Sao Paulo
Auf der Strecke ohne Fehler: Im ersten Sao-Paulo-Training gab Lewis Hamilton schon wieder den Ton an
Am Wochenende gastiert die Formel 1 zum vorletzten Saisonlauf 2015 in Brasilien. Die erste Trainingssitzung am Freitagvormittag (Ortszeit) verlief auf dem 4,309 Kilometer langen Kurs von Interlagos weitestgehend ereignislos und diente einmal mehr dazu, die große Dominanz von Mercedes unter Beweis zu stellen. Für den einzigen Aufreger sorgte Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen, der sich nach einem kapitalen Verbremser durchs Kiesbett drehte. Am Ende belegte der Finne, der sich an Ort und Stelle im Jahr 2007 zum bisher letzten Ferrari-Champion gekürt hatte, den fünften Rang, hinter beiden Silberpfeilen, Teamkollege Sebastian Vettel und Daniel Ricciardo im Red Bull. An der Spitze gab einmal mehr Weltmeister Lewis Hamilton den Ton an. Eine halbe Sekunde brummte er Rivale Nico Rosberg auf – in der Formel 1 eine kleine Welt. Hamilton ist gleich in mehrfacher Hinsicht der Mann der Stunde in der Königsklasse. Vor drei Wochen holte er in Austin seinen dritten WM-Titel.
So lief das zweite Freitagstraining in Sao Paulo: Rosberg mit Bestzeit

Zu viel gefeiert: Crash im Pagani

Seitdem fällt der Brite aber vor allem abseits der Rennstrecke durch Negativschlagzeilen auf. Geläutert hatte sich Hamilton die letzten anderthalb Jahre präsentiert, wenig war übrig geblieben von den Eskapaden, mit denen er sich in der Vergangenheit ein ums andere Mal selbst ausgebremst hatte. Zur Belohnung gab es mit den WM-Titeln 2014 und 2015 sportlichen Erfolg und auf der Strecke den wohl besten Lewis Hamilton, der je zu sehen war. In den Tagen seit seinem dritten Titelgewinn fürchtet der ein oder andere Beobachter aber einen Rückfall in alte Muster. Er sei noch lange nicht am Ende, erklärte Hamilton jüngst, wohl mit Blick auf seine sportlichen Ziele. „Ich bin jetzt in einer Phase der Reflexion und der Entdeckung“, sagte der Brite. Am vergangenen Montag ergründete Hamilton erst einmal die Limits seines zwei Millionen Euro teuren Pagani Zonda. Und fand sie in Form geparkter Autos in seiner Wahlheimat Monte Carlo – um 03.30 Uhr morgens, wohlgemerkt.
Unfall in Monaco: Hamilton crasht Pagani Zonda
Pagani Zonda
Schnelles Spielzeug, teure Reparatur: Diesen Pagani Zonda crasht Hamilton auf den Straßen Monacos
Am Rande des Grand Prix in Sao Paulo kamen nun immer mehr Hintergründe des Unfalls ans Licht, den Hamilton unter der Woche via Instagram selbst publik gemacht hatte, um nach eigener Aussage „geldgierigen Leuten“ und den Medien vorzugreifen. „Es war das Resultat von heftigem Feiern und wenig Erholung innerhalb der letzten Tage“, räumte der Brite in Bezug auf den Crash ein, der sich auf dem Rückweg von der Party anlässlich des 60. Geburtstags seiner Mutter ereignete. Seit seinem Titelgewinn habe er praktisch durchgefeiert, dabei sei auch viel Alkohol geflossen – nicht allerdings an besagtem Unfallabend, wie die Polizei in Monte Carlo mittlerweile bestätigte. „Herr Hamiltons Fuß ist vom Brems- und Kupplungspedal abgerutscht, woraufhin er drei parkende Autos gestreift hat“, teilte ein Sprecher im Fürstentum mit.

Button spottet über 'arroganten' Hamilton

Wegen des Unfalls reiste der Champion einen Tag später als geplant nach Brasilien, ließ dafür einige Sponsorentermine platzen. Zunächst war noch von Fieber als Grund für die Flugverschiebung berichtet worden. Als Hamilton dann endlich im Paddock von Interlagos saß, hatte sein Auftritt fast schon komödiantische Züge. „Es gehören viele Dinge dazu. Vor allem aber Fokus. Der Fokus ist der Schlüssel, denn wenn der dir fehlt, hast du nichts“, sprach Hamilton über sein Erfolgsrezept. Manch einer konnte sich im Licht der jüngsten Vorkommnisse bei diesen Zielen ein Lachen nicht verkneifen. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott bekanntlich nicht zu sorgen. Auch unter den Fahrerkollegen war Hamiltons Crash Thema. Und nachdem der Brite sich zuletzt bei diesen nicht besonders beliebt gemacht hatte, setzte es nun Hohn.
Button & Rosberg
Jenson Button (l.) ist Hamiltons Ex-Teamkollege, Nico Rosberg (r.) fährt aktuell neben dem Briten
Darauf angesprochen, ob ihm auch schon einmal einen peinlicher Fauxpas im Straßenverkehr unterlaufen sei, antwortete beispielsweise Hamiltons Ex-Teamkollege Jenson Button: „Nein, aber ich hatte zu meiner Formel-3-Zeit ein gelbes Auto und obwohl es wirklich leuchtend gelb war, wurde mir auf den Parkplätzen dieser Welt andauernd reingefahren. Heute muss man fragen: Vielleicht war es Lewis?!“ Trotz aller Scherze, gut zu sprechen ist Button auf Hamilton derzeit nicht. Nachdem der Weltmeister zuletzt für sich beansprucht hatte, ein kompletter Fahrer zu sein und die anderen Piloten nur dann gewinnen könnten, wenn er Fehler mache, fragte Button: „Das hat er gesagt? Puh... ganz schön arrogant. Er ist ziemlich schnell überheblich geworden.“ Bis heute ist Button Hamiltons einziger Teamkollege, der ihn je über eine Saison schlagen konnte. 2011 bei McLaren war das der Fall.
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Kluft zu Rosberg wächst weiter

