Vor dem Fahrspaß steht ein Crashkurs

Stellen Sie sich vor, Sie lernen in Ihrer Stammkneipe einen älteren Herren kennen, der einen Kleinwagen auf seine Serviette zeichnet, und treffen genau dieses Auto nur zwei Jahre später auf der Straße wieder. Zugegeben, eine verrückte Vorstellung. Aber durchaus realistisch. Zumindest dann, wenn Sie 1957 öfter in den Pubs rund um das englische Birmingham unterwegs waren. Dort trafen sich zu dieser Zeit nämlich regelmäßig einige Ingenieure rund um den umtriebigen Alexander Arnold Constantine Issigonis (später Sir Alec Issigonis), um automobile Ideen auszutauschen.

Mit einer dieser Ideen bin ich gerade auf den Paßstraßen rund um den bayerischen Spitzingsee unterwegs. Wenige Stunden zuvor habe ich den Morris Mini-Minor, Baujahr 1967, zusammen mit einem Mini Cooper S Works, Baujahr 2005, bei BMW in München in Empfang genommen. Seit die Bayern die Fäden bei Mini in den Händen halten, kümmern sich die hauseigenen Historiker der "Mobilen Tradition" auch um in die Jahre gekommene Minis. Mein gut 38 Jahre alter Begleiter für einen Tag wurde von Grund auf restauriert und gehört seit 2001 zur BMW-Flotte.

So ganz ohne Vorsichtsmaßnahmen darf ein rüstiger Mini aber nicht in fremde Hände. Neben einer ausführlichen Einweisung gehört auch ein "Aufpasser" samt Begleitfahrzeug zum Oldtimer-Paket. Der kurze Mini-Crashkurs tut not, denn erstens ist der Winzling ein Rechtslenker, zweitens ist sein Viergang-Getriebe nur teilsynchronisiert, und drittens ist keiner der Schalter im Cockpit beschriftet. Kein Problem, protzt mein Autotester-Ego. "Das sagen sie alle", grinst der BMW-Mann und drückt mir den Schlüssel in die Hand.

Maximaler Platz bei minimaler Grundfläche

Betont lässig lasse ich mich in die herrlich weiche Sitzbank fallen. Rotes Kunstleder, großer Zentral-Tacho. Einfach grandios. Der vom Rückenmark gesteuerte Griff zum Gurt führt ins Leere. Kein Lebensretter 1967. Eine Nachrüstung ist zwar technisch möglich, aber sehr aufwendig und obendrein unnötig: Sollte ich den Mini mit Schwung gegen eine Mauer setzen, könnte mir auch kein Gurt mehr helfen. Sir Alec hatte 1958 bei der Entwicklung des Mini andere Prioritäten. Platz zum Beispiel.

Leonard Lord, Chef der British Motor Corporation (BMC), wollte ein Auto mit vernünftigen Fahrleistungen bei geringem Benzinverbrauch und einem Maximum an Platz auf einem Minimum an Raum. Eine Aufgabe, wie geschaffen für den eigensinnigen Issigonis. Frontantrieb sollte sein Kleinwagen haben, um keinen Platz für einen Getriebetunnel zu verschwenden. Außerdem einen möglichst großen Radstand und winzige Räder. Das Konzept funktionierte. Als 1959 Austin Mini und Morris Mini-Minor auf den Markt kamen, boten sie Platz für vier Erwachsene oder eine dreiköpfige Familie samt Gepäck. Das Raumangebot kann sich auch heute noch sehen lassen. Hinter dem fingerdünnen Lenkrad ist ausreichend Platz, die Sitze sind bequem. Das filigrane Gestühl ist zwar etwas weich, aber durchaus robust.

Inzwischen habe ich den winzigen Schlüssel ins Zündschloß gefummelt und die 34 Pferdchen vor mir auf die Koppel gescheucht. So weit zum einfachen Teil der Übung. Natürlich habe ich längst vergessen, was mir der nette BMW-Mechaniker vor einigen Minuten zum Thema Getriebe erklärt hat. Also drauf auf die Kupplung und mit der linken Hand lässig den Rückwärtsgang eingelegt. Zumindest theoretisch.

34 Pferdchen treten gegen 210 PS an

In der Praxis komme ich nicht weit. Der lange Schaltstock weigert sich beharrlich, den für ihn vorgesehenen Platz einzunehmen. Kurz bevor ich soweit bin, mit einem kräftigen Fußtritt nachzuhelfen, öffnet sich die Beifahrertür und Mr. BMW zeigt durchaus amüsiert auf das Gaspedal. Mist. Unsynchronisiert. Ein kurzer Gasstoß, schon flutscht der Hebel in seine Gasse. Eigentlich ganz einfach. So wie der Rest des Autos.

