Kollege Rodatz ist schon über 60. Und dann so was: ein Caterham. Jungbrunnen auf Rädern, Flirtmaschine pur. Oder etwa nicht?
Der Traum aller Auto-Puristen
Da stand er plötzlich vor mir, oder besser: lag. 111 Zentimeter flach, 3,33 Meter kurz; auf den Wangen der Alu-Motorhaube zeigt der Schriftzug "Caterham", dass hier ein Saurier der einst glorreichen englischen Autoindustrie überlebt hat.
Erinnerungen. Als ich noch in kurzen Lederhosen herumlief und vom ersten Moped träumte (ein Vermögen, die 400 Mark für eine einfache NSU Quickly), da stellte Colin Chapman den LotusSeven
auf die Räder. Deshalb trägt der Caterham heute noch die 7 im Grill. Damals, das war 1957, ich war 14 Jahre alt. Die Quickly sollte ebenso ein Traum bleiben wie später ein Sportwagen. Noch nicht einmal den Victoria Spatz konnte ich mir leisten, geschweige denn einen englischen Roadster. Irgendwann reichte es gerade mal für einen gebrauchten Fiat 500 C. Nun parkt er vor mir, der Traum aller Auto-Puristen des letzten halben Jahrhunderts. Motor vorn, Antrieb hinten, sechs Gänge, vier Zylinder, zwei Sitze, ein Lenkrad. Technik, die jeder versteht. Ich darf sie zum ersten Mal in meinem Leben in die Hand nehmen. Doch vors Fahren hat ein Caterham verbales Spießrutenlaufen gesetzt. Junge Kollegen können arg respektlos sein.
"Hi, old man, willste mit Vollgas zurück in die Jugend fahren?" Und: "Na, hoffst wohl, dass die jungen Mädels auf deinen Beifahrersitz hüpfen", das waren noch die netteren Anzüglichkeiten. Mit 60+ ist man abgeklärt und verträgt das. Doch die innere Stimme schaltet auf Provokation: Willst du wirklich nicht mal wieder auf Hasenjagd gehen? Ehrlich, das halbe Männerleben besteht doch daraus. Deine Midlifecrisis ist durch, die Rente in Sicht. Und ist nicht auch ein Flavio Briatore noch ständig auf der Pirsch? Beeile dich, gehmutig auf die Hatz!
Knapp fünf Sekunden bis Tempo 100
Mit zwei Handgriffen sind die "Türen" ausgehängt, deren schlaffer Kunststoff eigentlich mehr so tut, als könne er den Fahrtwind fühlbar abhalten. Mit den Türen verschwinden leider auch die beiden Außenspiegel in dem kleinen Laderaum. Nun die 13 Druckknöpfe des Verdecks gelöst, laut ratscht noch ein Klettverschluss – der Caterham könnte mich jetzt inhalieren.
Ich bekomme echt Respekt vor dem engen Einstiegsschlund. Ob ich den jemals schaffe? Okay, Bauch eingezogen, Gasfuß aufs Bodenblech gezirkelt, mit beiden Händen rücklings auf der Sitzlehne abgestützt, das Kupplungsbein nachgezogen und nun alles laaangsam abgesenkt. Yeah, der Caterham passt plötzlich wie ein Tailor-made-Hemd. Erste Hürde geschafft. Mit dem grünen Maßanzug wächst mein Selbstbewusstsein. Nun die Roadsterhaube gegriffen, die mein schütteres Haar wie eine Tarnkappe gnädig verdeckt. Ich sehe jetzt bestimmt aus wie Charles Lindbergh, denke ich. Die Kollegen gestehen mir später, Quax der Bruchpilot wäre im Vergleich zu mir ein Adonis gewesen. Egal. Der Jungbrunnen muss starten.
Irgendwo unter der Armaturentafel aus Carbon steckt das Zündschloss. Wegfahrsperre entschärft und den Starterknopf gedrückt. Erste Enttäuschung: Der von Cosworth auf 200 PS
gebrachte 2,3-Liter-Ford-Motor benimmt sich anfangs wie ein Pittbull auf dem Weg zum Hundekampf. Er hechelt hektisch, er brabbelt und rasselt und stöhnt. Tempo 30 schätzt er gar nicht, 50 auch am liebsten nur im ersten Gang. Erst wenn das weiße Schild mit den schwarzen Schrägstrichen endlich Fahren ohne Fallen erlaubt, brüllt er befreit los, dreht blitzartig bis an den 7500er-Anschlag. Nur knapp fünf Sekunden sollen vergehen bis 100 km/h, 225 Sachen Spitze versprechen die technischen Daten.
