Dicke Spoilerlippen, Endlos-Endrohre, kaum Abstand zum Asphalt. Beim Grachan-Tuning ist alles erlaubt. Vieles jedoch nicht legal. AUTO BILD zeigt den Trend!
Plüschig: Auch innen gilt das Gesetz des Schrägen, Abgefahrenen. Extravaganz ist alles!
Was für eine Tüte! 1,60 Meter lang, zwei Doppelendrohre, lila und rosa lackiert. Und vor allem: nur aufgesteckt, falls die Polizei kommt. Denn die fürchtet Wataru Kido, wenn er nachts in seinem Nissan Cedric über die Straßen Tokios schlingert, im Zickzack-Kurs über weiße Linien wischt. Straßenverkehrsordnung? Nebensache an diesem Abend. Der Autolackierer will anders sein im sonst so disziplinierten Japan, wo hupen als unfein gilt, alle ruhig, besonnen und niemals zu schnell fahren. Doch auch Watarus Werk hat viel mit Disziplin zu tun. Etliche Feierabende gingen drauf, bis aus der etwas spießigen, 35 Jahre alte Stufenhecklimousine ein echter Grachan-Kracher wurde. Grachan – so nennt sich das Tokio-Tuning.
Zickzack auf der Straße fahren, weil es Spaß macht!
Rauchzeichen: Toyota Cresta, weit weg vom Originalzustand der 80er.
Was gefällt, ist erlaubt. Allerdings nicht von Amts wegen. Doch das interessiert Tokios tollkühne Tuner kaum. Hauptsache dicke Spoiler-Lippe, Zickzack-Karosserien und immer eine Hand breit Abstand zum Asphalt. Der Begriff Bodenfreiheit wäre bei so wenig Tiefgang total fehl am Platz. "Schalldämpfer und Kat habe ich rausgenommen", sagt Wataru, der an diesem Abend ganz konspirativ vor einem abgelegenen Imbiss am Stadtrand auf seine Kumpels wartet. Mit einem Dutzend ihrer schrägen vierrädrigen Freunde wollen sich die Tuner auf dem Gelände einer abgelegenen Spedition treffen, die meisten Männer sind zwischen 18 und 48 Jahre alt. Automarken und -modelle sind unter eimerweise Spachtelmasse nur im Ansatz zu erkennen: Die Nissan-Modelle Skyline, Gazelle, Bluebird sind vertreten, ebenso Toyota Mark II, Soarer und Cresta. Alles altes Blech, meist aus den 70er- und 80er-Jahren. Und garantiert nicht mehr im Originalzustand.
Für die Rennstrecke ungeeignet
Posen für die Kamera mit Zigarette! Wataru Kido und sein Nissan.
Wofür auch die kleine Werkstatt von Katsutoshi Ito verantwortlich ist. Hier fräst, spachtelt, schraubt und schweißt der Familienvater an immer neuen Kreationen. Vorbilder für Grachan-Tuner sind japanische Tourenrennwagen aus den 80er- Jahren. Ito: "Meine Nachbauten sind noch viel abgefahrener und wären für die Rennstrecke vollkommen ungeeignet." Was eben auch für den Straßenverkehr gilt. Doch Tokios Tuner haben so ihre Tricks. Schnell abnehmbare Auspuffrohre sind das eine, die Sache mit dem Reifendruck eine andere Finte.
120 Tage Fahrverbot
Geschickt: Katsutoshi Ito verbraucht für seine Kreationen eimerweise Spachtelmasse.
Naht die Hauptuntersuchung, werden alle Pneus stark aufgepumpt. "Bringt einen Zentimeter Höhe", sagt Ito. Und wenn die Polizei trotzdem meckert? "Am besten ganz schnell abhauen", sagt Ito, der sich als junger Mann wegen eines besonders irren Umbaus mal 120 Tage Fahrverbot eingehandelt hat. Nicht erwischen lassen sollte sich auch Takahashi Hiroaki. Aus seinem 1978er Nissan Skyline hat er kurzerhand ein Cabrio gesägt. Wie das geht? Der 44-Jährige deutet an, eine Flex in den Händen zu halten. "Alles Handarbeit", sagt der Lkw- Fahrer stolz. "Wenn eine Streife mich stoppt, rede ich mit denen." Das habe immer geholfen. Vielleicht wollten die Beamten auch nur ein wenig staunen – über Tokios tollkühne Tuner.