Mercedes-AMG One: Test, Hypercar, Formel 1, Hybrid, Motor, Preis
Formel 1 für die Straße: So fährt das Hypercar Mercedes-AMG One
Fahrbericht Mercedes-AMG One
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Antrieb aus der Formel 1, Leistung vierstellig, aerodynamisch ein Wunderknabe – der 1063 PS starke AMG One ist von einem anderen Stern. Und wir sind ihn gefahren.
Bild: AUTO BILD
Stellen Sie sich ein Plakat am Laternenmast vor: Zirkus Rambazamba ist in der Stadt. Angekündigt sind 1063 rassige Pferde, ein gigantisches Orchester, atemberaubende Bodenakrobatik. Unten in der Ecke steht: Wir kommen! In fünf Jahren … So in etwa ist es mit dem Mercedes-AMG One gelaufen.
Schon 2017 hatte Mercedes dieses Über-Auto angekündigt, wollte waschechte Formel-1-Technik unter die Carbonhülle stecken, den kompromisslosesten Hybridantrieb der Welt einbauen und anderen Supersportlern so richtig das Fürchten lehren. Nun, fünf Jahre später, steht das Zelt. Ob die Vorstellung noch lohnt?

Kostbare Handarbeit: Mercedes legt nur 275 Exemplare vom AMG One auf. Der Preis liegt bei rund drei Millionen Euro.
Bild: Daimler AG
Nur 275 Exemplare werden gebaut
Wir verraten es gleich: Die Manege brennt – und zwar lichterloh. Wir verraten ebenfalls gleich: Karten sind ausverkauft, gut drei Millionen Euro haben Begaste für das furiose Fahrgeschäft bezahlt, nur 275 Autos will AMG vom One in Handarbeit zusammensetzen. Das wird ohnehin ein fröhliches Puzzeln. Denn der One übernimmt nicht einfach nur einen Motor aus einem alten Rennwagen. Formel-1-Technik Modelljahr 2023 ist nichts von der Ingenieursstange, konstruktionstechnisch die absolute Königsdisziplin.
Fahrzeugdaten
Modell
Mercedes-AMG One
Motor
Hubraum
Systemleistung
Antrieb
Länge/Breite/Höhe
Leergewicht
0–100 km/h
0–200 km/h
Vmax
Verbrauch
Abgas CO2
Preis
Das belegen allein die "Einzeldaten" des Konzepts. Beispielsweise leistet allein der Elektromotor, der den Turbolader antreibt, so viel wie ein VW Golf TSI – nämlich 122 PS. Der E-Motor kurbelt den Verdichter auf 100.000 Touren pro Minute an, um ihn dann erst vom Abgasstrom mit weiterer Wucht anpusten zu lassen.
An der Vorderachse drehen zwei insgesamt 326 PS starke E-Maschinen mit bis zu 50.000 Umdrehungen an den Ausgangswellen, zusätzlich zum 1.6er-V6-Benziner drückt eine 163 PS starke Elektroeinheit an der Kurbelwelle.
Der AMG One ist ein einziges Technikfeuerwerk
In der Hülle steckt ausschließlich Kohlefaserkunststoff, im Fahrwerk arbeiten über drückende und ziehende Pushrod-Kinematik beaufschlagte Federbeine, in den Radlagern drehen sich Keramikkugeln, statt starrer Spoiler hebeln aktive Louvers, Flaps und Flügel den Boliden mit Extra-Anpressdruck an den Boden.

