Formel 1: Schumis Fahrstil
Schumachers geheime Kurventechnik

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Teil 3 unserer Serie zu Schumis 50. Geburtstag. Sein Fahrstil machte ihn zum erfolgreichsten Rennfahrer der Welt. Sein Geheimnis: eine Kurventechnik.
Großer Preis von Ungarn 1998. Runde 43. Ferrari-Technikchef Ross Brawn fordert am Boxenfunk: „So, Michael, du hast jetzt 19 Runden, um 25 Sekunden Vorsprung heraus zu fahren.“ Die leicht sarkastische Antwort seines ersten Fahrers aus dem Cockpit: „Recht herzlichen Dank!“ Pro Runde 1,3 Sekunden schneller sein als bisher. Eigentlich eine unmögliche Mission. Aber nur so kann Schumi auch nach seinem dritten Boxenbesuch seine Führung vor David Coulthard behaupten.
Und tatsächlich: Der Kerpener brennt eine Rekordrunde nach der anderen auf den Asphalt. Am Ende hat er 29 Sekunden Vorsprung. Die reichen locker zu Stopp und Sieg. „Michael ist von der ersten bis zur letzten Runde in der Lage, seinen Rhythmus beizubehalten, ohne Fehler und ohne nachzulassen“, schwärmt Ross Brawn danach, „diese Konstanz ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir gewagte Rennstrategien ausarbeiten.“
Und gerade solche Rennen wie Ungarn 1998 könne man eben nur mit einem Michael Schumacher gewinnen. Aber was machte den Mann, der es später zu sieben WM-Titeln bringen sollte, so schnell? Was genau war dieser legendäre Schumi-Faktor?

Schumi und Jean Todt feiern den Ungarn-Sieg 1998
Eben das spezielle Gefühl in Händen, Füßen und Hinterteil. Schumis „Popometer“ war sensibler als der aller anderen Fahrer. „Michael Schumacher war einfach perfekt“, lobt Peter Windsor. Der englische Journalist hat sich intensiv mit dem Fahrstil des Rekordweltmeisters auseinandergesetzt und sein Steuer-Geheimnis gelüftet: „Michael orientierte sich in einer Kurve nicht am geometrischen Scheitelpunkt, sondern an der langsamsten Stelle“, erklärt Windsor. Diese könne je nach Bodenbeschaffenheit, Neigung der Straße oder Setup des Autos variieren. „Viele Fahrer verwechseln den langsamsten Punkt aber mit dem Kurvenscheitel. Deshalb lenken sie falsch ein und gehen länger vom Gas als Michael.“
Schumacher selbst hat das rückblickend so beschrieben: „Mein Stil ist ruhig und gleichmäßig. Ich bemühe mich, immer am Limit zu fahren, nicht nur in einem Teil der Kurve, sondern von Anfang bis Ende. Manche sind beim Kurvenausgang am Limit, aber nicht, wenn sie hereinkommen oder im Scheitel. Sie geben Gas, wenn sie aus der Kurve kommen, aber damit holen sie den vorherigen Verlust nicht auf.“Teil 2 der Schumacher-Serie zum 50. Geburtstag: Schumi und Senna – die ganze Story
Doch das sogenannte Limit, die Haftgrenze, war aber nicht allein entscheidend. „Michael hat auch die dynamische Gewichtsverteilung perfekt gemanagt“, erklärt Fachautor Windsor, „sein Zusammenspiel zwischen Lenkrad, Bremse und Gaspedal ist immer darauf ausgerichtet, die plötzliche Gewichtsverlagerung von hinten nach vorn beim Bremsen, und von vorn nach hinten beim Gasgeben in Grenzen zu halten.“

Seine Fahrzeugbeherrschung lernte Schumi im Kart
Peter Windsors Fazit: „Während ein ,Standard-Fahrer‘ hart in eine Kurve hineinbremst und erst nach dem Scheitelpunkt wieder Gas gibt, spielte Schumacher mit Gas und Bremse zugleich. Er ging nie ganz vom Gas, stand aber selbst im Kurvenausgang noch immer leicht auf der Bremse. So balancierte er das Auto perfekt aus.“
In anspruchsvollen Ecken war der Kerpener deshalb bis zu 25 km/h schneller als seine Gegner und Teamkollegen. „Michael hatte die Fähigkeit, sein Auto in gewissen Kurven haften zu lassen, die wir nicht in so einem Tempo geschafft hätten“, staunt Ex-Teamgefährte Martin Brundle noch immer. 1994 klagt Benetton-Kollege Jos Verstappen sogar, dass er mit Schumis extrem übersteuerndem, also mit dem Heck leicht ausbrechendem Auto nicht fahren könne.

Von Beginn an ein Ausnahmekönner am Volat
Extraklasse im Lenken. Und einsame Spitze im Denken. Beispiel: Spa 1992. Schumi rutscht von der langsam abtrocknenden Piste. Teamkollege Brundle zieht vorbei. Und obwohl der Kerpener seinen Benetton gerade hochkonzentriert zurück auf die Strecke bugsiert, hat er noch ein Auge, um Blasen auf Brundles Hinterreifen. zu entdecken. Schumi schlussfolgert: „Meine Reifen sehen genauso aus. Ich muss an die Box.“
Teil 1 der Schumacher-Serie: Kart, Cola und Krafttraining
Der kluge Wechsel von Regenreifen auf Slicks katapultiert ihn an die Spitze. Und beschert dem 23-Jährigen seinen ersten GP-Sieg.
„Abgesehen von all den offensichtlichen Qualitäten wie Schnelligkeit, Konzentration und Fitness braucht ein erfolgreicher Rennfahrer genau diese Übersicht“, bestätigt Ross Brawn. „Ich erinnere mich an Portugal 1995, als Michael Damon Hill an einer Stelle überholte, an der es kein Mensch erwartet hätte – in einer langsamen, engen Kurve. Michael hat vorher genau darüber nachgedacht und ist, um sicherzugehen, dass er bei der Durchführung des Manövers nicht die Kontrolle verliert, schon in den vorherigen Runden eine ungewöhnliche Linie gefahren. Solche Überlegungen bezieht Michael in seine Rennen mit ein.“
Schumi: Zu seinen Hochzeiten mit Ferrari unschlagbar
Wie in Belgien 1995: Da kämpfte sich Schumi im Regen von Platz 16 auf eins. Oder in Spanien 1996. Wo er mit bis zu drei Sekunden schnelleren Rundenzeiten seinen ersten Ferrari- Sieg holte. Der Ausnahmekönner Michael Schumacher – er war immer am Limit, nur selten darüber. Aber: „Wenn ich vom Grenzbereich rede, dann meine ich immer das Auto“, sagte er.
An sein persönliches Limit ist der Driftkünstler scheinbar nie gekommen. Anders ausgedrückt: Kein Auto war für diesen Mann zu schnell.
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