Beide bieten Luxus mit sportlichem Anspruch: Bentley Continental GT Speed und Mercedes CL 65 AMG verbinden Schnelligkeit und höchsten Fahrkomfort. Aber welcher hat auf der Piste die Nase vorn?
Willkommen im Club der Millionäre. Zumindest für die Länge dieses Textes, der sich mit zwei äußerst luxuriösen Coupés befasst. Und die ketzerische Frage stellt: Wie sportlich lassen sich diese beiden, satt über zwei Tonnen wiegenden Luxusliner auf der Rennstrecke bewegen? So etwas macht man nicht? Aber klar doch machen wir das. Schließlich bieten die beiden Nobelkreuzer nicht nur Leistung im Überfluss (Bentley 610 PS, Benz 612 PS), sondern sind zudem mit sportlich abgeschmeckten Luftfahrwerken gesegnet, die eine gewisse Tracktauglichkeit erwarten lassen. Und da sich der neu vorgestellte GT Speed als stärkster Bentley aller Zeiten in eine Reihe mit den erfolgreichen S-Modellen aus den 20er- und 30er-Jahren stellt und der CL 65 zumindest motorisch mit der Herkunft aus dem Motorsport kokettiert, sollten auch auf der Rundstrecke passable Zeiten erreichbar sein. Natürlich ist das klassische Einsatzgebiet der beiden Edelrenner eher die Langstrecke, der bevorzugte Einsatzzweck das bequeme Reisen auf der Autobahn. Und das in Tempobereichen, die das hohe Gewicht (Bentley: 2334 kg, AMG 2204 kg) fast vergessen lassen.
Bassig brummt der brachiale Bentley
Rock'n'Roll: Der bassbetonte Sound des Bentley lässt keinen Zweifel an seiner Potenz aufkommen.Der nicht abgeregelte Bentley erreicht laut Werk gewaltige 326 km/h und ist in 14,9 Sekunden bereits auf Tempo 200. Der CL 65 AMG scheint bei 250 km/h gegen ein unsichtbares Hindernis zu fahren, denn die werkseitige Abregelung kommt heftig. Für eine souveräne Fortbewegung setzen beide Boliden auf die überlegene Laufruhe von Zwölfzylindern mit knapp sechs Liter Hubraum, bei beiden kommen Turbolader zum Einsatz. Größter Unterschied: Während der CL 65 AMG auf die klassische V-Bauweise setzt, ist das Bentley-Aggregat ein W12, der prinzipiell aus zwei V6-Motoren zusammengesetzt ist. Laufruhiger ist der V-Motor im Benz, doch auch der Bentley gibt sich hier kaum eine Blöße. Zum Flüstern neigt ohnehin keiner von beiden: Der bassbetonte, wuchtige Sound des Bentley lässt keinen Zweifel an der stattlichen Potenz des Engländers. Und auch der aufgeladene V12 aus deutschen Landen verwöhnt mit einer sportlich-voluminösen Stimme, die im Bassbereich etwas weniger druckvoll daherkommt. Betrachtet man die Messwerte, kann sich der CL 65 AMG jenseits der 100 km/h besser in Szene setzen. Eine trockene Strecke vorausgesetzt, denn wenn die maximal 1000 Nm ab 2000 Touren über die Hinterräder herfallen, sollten die äußerlichen Bedingungen optimal sein. Ansonsten flackert entweder das ESP-Signal wie ein Stroboskop in der Disco, oder die 275er-Contis radieren dicke Streifen auf die Straße.
