Eine Polizeikontrolle deckt auf: Bei jedem sechsten Lkw ist die Abgasreinigung manipuliert. Der Verzicht auf AdBlue soll Geld sparen – und setzt viel NOx frei!
Im März 2019 berichtete AUTO BILD über zahllose Schummel-Diesel-Lkw mit manipulierten Katalysatoren in Spanien, aber auch in Osteuropa. 15 Prozent der von der spanischen Guardia Civil kontrollierten Fahrzeuge stießen demnach deutlich mehr NOx aus als erlaubt. Jetzt ging die Polizei in Deutschland bei einer Großkontrolle auf Veranlassung der Umwelthilfe dem Verdacht nach: Deaktivieren Spediteure die AdBlue-Einspritzung zur Abgasreinigung aus Kostengründen und blasen so illegal große Mengen NOx in die Luft? Unterstützung kam dabei vom Institut für Umweltphysik der Uni Heidelberg. Ergebnis der Tests in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und Sachsen: Von 100 gemessenen Euro-VI-Lkw wiesen 16 Prozent überhöhte Stickoxidwerte auf. Bei polnischen Lkw, mit 33 Stück ein Drittel der Gesamtheit, lag die Quote sogar bei 21 Prozent.
Emulatoren deaktivieren die AdBlue-Einspritzung
Ein Messwagen des Instituts für Umweltphysik der Uni Heidelberg war im Mai 2019 an vier Tagen unterwegs.
Auf die Spur der Betrüger kamen die Kontrolleure mithilfe einer Software der Firma AVL DiTEST. Mit ihr lassen sich über die Onboard-Diagnoseschnittstelle des Lkw Fehler und Widersprüche in der komplexen Abgasreinigung aufdecken. Diese Software ist deshalb hilfreich, weil AdBlue-Betrüger unter anderem mit sogenannten Emulatoren arbeiten. Das sind kleine elektronische Module, die es für weniger als 20 Euro im Internet zu kaufen gibt. Sie greifen in die Bordelektronik ein und deaktivieren die Einspritzung von AdBlue. Damit im Cockpit oder bei der Abgasuntersuchung kein Fehler ausgegeben wird, gaukeln sie dem Steuergerät vor, alles sei in Ordnung. Der Handel mit diesen Emulatoren ist in der EU zwar seit 2017 untersagt, internationale Plattformen wie Ali-Express unterlaufen jedoch das Verbot. Und weil die meisten China-Geräte unter der Freigrenze von 22 Euro bleiben, läuft der Handel außerhalb der Zollkontrollen.
Minus 20,6 Grad im Sommer angezeigt
Hinweis auf Manipulation: Das Tablet von AVL DiTEST zeigt eine Abgastemperatur von minus 20,6 Grad an.
Einen Volltreffer landeten die Fahnder bei der Kontrolle in Sachsen auf der Raststätte Auerswalder Blick an der A4: Ein weißer 40-Tonner aus Polen, beladen mit Ikea-Gläsern, riss die Euro-V-Limits mit 9539 mg NOx um mehr als das Dreifache. Ein Tabletcomputer förderte Erstaunliches zutage: Das Steuergerät gab eine Abgastemperatur von minus 20,6 Grad aus, ein Wert, bei dem im Winter die Abgasreinigung deaktiviert werden muss, um ein Einfrieren des AdBlue zu verhindern – völlig legal. Doch es herrschten angenehme 21 Grad plus. Die falsche Temperatur war ein Hinweis auf einen Emulator, der der Motorsteuerung eine falsche Temperatur vorgaukelt, um die AdBlue- Einspritzung abzuschalten. "Pro Jahr und Lkw kommen so fast 1000 Euro Ersparnis zusammen", rechnete Andreas Mossyrsch von der Lkw-Gewerkschaft Camion Pro vor. "Bei einer größeren Spedition mit 500 Fahrzeugen bedeutet das jedes Jahr ein Einfamilienhaus für den Boss." Mossyrsch geht davon aus, dass ein Viertel der osteuropäischen Lkw manipuliert ist und so mit einem illegalen Wettbewerbsvorteil herumfährt.
Fazit
von
Frank Rosin
Die Wahrscheinlichkeit, mit einem AdBlue-Emulator erwischt zu werden, ist viel zu gering, weil Kontrollen kompliziert, teuer und selten sind. Das muss sich ändern. Speditionen, die die Abgasreinigung manipulieren, sollten Fahrverbote bekommen.