Verboten schnell: Im Fahrmodus "Strat 2" verliert der Mercedes-AMG One seine Straßenzulassung – und wird zum Rennwagen.
Bild: Daimler AG
Damit sich dieser Leistungswahnsinn auch auf Land- und Bundesstraßen ergießen darf, hat AMG den Abgasen des One gleich vier Katalysatoren und zwei Partikelfilter verordnet. Das Abgassystem wird direkt nach dem Start vom Hochvoltsystem elektrisch vorgewärmt. Kurz: ganz schön komplex!
Der AMG One kann auch sanft, selbst rein elektrisch
Und wie fährt sich das Ding? Überhaupt nicht komplex. Schaltpaddle (in metallischer Haptik mit klickend endgültigen Rastpositionen übrigens perfekt gemacht) auf D ziehen, Gas und los. Wobei: Los ist relativ. Es kommt auf den Modus an. Der One kann sanft, selbst rein elektrisch, verträgt sogar "alltägliches" Gleiten. Dann zeigt er auch Lust zu federn, hilft mit Servo-Geschick beim Lenken und täuscht über zartes Untersteuern so etwas wie Verwandtschaft mit stinknormalen Autos an.
Im Modus "Strat 2" verliert er seine Straßenzulassung
Er kann aber auch ganz anders. Im Race-Modus wird es sauschnell, rennt der Über-Benz mit dem typischen Tempo eines Supersportlers über den Rundkurs, zieht aberwitzig vehement durch. Fast schon normiert linientreu und arrogant spät bremsend frühstückt er so wohl alle 911er dieser Erde und wahrscheinlich auch alle waschechten Rennwagen unterhalb der Formel 1 im Vorbeigrunzen weg.

Reichlich Dampf: Der Über-Benz kommt auf 1063 PS Systemleistung, allein der Verbrenner steuert bei 9000/min 574 PS bei.
Bild: Daimler AG
Und dann ist da ja noch der Modus "Strat 2". Der ist verboten schnell. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mit blitzschneller hydraulischer Absenkung seiner Karosserie um fast vier Zentimeter, mit Aufstellung seiner Luftklappe im Heckflügel und mit steiler Positionierung seiner insgesamt acht Klappen in den vorderen Kotflügeln verliert der One seine Straßenzulassung.
Aus 1,6 Litern holt der V6 574 PS, maximal sind 352 km/h drin
Aber er gewinnt die endgültige Einberufung in den Formelsport. Nun erhält der bis zum Bersten aufgeladene 1.6er jedwede Hilfe aus dem Elektropfad, bis aufs letzte Zehntelwatt ausgewrungen und metergenau an die Stecke angepasst, liefern die Akkus höchstmögliche Unterstützung.
An die 11.000 Touren macht das vermeintlich niedliche V6-Maschinchen, die maximale Leistung von 574 PS liegt bei 9000 Umdrehungen pro Minute an. Noch mal an dieser Stelle: Das ist ein Turbo! Ein für aufgeladene Motoren brutaler Wert. Dabei ist das Aggregat sogar noch leicht gehemmt unterwegs, damit es Super Plus verträgt und nicht an NOx-Werten scheitert.
Die Beschleunigung ist trotz deutlich spürbarer Schaltpausen des automatisierten Schaltgetriebes surreal, der Durchzug bereitet Atembeschwerden, Traktionsverlust kennt der One nicht, eine Schubkraftgrenze ahnt das Auto erst bei 352 km/h. Warum so eine krumme Zahl? Bei diesem Tempo haben die vorderen Maschinen ihr Limit erreicht, AMG schiebt dann lieber den Selbstschutzriegel vor.
Dabei tönt der One in allen Klangfarben, die eine Auto-Akustik zu bieten hat. Fiepen aus der E-Abteilung, helles Grundrauschen aus den Stirnradsätzen, Pochen aus der hochtourenden Maschine, Sägen aus dem Auspuff. Alles gleichzeitig, alles grollt, alles brüllt, alles faucht – die Trommelfelle schaffen es kaum.
Der One ist tatsächlich Formel 1 für die Straße
So unbarmherzig, wie der One anzieht, so heftig ankert er auch. Den Sechskolben-Festsätteln hilft der aerodynamische Trick aus der Klappen-Kiste, die Extra-Hemmung durch den Fahrtwind zeigt wuchtige Wirkung. Und dann erst das Kurvenkönnen. Extremer Abtrieb, extreme Bereifung, extrem steife Führung und extrem wenig Seitenneigung kleben den One an die Asphaltdecke.

Starrer Blick: Redakteur am Limit, Auto noch nicht. Eine Fahrt im Mercedes-AMG One hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Bild: Daimler AG
Nach einer Runde melden sich die Nackenmuskeln, diese Fliehkräfte meistern sonst nur Tourenwagen-Meister. Tatsächlich: Formel 1 für die Straße – Applaus für eine irre Vorstellung von AMG.
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