Langlebig und rostanfällig – zwei Begriffe, die sich gegenseitig ausschließen. Es sei denn, es geht um die Mercedes E-Klasse der Baureihe 210, den ersten Mercedes mit Vieraugen-Gesicht.
Mercedes-Kunden gelten als anspruchsvoll. Das dürfen sie sein, schließlich haben sie für ihr Auto mehr bezahlt als andere. Als sich Ende 2000 zwei Fahrer der seit Juni 1995 gebauten E-Klasse der Baureihe 210 beim AUTO BILD-Kummerkasten über Rost beschwerten, war das für uns zunächst nur eine Randnotiz: Mercedes spendiert vier neue Türen auf Kulanz – Fall erledigt. Doch die kleine Randnotiz brachte eine Lawine ins Rutschen, aus zwei wurden 800 Zuschriften, die Mercedes-Lackierer schufteten im Akkord. Geschichte. Heute sind 210er entweder vergammelt, exportiert – oder stehen glänzend da. Schließlich müssen die erwähnten 800 gelackmeierten E-Klasse-Fahrer im Verhältnis betrachtet werden zu den genau 1.653.437 gebauten Exemplaren dieser bis 2002 (Limousine) gefertigten Baureihe.
Gut gemacht: 210er-Zentrale, kurz vor der Knopf-Invasion.
Und ein Besuch auf den Gebrauchtwagenplätzen beweist: Es gibt reichlich rostfreie Fahrzeuge. Nach denen lohnt es sich, Ausschau zu halten, denn im Kern ist gerade dieser rufruinierte Mercedes außerordentlich solide. Seinem Vorgänger, dem erst nachträglich zum Qualitätsmaßstab verklärten W124 mit dem ewig ausgeleierten Kugelumlauf-Lenkgetriebe, hat er die präzisere und standfestere Zahnstangenlenkung voraus. Das bessere Fahrwerk sowieso, und mehr Platz bietet er auch. So sprechen höchstens die typischen Mercedes-Macken gegen den 210er. Aber die haben noch niemanden ernsthaft vom Kauf eines Benz abgehalten – schließlich gehen andere Autos häufig wesentlich dramatischer kaputt. Damit erklären sich auch die recht stabilen Gebrauchtpreise des Vierauges – nach der Rost-Blamage hatten wir, ehrlich gesagt, einen wesentlich höheren Wertverlust erwartet. Mercedes eben.
Die AUTO BILD-Probefahrt
Spurstangenköpfe, Traggelenke und die Buchsen der Querlenker an der Vorderachse sind Verschleißteile.
Unser Testwagen sieht ganz und gar nicht aus wie eine Rostlaube. Sein Turmalingrün-Metallic leuchtet wie am ersten Tag, der allerdings schon fast 13 Jahre zurückliegt. Doch der 320er-V6 mit 224 PS und nur knapp über 160.000 km auf dem – funktionierenden – digitalen Kilometerzähler lassen einen vergnüglichen Arbeitstag erwarten. Unser Fahreindruck liegt nicht weit weg von einem Neuwagen: straffes Fahrwerk, leiser Motor, neuer Keilrippenriemen – Wartungsstau sieht anders aus. Im Handschuhfach liegt die dicke Wagenmappe: Das Wartungsheft ist komplett bei Mercedes abgestempelt. Rost, wenn dieser Benz je welchen hatte, wurde dann beim Vertragshändler beseitigt. Klarheit bringt die Hebebühne: Die Türen waren neu lackiert, rosten aber erneut an den Unterseiten. Unser Urteil fällt versöhnlich aus: Für knapp 5000 Euro stimmt der Gegenwert, weil Unterboden, Federaufnahmen und Motorträger keinen nennenswerten Rost zeigen. Die gammeligen Türböden verlangen nach einem Pinsel und Rostumwandler, dann kann dieses T-Modell noch einige Jahre laufen. Denn das lückenlos geführte Scheckheft spricht für gute Pflege durch den – einzigen – Vorbesitzer.
Das macht Ärger
Reihenweise Rost: Die Türen wurden schon mal neu lackiert – aber nicht besonders gut.
Rost ist ein Problem, aber ein kontrollierbares: Er tritt immer an den gleichen Stellen auf, unter den Gummidichtungen an den Fensterrahmen der Türen sowie an der Griffleiste und dem Schloss des Kofferdeckels. Gammelt es hier, dann unbedingt unter dem Auto nachsehen: Motorträger und die karosserieseitigen Aufnahmen der Vorderfedern. Letztere können – wie schon beim Vorgänger W 124 – abreißen, dann fällt das Auto auf den Bauch. Was je nach Tempo lebensgefährlich werden kann. Die weiteren Schwachstellen sind Mercedes-Klassiker, was sie nicht sympathischer macht: brechende Hubwinkel am Schiebedach, knackende Türfangbänder, bis April 1997 hakende Zündschlösser, danach defekte bartlose Zündschlüssel und – abhängig von Belastung und Fahrweise – Verschleiß an den Radaufhängungen. Beim Kombi geht häufig die Niveauregulierung kaputt. Von den Motoren ist sehr wenig zu melden, allenfalls fliegen bei heftig getretenen CDI schon mal die Injektoren aus dem Zylinderkopf. Aber das auch erst bei Laufleistungen, die andere Autos gar nicht erst erreichen.