In den drei gemeinsamen Jahren in Woking verfügt Button sogar über eine positive Punktebilanz gegenüber Hamilton (672:657). Daher rüffelte er den 30-Jährigen: „Keiner von uns ist komplett. Wenn wir sein Auto hätten, könnten wir ihn sicher schlagen. Er ist sehr talentiert, macht einen tollen Job. Aber auch er hat Schwächen.“ Button: „Wenn du ihn in ein gleiches Auto mit Vettel, Fernando (Alonso; d. Red.) oder mir setzt, sieht es für ihn anders aus und es wäre schwer für ihn. Er hätte dann nicht das Vertrauen in die Situation. Aktuell ist er in einer sehr komfortablen Position und hat außer seinem Teamkollegen keinen ernsten Konkurrenten.“ Eben dieser Teamkollege, Nico Rosberg, nutzte Hamiltons Ausrutscher auf den Straßen Monacos, wo auch der Deutsche seit Jahren lebt, für die nächste Spitze im andauernden Duell der beiden Silberfeinde.
King Lewis
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„Nein, so etwas ist mir noch nie passiert. Da fällt mir zum Glück nichts ein“, sagte Rosberg angesprochen auf Hamiltons peinlichen Fauxpas und schob genüsslich grinsend hinter: „Peinlich würde ich das jetzt nicht gerade nennen. Eher teuer...“ Seit ihrer Berührung am Start des WM-Rennens von Austin und dem Zoff um die Teamtaktik beim letzten Grand Prix in Mexiko, wirkt die Beziehung der beiden Rivalen so unterkühlt wie schon lange nicht mehr. „Ich weiß, dass das Team extra warmherzig sein wollte”, stichelte Hamilton nach Rosbergs Sieg vor zwei Wochen und deutete an, dass das Team Rosberg als Trost für den verlorenen Titel den Sieg geschenkt habe: „Fragt Toto (Wolff; d. Red.) und Niki (Lauda; d. Red.) mal, was sie dazu sagen. Was sie hinter den Kulissen tun müssen, um Nico bei Laune zu halten.“

Ärger mit Schumacher-Fanklub

Was Mercedes’ sportliche Führungsspitze allerdings tun muss, um Hamilton im Zaum zu halten, darüber lässt sich nur mutmaßen. Der Weltmeister scheint einmal mehr außer Rand und Band. Einziger Vorteil: Hamiltons Fehltritte in diverse Fettnäpfchen reihen sich derzeit so rasend schnell aneinander, dass sie keine lange Verweildauer in den Schlagzeilen haben. Denn dann folgt meist schon das nächste Missgeschick. Erst kürzlich hatte sich der Brite mit den Anhängern von Michael Schumacher angelegt. „Ich habe nie solche Aktionen wie Michael gemacht, um einen Titel zu gewinnen. Ich habe meine Titel auf natürliche Art und Weise gewonnen“, sagte er. Nach einem Shitstorm durch den Fanklub des Kerpeners entschuldigte sich Hamilton kleinlaut.
Mercedes
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Dem Mercedes-Team, für das der deutsche Rekordweltmeister zwischen 2010 und 2012 ebenso fuhr, dürfte das genauso wenig gefallen haben, wie Hamiltons Auftritt bei einer Party in New York, bei der er in einem der nur 499 produzierten Exemplare des Supersportwagens LaFerrari vom Hauptkonkurrenten aus Maranello vorfuhr – vom Crash im Pagani Zonda ganz zu schweigen, denn wie alle Rennställe ist auch Mercedes Teil der Fahrsicherheitskampagne der FIA im Straßenverkehr. Das Kniffelige für die Silberpfeil-Bosse: Solange Hamilton auf der Strecke solche Ergebnisse abliefert wie aktuell – Stichwort halbe Sekunde Vorsprung im Interlagos-Training – ist er über alle Zweifel und Kritik erhaben. Der Champion weiß das. Und macht deshalb munter weiter was er will...

Von

Frederik Hackbarth