Auch auf dem Campingplatz halten Elektromobile Einzug. So starten bei Mercedes die ersten Ausbauten auf EQV-Basis. Zunächst in der Schweiz – da gibt es kurze Wege.
Bild: SARA KELLER PHOTOGRAPHY
Morgens um sieben Uhr ist die Welt noch in Ordnung an den Ufern des Wohlensees vor den Toren Berns – und wenn dieser Camper startet, bleibt das auch so! Statt Diesel-Geklöter hört man nur ein leises Surren, und der kompakte Mercedes rollt davon. Denn als eines der ersten Freizeitfahrzeuge fährt er mit Strom statt mit Sprit. (Elektro-Vans im Vergleich: Mercedes EQV gegen Opel Zafira-e)
Die Elektromobilität sei auch in der Camperszene ein großes Thema, selbst wenn es noch viele Fragen gebe, wo und wie man zum Beispiel seine Akkus auf dem Stellplatz laden kann, sagt Benjamin Schaad. Statt weiter zu grübeln, hat der Projektleiter des Schweizer Ausbauers Sortimo mit Antworten angefangen und am Standort Jegenstorf mit dem EQV den ersten Mercedes-Camper unter Strom gesetzt.
Ideale Basis: Von außen ist der EQV (fast) eine V-Klasse wie jede andere, nur der strömungsoptimierte Grill macht den Unterschied.
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Das ist der EQV Sortimo
Ein alter Bekannter im neuen Gewand. Die Schweizer bauen Wohnmobile für unterschiedliche Hersteller, haben ihr Lager gut mit Ausstelldächern, Markisen & Co. gefüllt und machen damit zehn Prozent ihres Umsatzes.
Die Küchenzeile bietet alles, was man braucht - und wird auf Wunsch sogar zur Dusche.
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"Am Ende ist es uns egal, ob wir die Ausrüstung in einer V-Klasse installieren oder in einem EQV", sagt Schaad, der für das erste Modell Ausstattung für rund 35.000 Franken eingebaut hat – rund ein Drittel des Preises, für den Mercedes den voll ausgestatteten EQS in der Schweiz anbietet.
Das hat der Mercedes
Wo sie sonst Werkzeugkisten, Warentransportsysteme oder Ersatzteilspender installieren, haben sie diesmal ein Aufstellzelt ins Dach geschnitten, ein Faltbett auf die Sitze geschnallt und eine gigantische Küchenschublade im Kofferraum montiert.
Mit einer Ladung kommt der EQV 400 Kilometer weit. Danach muss er an die Steckdose - bei 220 V für rund 2,5 Tage!
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Rechts die Kühlbox, in der Mitte das Spülbecken samt Ausziehbrause, daneben zwei Gaskocher, die mit einem Handgriff auch im Wanderrucksack landen, und rings herum genügend Fächer für Geschirr und Lebensmittel sowie die Bekleidung.
Nur bei der Energieversorgung haben sie umdenken müssen: Weil sie die Traktionsbatterie lieber nicht anfassen wollten, gibt es an Bord noch ein zweites Netz, aus dem sie die Standklimatisierung speisen, das Dutzend USB-Buchsen an allen Ecken und Enden des EQV sowie die LED-Beleuchtung und die 230-Volt-Steckdosen unter dem Fahrersitz.
Technische Daten
Mercedes-Benz EQV Sortimo
Motorisierung
EQV 300
Leistung
Dauer 70 kW (95 PS), Peak 150 kW (204 PS)
Drehmoment
365 Nm bei 3051 U/min
Höchstgeschwindigkeit
160 km/h
Getriebe/Antrieb
1-Stufen-Automatik/Vorderrad
Batteriekapazität
90 kWh (nutzbar)
Länge/Breite/Höhe
5140/2244/2021 mm
Radstand/Bereifung
3200 mm / 245/55 R 17 XL
Leergew. fahrbereit/Zuladung (Testmobil)
3070/430 kg
Material Wand/Dach/Boden
Blech/GfK/Blech
Liegefläche unten L x B
2020 x 1495 mm
Liegefläche oben L x B
2000 x 1150 mm
Innenhöhe/-breite max.
1326/1648 mm
Kühlbox/Eisfach
Dometic TropiCool TCX 21, 21 l/ -
Gaskocher
2 Flammen
Bordbatterie
Vliesbatterie 12 V/92 Ah
Frisch-/Abwassertank
2x 12 l/–
Gasvorrat/Heizung
2x 440 g Kartusche/Ecomat 2000 Select Heizlüfter
Preis/Testwagenpreis
ab 77.636 Euro/128.548 Euro
Auch das funktioniert weitgehend autark – zumindest bei schönem Wetter. Nicht umsonst ist das Aufstelldach mit bald drei Quadratmetern Solarzellen gepflastert.
Mercedes EQV (2019): Neuvorstellung - Elektro - Van - Infos
Elektrische V-Klasse im Check
400 Kilometern Normreichweite
Natürlich weiß auch Schaad, dass die Reichweite des EQV mit seinen gut 400 Kilometern Normreichweite nicht so recht zur Idee vom Reisemobil passt. Denn bis nach Spanien oder Schweden ist man damit eine Weile unterwegs.
Die bequeme Matratze reicht für ein Pärchen – selbst wenn die Flitterwochen schon etwas her sind.
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Erst recht, wenn der Campingausbau noch mal mit bald 100 Kilo an den Akkus zehrt. Doch erstens macht der Schweizer an sich auch als Camper gern Urlaub im eigenen Land und kommt dort dann mit einer Ladung schon vergleichsweise weit, sagt Schaad: "Einen See oder einen Berg hat bei uns ja jeder beinahe vor der Haustür."
Zweitens hat man im Urlaub ja Zeit und sieht die Sache mit den Zwischenstopps viel entspannter, hat der Sortimo-Mann gelernt. Selbst mit den 2,5 Tagen am 220-Volt-Anschluss können die Camper gut leben, wenn ihr Auto unterdessen als Immobilie auf Rädern am Seeufer steht.
Und drittens ist die gesamte Ausstattung reversibel: "In ein paar Minuten hat man alles ausgebaut und nutzt den EQV unter der Woche als normales Familien- oder Firmenfahrzeug."
Fazit
von
Thomas Geiger
Summen statt brummen, so macht Camping richtig Spaß – auch den Nachbarn! Und dass die Reichweite nicht riesig ist oder dass die Infrastruktur noch Lücken hat, stört im Marco Polo der Generation E nie-manden. Denn wann, wenn nicht im Urlaub, hat man die Zeit, sich darauf einzulassen.