Ein Mercedes darf nicht rosten. Doch die Baureihe 210 hatte genau das Problem. Wie viele Fahrzeuge wirklich betroffen sind, bleibt im Dunkeln. Insider sprechen von knapp einem Drittel. Im Markt finden sich auf Anhieb saubere und stark korrodierte Exemplare. Doch nicht mal Gammel-210er sind davon abzuhalten, bis zum Mond und wieder zurück zu fahren. An der Technik krankt dieser Daimler sicher nicht. Schon verrückt: Der rostigste Benz ist auch der solideste.
Mit dem W210 kam wieder ein Mercedes mit runden Scheinwerfern und wieder einer mit Rostproblemen. Mercedes gewährte großzügig Kulanz und tauschte betreffende Karosserieteile wie Türen und Heckdeckel aus. Heute sind 210er entweder vergammelt und exportiert – oder sie stehen glänzend da.
Bild: Thomas Ruddies
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Ein Besuch auf den Gebrauchtwagenplätzen beweist: Es gibt reichlich rostfreie Fahrzeuge. Nach denen lohnt es sich, Ausschau zu halten, denn im Kern ist gerade dieser rufruinierte Mercedes außerordentlich solide.
Bild: Thomas Ruddies
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Seinem Vorgänger, dem erst nachträglich zum Qualitätsmaßstab verklärten W124 mit dem ewig ausgeleierten Kugelumlauf-Lenkgetriebe, hat er die präzisere und standfestere Zahnstangenlenkung voraus. Das bessere Fahrwerk sowieso, und mehr Platz bietet er auch.
Bild: Thomas Ruddies
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Getrübter Blick: Zerschossene Streuscheiben und blinde Reflektoren sind nach 13 Jahren normal. Erst recht, wenn wie hier Feuchtigkeit eingedrungen ist.
Bild: Thomas Ruddies
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Ein Mercedes-Cockpit alter Schule: Die 210er-Zentrale, kurz vor der Knopf-und Bildschirm-Invasion.
Bild: Thomas Ruddies
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Automatisch gut: Viele 210er haben ein Automatikgetriebe – und das ist gut so, denn es schaltet sauber und weich und passt besser zum komfortablen Charakter als die hakeligen Schaltgetriebe.
Bild: Thomas Ruddies
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Raumhaft: Der mit edlem Velours ausgeschlagene Kofferraum des T-Modells bietet soviel Platz wie kein anderer Kombi der gehobenen Mittelklasse. 1975 Liter passen rein, das ist Rekord. Praktische Staufächer und die serienmäßige Niveauregulierung machen das T-Modell zu einem Universalgenie.
Bild: Thomas Ruddies
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Reihenweise Rost: Die Türen wurden schon mal neu lackiert – aber nicht besonders gut. An allen vier Türböden kommt der Gammel wieder hoch. Neben den Türen sind auch Heckdeckel, die Traverse unter dem Motor und die Federbeinaufnahmen vorn von Korrosion betroffen. Die meisten Fahrzeuge wurden bei Mercedes auf Kulanz instandgesetzt.
Bild: Thomas Ruddies
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Bekanntes Leiden: Die Feststellbremse zieht beim TÜV oft einseitig. Dagegen hilft nur penibles Einstellen.
Bild: Thomas Ruddies
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Schlechte Führung: Spurstangenköpfe, Traggelenke und die Buchsen der Querlenker an der Vorderachse sind Verschleißteile, hinten sind oft die dicken Gummis vom Achsträger defekt.
Bild: Thomas Ruddies
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Differenzial-Dilemma: Es verliert oft Öl und neigt zum Wimmern, die Hardy-Scheibe an der Kardanwelle ist häufig verschlissen.
Bild: Thomas Ruddies
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Von den Motoren ist sehr wenig zu melden, allenfalls fliegen bei heftig getretenen CDI schon mal die Injektoren aus dem Zylinderkopf. Aber das auch erst bei Laufleistungen, die andere Autos gar nicht erst erreichen. Im Bild der V6-Benziner mit 3,2 Litern und 224 PS.
Bild: Thomas Ruddies
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Etwas Ölnebel an den Aggregaten ist altersbedingt und unbedenklich. Verlieren Motor oder Getriebe jedoch Öl, zeigt der TÜV die rote Karte.