Unfassbar: Williams-Rookie Lance Stroll hat vor seinem ersten Grand Prix schon rund 80 Millionen Euro in seine Rennkarriere gesteckt! Er ist damit der reichste Bezahlfahrer aller Zeiten in der Formel 1. Für viele Nachwuchsfahrer ist es ein Ärgernis, dass die Rennteams verstärkt auf Bezahlfahrer, statt auf wahres Talent setzen. Auch wenn Stroll – das untermauert sein Titelgewinn in der Formel-3-Europameisterschaft – beides zu vereinen scheint.
Der neue Formel-1-Sportchef Ross Brawn will sich dieser Problematik annehmen. Und hat schon eine konkrete Idee: „Ideal wäre es, wenn die kleinen Teams eine Art Kindergarten für junge Fahrer wären, vielleicht  sogar verpflichtend“, so Brawn zu ESPNF1. Konkret schlägt der 62-Jährige vor, das Draft-System aus den amerikanischen Profiligen zu übernehmen.
Brawn erklärt: „Man könnte über ein Draft-System nachdenken, bei dem die Jungs in ihrer ersten Saison für ein kleines Team fahren müssen, ehe sie in ein Spitzenteam wechseln.“ Dabei dürfte sich die schlechteste Mannschaft zuerst einen Fahrer auswählen, die beste zuletzt.

Kommentar von ABMS-Redakteur Michael Zeitler

Brawns neue Vorschläge sind unnötig und gehen am eigentlichen Problem vorbei. Schon die Umsetzung ist nicht machbar: Welche Teams sollen denn verpflichtet werden auf Nachwuchsfahrer zu setzen? Wo zieht man die Grenze? Bei Platz sechs in der Konstrukteurs-WM? Was, wenn ein Team wie Red Bull oder Ferrari ein Jahr verpatzt und auf Rang sechs abrutscht? Gilt das dann auch für diese Spitzenteams?
GP2 Series
Die Nachwuchsserien haben derzeit große Probleme
Fakt ist: Das eigentliche Problem in der Formel 1 sind die horrenden Kosten. Die zwingen gerade die kleinen Teams auf Bezahlfahrer zu setzen. Nur so können sie überleben. Weil sie auch vom Preisgeldtopf im Vergleich zu den Spitzenmannschaften nur eine kleine Summe bekommen. In Brawns Version wird das schlechteste Team nicht unbedingt den besten Neuling verpflichten, sondern den zahlungskräftigsten.
In der Realität würde sich also auch unter Brawns Regelung nicht viel ändern. Es ist heute ja auch schon völlig normal, dass die kleinen Teams der Kindergarten für Nachwuchsfahrer sind. Ferrari hat zuletzt 1973 mit Arturo Merzario einen Neuling an Bord geholt, Mercedes verpflichtet für 2018 lieber Valtteri Bottas als den eigenen Junior Pascal Wehrlein.
Die Zahlen sind auf den ersten Blick tatsächlich alarmierend: In den letzten fünf Jahren gab es in den bedeutendsten Nachwuchsserien GP2, Formel-3.5, GP3 und Formel-3-EM 20 Meister. Nur 15 davon schafften den direkten Aufstieg in die Formel 1. Aber: Nicht immer werden die besten Nachwuchsfahrer auch Meister, weil auch in den Einheitsserien die Einsatzteams oft einen Unterschied ausmachen. Wie in der Formel 1 gilt: Um Meister zu werden, muss man im besten Auto sitzen.
Das Nachwuchsproblem hat nicht die Formel 1, sondern die Nachwuchsserien selbst. Dort sind die Kosten ebenfalls zu hoch, die Starterfelder sinken, weil nur wenige junge Fahrer das Geld für eine Teilnahme an der GP2 oder der Formel-3.5 aufbringen können. 2007, also vor zehn Jahren, brachten die beiden wichtigsten Nachwuchsserien noch 56 Fahrer an den Start, 2016 nur noch zwischen 34 und 38 – und 2017 dürften es noch weniger werden.
Und dann braucht die Formel 1 auch wieder mehr Teams. 1989 waren es noch 20 Teams und 39 Cockpits. 2016 sind nur es nur noch zehn Mannschaften und 20 Cockpits. Es gibt also einfach weniger Formel-1-Sitze, die Nachwuchsfahrern potenziell zur Verfügung stehen. An diesen Hebeln müsste Ross Brawn ansetzen.

Von

Michael Zeitler