Geschichte trifft Geschichte. Hier die verblichenen Versatzstücke eines ehemals geteilten Landes, dort die auf Hochglanz polierte sechste Auflage einer Ikone. Ein Ami in Deutschland: der neue Mustang auf den Spuren von Käfer und Rekord, von Trabi und Wartburg. Keine Spritztour zum nächsten Schlagbaum und zurück. Sondern eine Vier-Tage-Reise von Bayern an die Ostsee, 1378 km. Eine Fahrt, geprägt von Gegensätzen, ein Trip durch Epochen, ein langer Ausflug durchs weite Land.

Auch an der Kasse macht der starke Ami große Freude

Ford Mustang
Sportler zum Schnäppchenpreis: Für 42.500 Euro gibt's einen nagelneuen Ford Mustang mit fettem V8.
Mal schier endlose Alleen, großes Panorama mit kleinen Dörfern. Autowäsche 3,95 Euro, Wurstsemmel ein Euro. Dann wieder urbane Enge, Hetze bis spät in die Nacht, Hotels fast unbezahlbar, der Gin Tonic so teuer wie eben noch eine Flasche Rotkäppchen-Sekt. Der Mustang ist ein Fremdkörper, hüben wie drüben. Mehr retro als ein Fünfliter-V8-Sauger geht kaum, mehr Durst als 16,1 Liter im Schnitt auch nicht. Dekadent? Ja, wenn da der Preis nicht wäre. Für 42.500 Euro gibt's das Stahlross aus Detroit inklusive Sattel und Zaumzeug, gebürstet und gestriegelt, bereit für den Military-Marathon entlang der Ex-Zonengrenze. Beim Tanken in Nürnberg bekommen nur Kenner lange Hälse, beim Boxenstopp in Plauen umringen im Nu zwei Dutzend Menschen den abschwitzenden Kraftprotz. In der Hochburg von Dacia und Skoda ist dieser Bock ein Ereignis, fast so wie früher die langen Kader-Karren von Citroën und Volvo. Bitte den Motor hochdrehen, beim Anfahren richtig Gummi geben, quer durch den Kreisverkehr! Breites Grinsen steckt an, ehrlich.

Querfahren ist mit dem Ford Mustang kein Problem

Ford Mustang
Wer will, kann das Ami-Pferdchen fliegen lassen: Der Ford geht bei dosiertem Gaseinsatz schön quer.
Dieses Auto ist eine Evolution seiner selbst: mal bockig und dann wieder geschmeidig, mal ein Wechselbad zwischen souverän und gestresst, mal gleichzeitig übermotorisiert und unterdämpft. Im Testwagen arbeitet kein selbstgefälliger Automat, sondern ein Handschalter. Der Aluknauf flutscht mit Verve durch die Gassen, rastet sauber ein und lässt sich spielerisch führen. Doch leider ist das Getriebe zu lang übersetzt. Die Spitze von 250 km/h wird im Fünften erreicht. Der Sechste will ein spritsparender Schongang sein, zwingt auf der Autobahn aber immer wieder zum Zurückschalten. Weil Drehmomentgipfel (4250/min) und Nenndrehzahl (6500/min) nur durch schmale 2250 Touren getrennt sind, sammeln sich die 524 Nm im großen Gang oft mit Verzögerung. Die Statistik der DDR-Grenzsicherung ist ein Kompendium des Schreckens: 900 Erdbunker, 665 Beobachtungstürme, 808 km Sperrgräben, 996 Hundelaufanlagen, dazu Minenfelder, Selbstschussautomaten, berührungsempfindliche Signalzäune. Entlang des gesamten Grenzverlaufs erinnern Museen und Gedenkstätten an diese dunkle Epoche. Selbst 25 Jahre nach dem Mauerfall zeugen breite grüne Schneisen von der geteilten Republik.
Dieser Mustang ist kein Schwarz-Weiß-Maler mehr, der nur ansatzlos übersteuern oder tierisch untersteuern kann. Stattdessen haben die Ingenieure Licht in die breite Grauzone zwischen den Extremen gebracht und speziell für Europa ein Performance-Paket entwickelt. Der aufpreisfreie Geschenkkorb enthält dickere Stabis hinten, straffer abgestimmte Federn und Dämpfer, eine mit der Stirnwand verbundene Domstrebe und eine verbesserte Kühlung.

Mit der Großstadt fremdelt die Ponycar-Ikone ein wenig

Ford Mustang
Die Großstadt ist nicht sein Revier: kein Auslauf, keine Parkplätze, keine großzügigen Flaniermeilen.
Wir fahren quer durchs weite Land zum Kontrollpunkt Marienborn. Auf dem Weg dorthin liegt, wie praktisch, die Traditionsrennstrecke Schleizer Dreieck, wo der Jockey auf den abgesperrten Abschnitten dem Vollblut so richtig die Sporen geben darf. Das geht zwar auf Kosten der 19-Zoll-Winterreifen, aber dafür schmiegt sich der Ford so cremig um die Scheitelpunkte, als hätte er sein Leben lang nur für die Drift-Challenge trainiert. Schwächen? Die Radaufhängung gibt sich auf unebenem Geläuf mal spröde-staksig und dann wieder teigig-kippelig, die Stabilität würden wir als nonchalant bezeichnen, der Fahrprogramm-Wählschalter verwirrt mit einer Offroad-Einstellung – im Bronco okay, im Mustang eher nicht. Marienborn wirkt wie ein gespenstischer Gänsehaut-Flashback in die eigene Jugend, als wir mit Zwangsumtausch-Ostmark durchs Niemandsland nach Berlin stromten. Das Pony Car hakt sie alle ab, die geschichsträchtigen Stationen der Annäherung, vom Brandenburger Tor über Checkpoint Charlie bis zur Glienicker Brücke. Doch die Stadt ist ein Parcours, auf dem unser Mustang scheut und fremdelt: kein Auslauf, keine Parkplätze, keine großzügigen Flaniermeilen. Deshalb steuern wir ein letztes Mal die Tränke an und nehmen Kurs auf Priwall an der Ostsee.
Geleitet wird der Mustang vom Touchscreen-Navi. Das ist Teil des neuen Infotainment- Pakets, dem besten, das Ford je gebaut hat. Gleiches gilt für den Mustang. Er bietet viel Auto fürs Geld, eine volle Dröhnung des American Way of Driving und jede Menge Fahrspaß im Grenzbereich.
Technische Daten Ford Mustang 5.0 TI VCT V8 Motor V8, vorn längs • Hubraum 4951 cm³ • Leistung 308 kW (418 PS) bei 6500/ min • max. Drehmoment 524 Nm bei 4250/min Spitze 250 km/h • 0–100 km/h k. A. • Antrieb Hinterrad/Sechsganggetriebe Tank 61 l • L/B/H 4784/ 1916/1381 mm • Radstand 2720 mm • Kofferraum 408 l • Leergewicht 1720 kg • EU-Mix 13,5 l S/100 km • Abgas CO2 299 g/km • Preis ab 40.000 Euro.

Fazit

von

Georg Kacher
So viel Auto für so wenig Geld! Selten hat mich ein Auto derart beeindruckt wie der neue Ford Mustang, den es mit V8 schon für 40.000 Euro gibt. Mit dem kultigen Ami sind ganz neue Grenzerfahrungen möglich – nicht nur an der Ex-Grenze.

Von

Georg Kacher