Kurz bevor es losgeht, beugt sich Nick Heidfeld (42) zum Cockpit runter. Drückt mir noch einmal das DIN-A4-Blatt mit der Streckenskizze des Circuit de Calafat in die Hände. Mahnend zeigt er auf die schmalen Schikanen, die wie Parkbuchten neben der eigentlichen Strecke liegen. „Fahr‘ besser nicht über die Kerbs, die dürften noch feucht sein“, prophezeit der ehemalige Formel-1- und Formel-E-Profi. Kurz vor dem Tracktest ist über die spanische Test- und Rennstrecke, zwischen Barcelona und Valencia gelegen, ein kurzer, aber kräftiger Regenschauer niedergegangen.
So lief der Saisonauftakt in Saudi Arabien: Hier klicken
Die Kurvenkombinationen, die Heidfeld anspricht, sind erst über die letzten Jahre an die ursprüngliche Streckenführung angebaut worden. Denn sie kommen mit ihren engen Radien und kurzen Abständen zwischen den Scheitelpunkten denen der Stadtkurse des Formel-E-Rennkalenders nahe. Kein Wunder, dass Calafat damit für Testfahrten bei den Teams der rein elektrischen Rennserie beliebt ist – und die Zusatzschikanen sogar nach fünf Formel-E-Teams benannt sind.
Eine enge Kiste
Tipps vom Profi: Nick Heidfeld gibt Autor Martin Westerhoff letzte Instruktionen mit auf den Weg.
Eines davon ist Mahindra. Der indische Autohersteller und seine Tochter Automobili Pininfarina sind mit zwei ausgedienten Monoposti der ersten Generation angerückt. In erster Linie sollen sich damit die Kunden und Interessenten des elektrischen Supersportwagens Battista ans schnelle elektrische Fahren gewöhnen. AUTO BILD MOTORSPORT darf auch ran. Also los. Fahrlehrer Nick Heidfeld hebt den Daumen. Die Mechaniker schalten von außen das Antriebssystem scharf. Einmal am Lenkrad die Fahrstufe aktivieren – und los geht’s.
Leise, aber schrill säuselnd geht es raus auf die Strecke. Die Beine sind – typisch Formelauto – fast im rechten Winkel vom Oberkörper abgewinkelt. Mit dem linken Fuß bremsen ist Ehrensache. Erst einmal lasse ich es ruhig angehen – Reifen und Bremsen sind kalt. Beim Hochbeschleunigen auf der ersten Geraden ist es schwierig, ein Gefühl für die Geschwindigkeit zu bekommen. Das, was die Zuschauer an schrillem Motorsound hören, übertönt schon bei niedrigem Tempo der Fahrtwind am Helm. Kein lautes Hochdrehen wie bei einem Verbrennungsmotor, keine Schaltlampen. Wer das gewohnt ist, muss seine Sinne erst einmal sensibilisieren.
Die erste der Zusatz-Schikanen naht. Sie ist eng, sehr eng. Fast so, als würde die Strecke in eine Kartbahn übergehen. Einlenken in die Rechtskurve. Das fast ovalförmige Lenkrad drehe ich so weit, dass ich meine rechte Hand über beide Oberschenkel wegbewege, sich meine Arme fast kreuzen. Spätestens jetzt wird mir klar, warum Nick vorher erklärt hat, wie man am besten umgreift. Denn nun gilt es, mit fast verknoteten Armen rasch in die Gegenrichtung zu kurbeln, um die Linkskurve zu kriegen. Und aufs Fahrpedal. Blitzschnell reagiert der E-Antrieb, beschleunigt raus auf die nächste Gerade.
Eine enge Kiste
Am fast ovalförmigen Lenkrad muss der Fahrer nur einmal schalten – zum Losfahren.
Doch irgendwie fehlt hier der Schub. Nach den maximal 200 Kilowatt, also 272 PS, die die Teams mit den Fahrzeugen der ersten Generation im Qualifying abrufen durften, fühlt sich das nicht an. Auch nicht nach 180 Kilowatt oder 245 PS, die der Rennmodus erlaubte. Nur zögerlich nimmt der Mahindra Fahrt auf. Später erfahre ich: Die Leistung hat das Team für den Test sicherheitshalber auf 120 Kilowatt gedrosselt, also auf 163 PS. Das bedeutet bei den 880 Kilogramm Gewicht dieses Formel-E-Rennwagens: Jedes PS trifft auf stolze 5,4 Kilogramm Fahrzeugmasse.
Das entspricht, je nach Motorvariante, in etwa dem Leistungsgewicht eines aktuellen Golf GTI. Schade, denn das vereitelt einen echten Eindruck der Fahrleistungen. Und erlaubt leider auch keinen Vergleich mit einem Formel E der aktuellen zweiten Generation (einen Tracktest des DS E-TENSE FE19 lesen Sie im AUTO BILD MOTORSPORT Sonderheft zur Saison 2019, das ab dem 06. Dezember erhältlich ist).
Nach einer Runde schwenken die Streckenposten die rote Flagge, das Signal, zurück an die Box zu kommen. Während ich zurückrolle, verstehe ich die Formel E wieder einmal ein Stück besser. Nicht schalten müssen klingt vermeintlich so, also sei Formel-E-Fahren eine Leichtigkeit. Die engen Stadtkurse haben es aber sicher in sich – vor allem dann, wenn in harten Zweikämpfen nebenbei noch mit der Energie hauszuhalten ist. Und anders als in Calafat stehen dort neben der Fahrbahn meistens Mauern.

Von

Martin Westerhoff