schulze.
Eine Zeittafel im Museum in Zwickau listet einige auf: 1977 wird etwa der "Fußabblendschalter“ durch einen "Lenksäulenschalter" ersetzt, 1979 bekommt die Ausstattungsvariante S de luxe schwarze Gurte. "Und nicht zu vergessen die Umstellung der Bordspannung von 6 auf 12 Volt", sagt Schulze. Im April 1983 ist das.
In der Produktion wird sinngemäß nach dem Motto gearbeitet: Es wächst schon irgendwie zusammen, was zusammengehört. Klemmt beim Einbau die Motorhaube, tritt der Monteur auch mal gegen den Kühler, damit der Verschluss sauber einrastet.
Sogar in den Export geht das kleine Auto aus Sachsen. 1967 ist der Trabi etwa prominent in einer neuen Halle der IAA in Frankfurt/Main zu sehen. Zum Erfolg führt das nicht. In dem Jahr kaufen gerade einmal 151 Bundesbürger das Auto aus der "Zone". "Der Osten war nicht in der Lage, gegen diese ungeheure Macht von VW oder Borgward anzutreten", sagt Schulze heute.

Die Omega Speedmaster gewann Kießling bei einer Rallye in Finnland, trägt sie bis heute.
Bild: Holger Karkheck
Dabei bemühen sich die Werktätigen nach Kräften, zu zeigen, dass der Trabant durchaus seine Stärken hat. Etwa Wolfgang Kießling und sein Vater. Beide sind jahrelang als Werks-Rallyefahrer in Europa unterwegs. Zwischen 1968 und 1973 nehmen Trabant sogar an der Rallye Monte Carlo teil, mit beachtlichem Erfolg. In besten Zeiten leistet das modifizierte Rennauto 65 PS aus 800 cm3. Und das bei weniger als 700 Kilo Leergewicht.
Besonderer Gewinn bei der 1000-Seen-Rallye
Kießling junior gehört von 1976 bis 1989 zum Rennstall mit den Plaste-Ponys. Reisen ins nichtsozialistische Ausland sind für ihn die Höhepunkte. Bei der 1000-Seen-Rallye in Finnland gewinnt er sogar mal eine Omega-Uhr, die ein Vielfaches von dem wert ist, was ein Trabant kostet. "Dafür haben sie mir später in der DDR 30000 Mark geboten."
Auf eines ist Kießling übrigens auch stolz: "Wir Sachsenringer waren die einzige DDR-Rennsportabteilung, die immer wieder vollzählig aus dem Westen zurückgekommen ist." Obwohl es drüben durchaus Westkontakte gibt und man als Trabant-Fahrer auch mal in einem Audi quattro mitfahren darf. Walter röhrt, und Wolfgang räng-täng-tängt – man kennt sich.
Die Rennanzüge, Helme, Lampen und Öl liefern damals bekannte Westfirmen. Geht etwas am Auto kaputt, müssen die Fahrer selbst Hand anlegen. "Neben unseren feuerfesten Rennanzügen hatten wir auch immer Arbeitskittel dabei."
Später, viel zu spät, unternimmt der VEB Sachsenring zarte Versuche der Zusammenarbeit mit Westherstellern. Ingenieur Schulze etwa ist dabei, als es um Verträge mit Citroën geht. Die Aktentasche von damals trägt er noch heute.

Wolfgang Kießling neben seinem Renn-Trabi. An der Seite: sein Name inklusive Blutgruppe. Die Scheinwerfer lieferte Bosch, das Öl Castrol.
Bild: Holger Karkheck
Und Günter Mittag, ZK-Sekretär der SED für Wirtschaftsfragen, fädelt mit VW einen Deal zum Lizenzbau von Viertaktern ein, 1988 geht es los. Die 41 PS aus dem Polo beschleunigen den DDR-Kleinwagen auf stattliche 125 km/h!
Der Trabant 1.1 ist geboren – und wird gleich wieder begraben. 1991 läuft der allerletzte vom Band. Auch der steht im Museum. Er trägt die Nummer 3.096.099. Zum Vergleich: Vom Käfer entstehen 21.529.464 Exemplare.
Der Trabant lebt weiter
Ingenieur Schulze engagiert sich heute im Förderverein des Museums. Und sein Kollege Kießling ist Vorsitzender des Internationalen Trabantregisters, kurz Intertrab e. V. "Ich hätte mir gewünscht, dass VW den Trabant als E-Variante auf den Markt bringt", sagt er. "So wie BMW den Mini, Retroautos sind doch gefragt." Stattdessen fertigt VW in Zwickau heute das E-Auto ID.3 – und Karosserien für das Luxus-SUV Bentley Bentayga.
Kießling und seine Mitstreiter hüten derweil, wenn man so will, den Heiligen Gral aus Plaste. "Unser Verein ist Inhaber der Marken 'Sachsenring', 'Trabant', '601 de luxe' sowie des 'S-Emblems."
Wenn irgendein Hersteller Trabant-Spielzeugautos oder -Adventskalender herstellen möchte, muss der Verein sein Okay geben. "Wir haben sogar Anfragen aus den USA", sagt Kießling. Der Trabant lebt also weiter, auch nach 65 Jahren. Der Adventskalender kommt übrigens mit Motorsound-Modul. Räng-täng-täng in stiller Nacht. Was für ein Fest!
Service-Links