Doch schnell folgt die zweite Erkenntnis: Zum Rasen ist der Caterham nicht geboren. Wenn die Tachonadel so bei 200 pendelt, dann hast du bereits alle Hände voll zu tun, die froschgrüne Nase einigermassen korrekt im Wind zu halten. Wer dieses Experiment gar bei gestripptem Dach wagt, der sollte Brille, mögliche Haarteile und Mütze vorher ablegen. Denn spätestens ab Tempo 100 reisst sie der Orkan vom Kopf. Also rauf auf die Landstraße.
"Iiii, sieht der bescheuert aus!"
Da zeigt Caterham wieder zwei Gesichter. Schaltfaul bewegt, schnürt er durch die Gegend, folgt brav deinen Befehlen. Das straffe Fahrwerk lässt dich stets spüren, ob die gerade überfahrene Zigarettenkippe einen Filter hatte oder nicht. Der durch die winzige Scheibe kaum gebändigte Wind lässt dich riechen, ob du Feld, Wald oder Wiese passierst. Das zweite, das wahre Gesicht lechzt aber gierig nach der Rennstrecke
(siehe AUTO BILD SPORTSCARS 8/06). Da das bisschen Bordelektronik nur im Motor steckt, kannst du hemmungslos mit dem Gaspedal lenken. Kein ESP bevormundet dich, kein ABS optimiert die Bremsung. Mit etwas Übung wird in jeder scharfen Kurve das Seitenfenster zur Frontscheibe, durch die du den weiteren Straßenverlauf erkennen kannst.
Die sechs Gänge lassen sich wie bei einem Vorgelege-Getriebe knüppelkurz und hart reinhämmern, die Zahnflanken rasseln, die Wellen singen das auf- und abschwellende Lied vom Doppler-Effekt. Dabei vermisst du nicht das fehlende Radio, höchstens ein paar Ablagen – und, ja natürlich, eine Copilotin, die diesen Sinnesrausch ebenfalls versteht. Ich fahre auf die Suche. Hamburg-City. Runde 30 Grad im Schatten. Ich kurve schwitzend zwischen Straßencafés und schattensuchenden Menschen herum. Ich rieche, ob einer vor mir schwitzt oder raucht, ob er einen Diesel oder Benziner fährt.
Heiß umwabert mich der Wind – oder ist es gar die Caterham-Kühlluft, die den 47 handgetriebenen Schlitzen der Alu-Motorhaube entweicht? Mein Jagdinstinkt ist geschärft und wird mega-enttäuscht. Weder meine Altersgenossinnen reagieren, noch die Mädels. Ich höre nur, wie eine ruft: "Iiii, sieht der bescheuert aus!" Ich hoffe im Stillen, dass sie nicht Caterham und mich meint. Und wenn doch? Dann entgeht ihr, dass hier gerade der Gegenwert von 48.222 Euro vorüberrollt. Ein handgearbeitetes Teil, von dem pro Jahr gerade mal knapp 600 Stück im englischen Dartford gefertigt werden. Soll die Ignorantin doch in ihren Kleinwagen steigen, denke ich.
Mein Selbstbewusstsein ist wieder angeschnallt. Trost spendet endlich ein Fernfahrer. Von hoch oben ruft er runter: "Super. Suuuper! Was kostet der?" Ich schreie "über 40.000" in den Himmel. Da surrt sein elektrisches Fenster schnell nach oben. Und ich bin mit meinem grünen Frosch wieder allein. Autos machen eben doch keine Leute. Aber war das jemals anders?
Wer selber mal einen Caterham (er)fahren will: Hier kann man sich zur Drift Experience auf dem Nürburgring anmelden!
Technische Daten, Preis und Bewertung
Caterham war von 1959 bis 1973 nichts anderes als der Lotus-Seven-Haupthändler "Caterham Car Services" im Londoner Vorort Caterham. Lotus-Chef Colin Chapman hatte den "Mark 7" bereits 1957 vorgestellt, als leichten Bausatz-Rennwagen für die Straße mit Komponenten von Austin/Nash, Ford, Morris und – seit 1958 – als "Super 7" mit Coventry-Climax- Motor. 1973 verlor Chapman das Interesse an dem Kit-Car und verkaufte Caterham-Chef Graham Nearn Rechte und Werkzeuge für den puristischen Sportler. Der baute ihn im Familienbetrieb weiter, bis er das Geschäft im vergangenen Jahr an die Finanzgruppe Corven Ventures veräußerte. Neuer Geschäftsführer ist jetzt Ansar Ali – bis dato Direktor bei Lotus. Caterham stellt aktuell knapp 600 Autos pro Jahr her.