Im Benz sind Drifts jederzeit per Gasstoß möglich
Geht gerne quer: Drifts lassen sich im CL 65 AMG jederzeit mit dem Gaspedal provozieren.Hier kann der allradgetriebene Bentley mit Zentral-, Vorder- sowie Hinterachsdifferenzial punkten: Je nach Fahrbahnzustand wird das Drehmoment auf die Räder verteilt, die den besten Kontakt zur Straße haben. Die Reifen des Bentley zum Durchdrehen zu bewegen, ist aussichtslos, Driftversuche muten trotz der gewaltigen Motorpower angesichts des noblen Auftritts so mutwillig wie krampfhaft an. Wer quer ums Eck will, hat im CL die eindeutig besseren Karten, denn schon der kleinste übermütige Gasstoß verschiebt die Vorwärtsorientierung in Richtung Seitenscheiben und ermöglicht jederzeit völlig sinnfreie Quertreibereien mit spektakulär qualmenden Hinterreifen. Was bei einem Luxusliner für weit jenseits der 200.000 Euro zwar nicht angemessen erscheint, aber spaßig aussieht - und sich auch so anfühlt. Zurück zum Luxus, von dem sowohl Bentley als auch Mercedes jede Menge bieten. Nur die Verpackung unterscheidet sich. Während der Brite mit klassischer Geradlinigkeit daherkommt und vor allem mit der Liebe zu Details auftrumpft, wirkt das Interieur des CL zwar moderner, aber auch weniger sportlich.
Luxus bieten beide, aber nur der Bentley schafft es, dabei eine reizvolle Kombination aus edelsten Materialien und bester Verarbeitung mit der nüchternen Ausstrahlung eines funktionellen Sportwagens zu verbinden. Ein Beispiel: Setzt der Mercedes auf Sitzwunder mit Massagefunktion und Wangen, die sich in Kurven zum Zweck des besseren Seitenhalts aufblasen, bietet der Bentley einfach sehr gute und bequeme Sportsitze. Und während sich der CL 65 dem Hightech-Schnickschnack verschreibt, etwa bei dem völlig unnötigen Nachtsichtassistenten, der sich auf den virtuellen Tacho schalten lässt, belässt es der Engländer bei Schlichtheit in formvollendeter Ausführung, so bei der wunderbaren Armaturenabdeckung aus Aluminium, dem schweren Automatikwählhebel in gerändeltem Chromfinish oder dem mit feinstem Leder überzogenen Dreispeichenlenkrad. Insgesamt wirkt der Bentley edler, exklusiver und gleichzeitig sportlicher. Bleibt die Frage, ob er sich auch auf der Rennstrecke so anfühlt oder im CL 65 AMG hier seinen Meister findet.
Auf der Rennstrecke fühlen sich die Dickschiffe befremdlich an
Auf der Piste hat der Bentley die Nase vorn: In Oschersleben nimmt der GT Speed dem CL 65 AMG zwei Sekunden ab.Zunächst befremden beide, denn mit derartigen Dickschiffen auf enge Kurven zuzufliegen, hat etwas von einer Paddeltour mit einem Ausflugsdampfer. Die hohen Schwerpunkte lassen ausgeprägtes Nicken und Wanken erwarten. Zunächst nimmt sich Dierk Möller-Sonntag, unser Mann für schnelle Runden, den CL 65 AMG vor. "Der Motor ist allererste Sahne. Und bärenstark." Was aber auch die erwarteten Probleme mit sich bringt: "Ein bisschen zu viel Gas, und die Fuhre steht quer." Zudem bemängelt Dierk die Lenkung, die zu wenig Gefühl vermittelt. Größtes Manko des Benz sind seine Karosseriebewegungen. Beim harten Anbremsen aus hohem Tempo taucht der AMG vorn ein und neigt sich beim Einlenken merklich zu Seite. "Weniger agil, als ich erwartet hatte. Aber gewaltig bei der Längsbeschleunigung", so sein abschließendes Urteil. Mit 1:49,90 Minuten reiht sich der CL 65 in unserer Hitliste zwischen Carrera 4S und Cayman ein. Entgegen den Erwartungen fühlt sich der 130 Kilo schwerere Bentley auf der Rennstrecke viel wohler. "Das Fahrverhalten ist völlig neutral, die Lenkung sensibler, direkter und die Karosseriebewegungen wegen der sportlicheren Abstimmmung weniger ausgeprägt", erklärt Dierk. "Auf der Rennpiste ist der GT Speed das modernere Auto." Sagt’s und umrundet den Kurs in Oschersleben zwei Sekunden schneller. Schampus marsch!