Welchen Reifentyp soll ich im Winter fahren? Spätestens seit Änderung von Paragraph zwei der Straßenverkehrsordnung interessiert Autofahrer diese Frage mehr denn je. Vor allem wegen des Hinweises unter Absatz 3a: "Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Hierzu gehören insbesondere eine geeignete Bereifung ..." Was eigentlich für mehr Sicherheit auf unseren Straßen sorgen sollte, schafft tatsächlich nur mehr Verunsicherung bei den Autofahrern. Denn weder "winterliche" Witterungsverhältnisse noch die dafür "geeignete Bereifung" sind in irgendeiner Form definiert. Nur über das Bußgeld von bis zu 40 Euro und den Strafpunkt in Flensburg bei Zuwiderhandlung besteht Rechtssicherheit. Also: ein echter Gummiparagraph. Jetzt versucht das Verkehrsminsterium, die Presse in die Pflicht zu nehmen: "Verantwortungsvolle Verkehrsteilnehmer können sich regelmäßig in einschlägigen Veröffentlichungen der Autofachpresse kundig machen, welche Reifen für das Fahren bei winterlichen Verhältnissen mit Schnee und Eis empfohlen werden."
Fall für den Abschlepper: Mit Sommerreifen hatte der Golf schon an leichten Steigungen große Probleme.
Fall für den Abschlepper: Mit Sommerreifen hatte der Golf schon an leichten Steigungen große Probleme.
Eigentlich eine Frechheit, trotzdem stellen wir uns der Aufgabe. Besonders oft werden wir derzeit zur Qualität von Ganzjahresreifen befragt. Sie sollen ohne lästigen Wechsel 365 Tage im Jahr bei Temperaturen von mehr als 40 Grad Celsius bis weit unter den Gefrierpunkt für ausreichende Sicherheit sorgen. Kann das überhaupt funktionieren? Namhafte Reifenhersteller wie Bridgestone, Continental und Michelin erteilen dem Ganzjahresreifen eine klare Absage. "Optimale Sicherheit in allen Fahrsituationen hat man nur dann, wenn man rechtzeitig auf Sommer- und Winterreifen umrüstet", erklärt Dr. Burkhard Wies, Leiter der Pkw-Reifenentwicklung bei der Continental AG. "Schnee von gestern," kontert Pressesprecher Christian Fischer vom Reifenhersteller Goodyear, "Dank neuer Technologien ist der Ganzjahresreifen für viele Autofahrer eine sichere Alternative." Wirklich?

Rote Karte für Kumho und Toyo

AUTO BILD wollte es genau wissen und hat die aktuellen Ganzjahresreifen in der Standard-Golf-Dimension 195/65 R 15 auf Schnee, Nässe und auf trockener Piste getestet. Als Maßstab dient bei allen Tests ein typischer Vertreter der Sommer- wie der Winterreifenfraktion. Bei sommerlichen 21 Grad Celsius kann zunächst der Sommerreifen seine Trümpfe ausspielen. Beim Bremsen aus Tempo 100 steht er nach nur 38,4 Meter. Der Pirelli P 2500 als bester Bremser unter den Ganzjahresreifen braucht bereits eine Fahrzeuglänge mehr. Noch eine knappe Wagenlänge später kommt der Winterreifen zum Stehen. Neben der weicheren Gummimischung verhindern die für den Schneegrip so wichtigen kleinen Einschnitte im Profil (Lamellen) ein besseres Abschneiden. Doch auch die beiden All Season von Kumho und Toyo bremsen lediglich auf Winterreifen-Niveau und bekommen dafür die Rote Karte.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Auch auf nasser Piste können die Ganzjahresreifen beim Bremsen nicht mit dem deutlich stabileren Sommerspezialisten standhalten. Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt bricht die Leistung des Sommerreifens allerdings dramatisch ein. Auf festgefahrener Schneedecke braucht er im Vergleich zum Winterreifen einen mehr als doppelt so langen Bremsweg. Die Ganzjahresreifen von Goodyear, Toyo und Vredestein sind dagegen bei Schnee und Eis in ihrem Element. Sie liegen zwar immer unter dem hohen Leistungsniveau des reinen Winterreifens, verdienen aber in jedem Fall das Prädikat wintertauglich und das Gütesiegel mit der Schneeflocke. Selbst die nicht ganz so frostsicheren Kandidaten von Hankook, Pirelli und Kumho sind für den gelegentlichen Einsatz bei Schnee und Eis immer noch ausreichend geeignet. Und an den vielen trüben, regnerischen Wintertagen in unseren Breiten ist ein guter Ganzjahresreifen immerhin eine überlegenswerte Alternative.

Fazit von AUTO BILD-Redakteur Dierk Möller-Sonntag

Kein Wintermärchen: Im Protokoll werden Stärken und Schwächen der getesteten Ganzjahresreifen vermerkt.
Kein Wintermärchen: Im Protokoll werden Stärken und Schwächen der getesteten Ganzjahresreifen vermerkt.
 Mit einem Satz Reifen sicher und ohne lästiges Umrüsten durch das ganze Jahr zu kommen, ist eine verführerische Vorstellung. Doch um allen Witterungsbedingungen gerecht zu werden, muss der Ganzjahresreifen viele Kompromisse bei Konstruktion und Gummimischung eingehen. Zu echten Spitzenleistungen taugt er deshalb nicht. Wer in schneereichen Gebieten immer mobil sein muss, kommt deshalb am Winterreifen nicht vorbei. Auch Vielfahrer und Fahrer PS-starker oder schwerer Fahrzeuge sollten zu ihrer eigenen Sicherheit am Wechsel zwischen Sommer- und Winterreifen festhalten. Wer aber überwiegend in gemäßigten Klimaregionen mit wechselnden Witterungsbedingungen unterwegs ist, für den ist ein Ganzjahresreifen mit einer ausgeglichen guten Leistung wie der Goodyear Eagle Vector + eine echte Alternative.

Test Winterreifen 225/40 R 18 V
Test Winterreifen 235/55 R 17
Test Winterreifen 205/55 R 16