Sind die Tücken der Schaltung erst einmal überwunden, läßt sich der Mini erstaunlich unkompliziert bewegen. Auf der Autobahn hört sich der tapfer schnaufende Vierzylinder des kleinen Engländers sogar fast an wie eine Rennmaschine – auch wenn er es gerade mal auf 115 km/h schafft. Sei’s drum, so bleibt wenigstens Zeit, sich die Lkw-Räder ganz genau anzusehen, die man an sich vorüberziehen sieht. Der Rest der Brummis bleibt aus der tiefen Mini-Perspektive unsichtbar. Runter von der Autobahn und ab in Richtung Schliersee. Die Straßen werden schmaler, die Kurven enger.

Der Kollege hinter mir im 210 PS starken Mini Cooper S Works wird ungeduldig und gibt seinem Engländer die Sporen. Mit einem heiseren Schnattern aus dem mittig angebrachten Doppelrohrauspuff verschwindet er hinter der nächsten Kuppe. Neid kommt deshalb noch lange nicht auf. Das Terrain meines Ur-Zwergs liegt noch vor uns: die Berge rund um den Spitzingsee. Das Problem: die steilen Sträßchen wollen zunächst erklommen werden. Kein Spaß bei gerade einmal 848 Kubik, vier Gängen und 34 PS. Trotzdem, für ein Auto, das von einer Serviette abstammt, schlägt sich der kleine Morris prächtig. Mit einer gefühlten Ewigkeit Verspätung erreiche ich den vereinbarten Treffpunkt unterhalb des Spitzingsattels.

Der John Cooper S Works ist ein Prachtkerl

Von nun an geht’s über enge Rüttelpisten und haarsträubende Serpentinen bergab. Endlich Mini-Terrain! Von Kurve zu Kurve werde ich mutiger – und natürlich schneller. Fehlende Pferdestärken sind jetzt kein Thema mehr. Wieselflink und praktisch ohne Seitenneigung läßt sich der Oldie um die Ecken werfen. Die einfache aber effektive Gummifederung leistet erstaunlich gute Arbeit: leichte Stöße steckt der Mini gut weg, tiefe Löcher scheint er einfach zu überspringen. Kein Wunder, daß die Renn-Minis der Konkurrenz bei der Rallye Monte-Carlo um die Ohren fuhren.

Der Works-Cooper kann zwar mithalten, hat aber vor allem in Kurven wenig zuzusetzen. Der Super-Mini hat sechsmal soviel Leistung wie sein Urahn, ist dafür mit 1215 Kilogramm auch fast doppelt so schwer (615 Kilo). Selbstbewußt knisternd, parke ich den rüstigen Briten neben seinem im Verhältnis riesigen Enkel. Fahrzeugtausch. Schade, wir hatten uns gerade aneinander gewöhnt. Nicht daß ich mich nicht für einen 210 PS starken Kleinwagen begeistern könnte. Der bei John Cooper in England aufgebaute Kraftprotz ist ein echter Prachtkerl. Riesige 18-Zoll-Räder, weiße Zierstreifen, Kompressor-Aufladung, tiefe Front- und Heckschürze, Schalensitze – alles bestens.

Und doch stellt ihn der kleine weiße Morris Mini-Minor in den Schatten. Schlichte Eleganz schlägt protziges Imponiergehabe. Die Straßenfeger-Qualitäten des 25.480 Euro teuren Super-Minis sind allerdings nicht von der Hand zu weisen. Vor allem auf bergigen Landstraßen kann er seine Stärken ausspielen. Der Vierzylinder-Kompressor hängt gut am Gas, bei kurzen Zwischensprints legt der Giftzwerg los wie die Feuerwehr. Immer wieder gern gehört: das Pfeifen des Kompressors.

Auch nach 38 Jahren fasziniert der Mini

So richtig geräumig ist der Neuzeit-Mini allerdings nicht. Trotz einer Länge von 3,65 Meter (über 60 Zentimeter mehr als sein Vorgänger) haben vor allem die Passagiere in den hinteren Sitzkuhlen wenig zu lachen. Durch die wuchtigen Schalensitze bleibt kaum Platz für die Beine der Mitfahrer. Bei der Fahrt zurück nach München gibt wieder der Oldie das Tempo vor.

Kein Problem, trotz 210 PS und einer möglichen Spitzengeschwindigkeit von 230 km/h. Das Bummeltempo drückt den Spritverbrauch und bietet Zeit, den Tag Revue passieren zu lassen. Mit dem Mini in die Berge zu fahren, lohnt sich auf alle Fälle. Glücklich, wer die Wahl hat: einen S Works für die Fahrt zum Gipfel, einen Morris Mini-Minor für die Talabfahrt.

Fazit von AUTOMOBIL TESTS-Redakteur Jochen Knecht: Der Ur-Mini hat bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Der Würfel macht Spaß und ist recht günstig zu bekommen. Aber Vorsicht, ein Mini braucht viel Pflege. Und die kann teuer werden! Das Treffen mit seinem modernen Ableger zeigt, daß vor 40 Jahren ganz schön innovative Autos gebaut wurden!

Von

Jochen Knecht