Rentner-Renner mit bösem Blick

Es kommt immer öfter vor: Wir sehen Autos und fragen uns, was wir da eigentlich sehen. Wieder einmal geschehen auf dem markenoffenen Treffen in Fribourg (Schweiz). Wir wußten eine ganze Weile lang nicht, was da vor uns stand. Bis man uns schließlich aufgeklärt hat. Oder hättet Ihr sofort erkannt, daß es sich hier um einen Ford Sierra handelt?

Es ist erstaunlich, was der Franzose Sebastien aus einem biederen Rentner-Auto gezaubert hat. Das Image von Sonntagsfahrern samt Wackeldackel auf der Hutablage hängt dem bis 1992 gebauten Sierra nun mal an wie ein klebriger Kaugummi dem Schuh!

Was kann man dagegen tun, fragte sich der Bürokaufmann. Es wurde gegrübelt und gegrübelt. Die eine oder andere Idee auch schnell wieder verworfen. "Zu extrem", dachten sich Sebastien und seine Kumpels oft. Oder doch nicht? Irgendwann fingen sie an, langsam an dem Ford herumzubasteln.

Zuerst wurde ein gekürztes KW-Gewindefahrwerk verbaut. Dann machten sie sich erst einmal an die Blechbearbeitung. Der obligatorische böse Blick wurde über die Sierra-Scheinwerfer gezogen. Danach mußten Sebastien und seine Kumpels feststellen, daß die Originalscheinwerfer immer noch zu klobig aussahen.

Erst Schlachtung, dann Herzverpflanzung

Schluß, aus, fertig mit dem Allerweltstuning, entschied man. Die extremen Ideen waren doch nicht so schlecht, und man kramte sie wieder hervor. Jetzt ging es so richtig zur Sache. Der Ford wurde komplett geschlachtet. Zum Schluß blieb nur noch die nackte Karosse übrig – die beste Ausgangsbasis für tiefgreifende Veränderungen. Das neue Herz wurde als erstes verpflanzt. Es sollte stärker pochen als das vorherige. Deshalb entschied man sich gleich für das Beste, was Ford zu bieten hat: einen Motor, der den magischen Namen "Cosworth" trägt. Den Einbau des Triebwerks und der Achsen aus dem Sierra Cosworth sowie die komplett stärkere Bremsanlage ließ der Franzose von der Garage Baunet erledigen.

Um dem Ganzen noch etwas auf die Sprünge zu helfen, pflanzte man dem Motor einen größeren Garrett-Turbo vor den Ansaugtrakt und wechselte die Nockenwellen durch deutlich schärfere aus. Wenn man jetzt aufs Gaspedal tritt, dann faucht es ganz schön gierig aus dem nun circa 260 PS starken Aggregat.

Bevor die Jungs das Herz wieder einpflanzten, wanderte das eine oder andere Teil durch das galvanische Bad oder unter die Poliermaschine. Untermauert von Stahlflexschläuchen, vielen Rohren und etwas Airbrush, trägt das natürlich viel zum perfekten Showmotor bei.

Optik-Hilfe vom E36 und Prelude

Um das äußere Erscheinungsbild zu "verfälschen" und für verdutzte Blicke zu sorgen, wurden Scheinwerfer des BMW E36 verbaut. Die sind wesentlich kleiner als die Sierra-Leuchten und gefielen dem Franzosen besser. Um dem aktuellen Tuning-Trend gerecht zu werden, wurden sie gleich mit Xenon-Linsen und Angel-Eyes-Standlichtringen geordert.

Über die Scheinwerfer wurde dann erneut der böse Blick gezogen. Auf die Motorhaube setzte man mittig einen Lufteinlaß von Kustomorphose, der dem Cossi-Motor genügend kalte Luft zufächert. Am Heck ging man ähnlich vor wie an der Front. Man entschied sich auch hier für andere Lichter. Da es für den Sierra noch keine Zubehör-Leuchten in Klarglasoptik gibt, nahm der Franzose eben die des Honda Prelude. Die paßten seiner Meinung nach von der Länge und Optik her am besten zum Sierra-Heck.

Den Rest des Kofferraumdeckels cleante man auf althergebrachte Weise und ergänzte ihn durch einen mächtig ausladenden Heckflügel, ebenfalls von Kustomorphose. Front- und Heckstoßstange sollten genauso wild aussehen wie der Rest des Wagens. Deshalb ließ sich Sebastien bei ACE-Tuning Einzelstücke aus GFK fertigen. Was dabei herausgekommen ist, kann sich durchaus sehen lassen. Vorausgesetzt, man steht auf diese wilden Teile im "Furious-Style".

Innenraum als i-Tüpfelchen

Durch den Heckspoiler schaut die perfekt eingepaßte Links/rechts-Eigenbau-Auspuffanlage hervor und entläßt lauthals die Überreste des verbrannten Super-Kraftstoffs in die Umwelt. Die Türen wurden rundum von allen Griffen befreit und lassen sich nun per Funk öffnen. Die Schweller sind von BMW und konnten ohne große Probleme an dem Kölner befestigt werden.

Um die 7,5x18-Zoll-Vault-Felgen ordnungsgemäß unterzubringen, genügte es, die Kanten zu bördeln. Den letzten Schliff bekam die Karosse durch die Lackierung. Zuerst wurde sie in Spanischrot, eine Originalfarbe von Ford, getaucht. Danach machte sich ACE-Tuning über die Feinarbeiten her und sprühte feinste "Custom-Flames" auf das Blech. Dadurch wirkt der Cosworth brandheiß und fällt richtig auf.

Das i-Tüpfelchen ist ganz sicher der Innenraum. Alle möglichen Plastikknöpfe und Lüftungsdüsen wurden vergoldet, der Rest entweder rot lackiert oder mit weiß-rotem Leder bezogen. Das klobige original Sierra-Lenkrad hätte hier wahrlich viel von der Optik zerstört. Deshalb wurde es durch eines im Custom-Style ersetzt. Es hört auf den Namen "California Giano Carlo" und paßt optisch gut zum "Prorider"-Innenspiegel.

JBL-Amps arbeiten im Untergrund

Um das Ganze noch musikalisch gekonnt in Szene zu setzen, wurde der Kofferraum in GFK ausgekleidet und mit zwei 38er-Audiobahn-Woofern bestückt. Das Airbrush lenkt im ersten Moment etwas ab, doch dann sieht man den verchromten Toshiba-Monitor unter der Kofferraumklappe hängen. Zusammen mit dem kleinen TFT-Monitor im Armaturenbrett kann man sich hier voll und ganz den musikalischen Hochgenüssen einer Musik-DVD hingeben. Die JBL-Amps arbeiten dabei im Untergrund hinter den Rücksitzen. Die gesamte Wumme bringt es auf 146,9 Dezibel. Das paßt dann auch wieder zum martialisch heißen Auftritt des wüsten Sierra.

Von

Sebastian Schulz