"Tradition soll ein Sprungbrett sein, aber kein Ruhekissen." Der Spruch könnte vom Jaguar-Designer Ian Callum stammen. Übrigens auch vom Firmengründer William Lyons. Gesagt hat ihn ein Landsmann – Harold Macmillan, der britische Premier von 1957 bis 1963. Wie recht er hat. Ja, die traditionellen Kurven des Jaguar XJ waren lecker. Sicher, wir alle schmolzen dahin, wenn die Großkatze zu ihren besten Zeiten an uns vorbeistrich – geduckt, formvollendet. Klar ist aber auch, dass der letzte Aufguss dieser klassischen Linien der finale sein musste. Der alte XJ, das zeigten die Verkaufszahlen, begann zu langweilen. Er mutierte zum Altherrenbeschleuniger für Nostalgiker. Die Zukunft muss anders sein. Und sie sieht stark aus. Keine Frage: Der neue XJ ist ein Showstopper. Wo er auftaucht, steht er im Mittelpunkt, verdreht Hälse, erntet gierige Blicke.

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Wir haben ihn vorgeführt auf den Laufstegen in und um Paris, auf den Straßen, wo der gute Stil zu Hause ist. Eine harte Prüfung, aber der verwandelte XJ hat sie bestanden. Mit Bravour. In Begleitung: Ein BMW 7er, das Auto, das dem großen Jaguar am nächsten kommt. Nicht formal, denn neben dem exotischen Briten wirkt das typische Business-Outfit des Bayern wie ein Tarnanzug. Aber im Anspruch. "Für Jaguar macht es keinen Sinn, der deutschen Konkurrenz frontal zu begegnen. Dazu sind wir zu klein", gibt uns Mister Jaguar Mike Cross mit auf den Weg. Er ist in der Entwicklungsabteilung der Mann für alle Charakterfragen, vor allem die fahrdynamischen. Ein wenig anders als die anderen soll er also sein, der XJ, nicht so technologiebeladen, eher schön und fein. "Irgendwo zwischen BMW und Maserati vielleicht", grenzt Cross die Identität des neuen Jaguar ein. Mal sehen. Innen empfängt er uns jedenfalls mit einer Luxus-Mixtur, die an trendige Hotel-Bars erinnert. Chromblitzende Opulenz, viel Leder natürlich, kühler Prunk ohne Protz.

Der BMW hat dem Jaguar die bequemeren Sitze voraus

BMW 7er
Das klassische Walnussbrett vorm Kopf ist verschwunden, dafür sorgt die flache Armaturentafel zusammen mit dem serienmäßigen Glasdach für ein luftigeres Raumgefühl – auch im Vergleich zum BMW, dessen Ambiente im Übrigen mehr deutsche Gründlichkeit als exklusives Flair ausstrahlt. Anstelle des Automatikwählhebels wächst beim XJ ein Drehknopf aus der Mittelkonsole (wie beim XF), manuell wird die Sechsstufenautomatik mittels Paddel am Lenkrad bedient. Sekundär-Funktionen werden Jaguar-üblich per Touchscreen abgerufen (mit den bekannten Nachteilen bei Bedienung und Übersichtlichkeit), die Instrumente entpuppen sich als virtuelle Abbildungen auf einem Bildschirm. Ein normaler Wählhebel dagegen für die BMW-Sechsstufenautomatik, iDrive-Bedienung und echte Instrumente. Geschmacksache. Klare Vorteile des BMW sind jedoch die bequemeren Komfortsitze (Option) und der üppigere Kopfraum auf den Rücksitzen. Außerdem kommen die Fondpassagiere leichter rein und raus.
Wir sitzen in der Dieselversion des XJ, die in Deutschland 70 Prozent des Verkaufs ausmachen soll. 76.900 Euro kostet das Vergnügen, den vergleichbaren 730d gibt es für 73.300 Euro. Bei gleicher Ausstattung stehen hier allerdings über 80.000 Euro auf der Rechnung. Langsamfahrkomfort ist übrigens nicht die Stärke des XJ, so steifbeinig, wie er über das Pariser Pflaster stelzt. Der BMW, obgleich auch keine Sänfte, gibt sich da nachgiebiger. Ein Jaguar, der nicht mehr geschmeidig ist? Wir nehmen Kurs in Richtung französische Provinz. Für Sprungkraft sorgt ein V6-Diesel mit 275 PS (600 Nm) wie im XF. Dank Alu-Karosserie wiegt der XJ nicht mehr als sein kleiner Bruder (1796 kg), und das zeigt Wirkung: Schon bescheidene Drehzahlen genügen, um dem BMW (245 PS, 540 Nm, 1940 kg) die Rücklichter zu zeigen, mühelos, ohne akustischen Stress. Noch erstaunlicher: Der 5,12-Meter-Dampfer wechselt die Richtung wie ein Jetski.

In Kurven scheint der Jaguar XJ zu schrumpfen

Jaguar XJ
Die Leichtigkeit, mit der sich das Auto dirigieren lässt, verblüfft, in Kurven scheint der schwere Wagen zu schrumpfen. Nun zeigen sich auch die Vorzüge der straffen Abstimmung. Landstraßen minderer Ordnung nimmt der Jaguar gelassen und ohne große Karosseriebewegungen. Wobei es keinen wesentlichen Unterschied macht, in welchem der beiden Fahrdynamikprogramme gefahren wird. Und der BMW, der Berufs-Dynamiker? Hier und jetzt ist er zweifellos der weniger Fahraktive. Sein Antrieb muss sich mehr anstrengen, was sich auch den Ohren mitteilt. Und in Kurven muss verstärkt hingelangt werden, sein Mehrgewicht kann er nicht verleugnen. Die weichere Federung und die 18-Zoll-Räder (der XJ verfügte über die optionale 20-Zoll-Ausstattung) lassen ihn sanfter abrollen. Aber dafür wälzt er sich bei schneller Fahrt über die welligen Straßen stärker in den Federn – ungeachtet der gewählten Dämpfereinstellung. So ist denn auch die Überraschung am Ende dieser ersten Begegnung perfekt: Platz 1 für den Jaguar XJ – nicht aus Hang zur Historie, sondern aus Freude am Fahren.
Technische Daten BMW 730d Sechszylinder, Turbo, vorn längs • Hubraum 2993 cm³ • Leistung 180 kW (245 PS) bei 4000/ min • max. Drehmoment 540 Nm bei 1750/min • 0–100 km/h 7,2 s • Spitze 245 km/h • EU-Mix 6,8 l Diesel/ 100 km • 178 g CO2/km • Preis ab 73.300 Euro.
Technische Daten Jaguar XJ 3.0D V-Sechszylinder, Turbo, vorn längs • Hubraum 2993 cm³ • Leistung 202 kW (275 PS) bei 4000/min • max. Drehmoment 600 Nm bei 2000/min • 0–100 km/h 6,4 s • Spitze 250 km/h • EU-Mix 7,0 l Diesel/100 km • 184 g CO2/km • Preis ab 76.900 Euro.

Fazit

von

Wolfgang König
Ein XJ-Fahrer ist ein der Masse entrückter Mensch von feinerer Gemütsart – so zumindest sein Image. Wird ihm der neue XJ gerecht? Ich finde schon. Er hat Stil und bietet dazu eine dynamische Dimension, die ihm bisher fehlte. Dass er in dieser Hinsicht sogar dem 7er den Thron streitig macht, habe ich nicht erwartet.

Von

Wolfgang König