Es ist ein Experiment: mit dem Nio ET7, der Elektro-Limousine des chinesischen Start-ups, von Hamburg nach Oslo und zurück – ohne ein Ladekabel in die Hand zu nehmen! 

So viel Reichweite laden Mittelklasse-E-Autos in 20 Minuten

Ausgewählte Produkte in tabellarischer Übersicht
Kia EV6 (Reichweite in 20 Minuten: 309 km)
Hyundai Ioniq 5 (Reichweite in 20 Minuten: 272 km)
BMW i4 (Reichweite in 20 Minuten: 235 km)
Tesla Model 3 (Reichweite in 20 Minuten: 221 km)
Polestar 2 (Reichweite in 20 Minuten: 218 km)
Tesla Model Y (Reichweite in 20 Minuten: 175 km)
VW ID.4 (Reichweite in 20 Minuten: 171 km)
Mercedes EQA (Reichweite in 20 Minuten: 163 km)
Renault Megane E-Tech (Reichweite in 20 Minuten: 160 km)

Das wären 2150 Kilometer. Wie bitte? So eine Reichweite hat doch noch kein E-Auto. Der ET7 hat immerhin maximal 505 km. Aber Nio hat schon 13 Akku-Wechselstationen in Europa aufgebaut. Also: automatisch reinfahren, automatisch Akku tauschen lassen, rausfahren. In fünf Minuten, verspricht Nio. Seit Kurzem gibt es das auch in Dänemark.
NIO ET7
So beginnt das Experiment: In Hamburg lade ich den Nio ET7 an einer AC-Station über Nacht auf.
Bild: Hauke Schrieber

Der Akku wird nicht gekauft, sondern abonniert

"Navigiere mich zur Power Swap Station in Slagelse", beauftrage ich Nomi, Nios Sprachassistentin. Selbst die kennt die Station noch nicht. Also fahre ich mit vollem 100-kWh-Akku los, Reichweite 503 Kilometer. Die Wechselstation ist 372 Kilometer entfernt. Das sollte klappen. Zumal man in Skandinavien eh nicht rasen kann.
NIO ET7
Grenzübergang bei Flensburg: Ein dänischer Beamter spricht mich auf den Nio an und fragt, wo ich hinwill. Als er Oslo hört, staunt er.
Bild: Hauke Schrieber
Wer einen Nio ET7 bestellt, der hat auch die BaaS-Option: "Battery as a Service". Heißt: Der Akku wird nicht gekauft, sondern abonniert. Wer den Akku abon­niert, bekommt pro Monat zwei Akku­-Wechsel gratis. Jeder weitere kostet, Stand jetzt, zehn Euro – plus Stromkosten. Der ET7 kann natürlich per Kabel geladen werden – mit bis zu 170 kW Ladeleistung. Theoretisch müsste ich aber auch ohne Laden mit zwei Wechseln in Dänemark und Schweden bis nach Oslo kommen.
NIO ET7
Power Swap Station in Varberg (Schweden): Hier klappt es auf dem Rückweg perfekt.
Bild: Hauke Schrieber
Die Fahrt beginnt harmlos. A 7 Richtung Flensburg. Ich fahre den ET7 (Allrad, 653 PS, Preis inklusive Akku ab 90.900 Euro, ab 69.900 Euro ohne Akku) nicht schneller als 130 km/h, probiere die Fahrassistenten aus, die dank Lidar, Radar und Kamera super funktionieren. In Slagelse, 100 Kilometer vor Kopenhagen, komme ich mit 59 Kilometer Rest-Reichweite an. Die Wechselstation finde ich hinter Bauzäunen am Ende eines Autohofs. 

Das automatische Tauschen funktioniert nicht

Jetzt das erste Problem: Da ich im Auto als "Gast" angemeldet bin, kann ich einen Akku zwar über meine App bestellen, aber das automatische Tauschen geht nicht. Da die Stationen noch von Nio-Personal besetzt sind, sagt mir ein freundlicher Däne, er würde meinen Akku manuell tauschen, also per Touchscreen an der Station. Das Auto muss ich selbst in die Garage einparken. Sonst macht das das Auto autonom.
NIO ET7
Nio ET7 in der Wechselstation. Läuft alles glatt, dauert der Tausch nur fünf bis sieben Minuten.
Bild: Hauke Schrieber
Doch das Wechseln klappt zunächst nicht, und als ich eine Jacke aus dem Auto holen will und die Tür öffne, stürzt das System komplett ab. Hektik, die 12-Volt-Batterie muss überbrückt werden, ich verliere eine Stunde. Als der neue Akku endlich drin ist, fahre ich schnell los und bemerke zu spät, dass da noch etwas nicht stimmen kann: Der Austausch-Akku kommt immer nur zu 90 Prozent geladen, das wären also rund 450 neue Kilometer. Ich habe aber nur gut 350.
Mein Verdacht bestätigt sich: Man baute mir versehentlich eine 75-kWh-Batterie ein. Und mit der schaffe ich es nicht zur Power Swap Station in Varberg in Schweden. Also muss ich kurz hinter Malmö doch kurz ans Ladekabel. Experiment gescheitert? Erst mal ja.
NIO ET7
Das Nio-Personal hat mit der Technik zu kämpfen und wechselt dann manuell meinen Akku. Und macht einen Fehler.
Bild: Hauke Schrieber
In Varberg das nächste Problem: Der Rück-Tausch von 75 auf 100 kWh kann auch nur manuell von dem Service-Mitarbeiter gemacht werden. Als er fertig ist, ist es dunkel. Ich verzichte auf Oslo und fahre die gut 70 Kilometer bis Göteborg. Morgen auf dem Rückweg dann ein neuer Versuch.

Auf dem Rückweg läuft's perfekt

Gegen neun Uhr morgens bin ich zurück in Varberg. Den Austausch-Akku hatte ich bei Abfahrt in Göteborg reserviert, jetzt, wenige Hundert Meter vor der Wechselstation, bestätigt mir eine Stimme im Auto, dass alles vorbereitet sei. Tatsächlich: Ich parke den ET7 auf dem Feld vor der Garage und starte auf dem Touchscreen das automatische Einparken. Dann noch mal "Batteriewechsel starten" drücken – und es funktioniert perfekt. Nach 6:40 Minuten fahre ich mit neuem Akku weiter und komme problemlos zur Wechselstation nach Dänemark.
Doch auch hier gibt es erst mal wieder ein Problem. Mein Nio ET7 führt eine "Selbstinspektion" durch – und die Software scheint einen Hänger zu haben. Nach zwölf Minuten breche ich ab, fahre aus der Garage und ordere den Akku-Tausch noch mal neu. Diesmal klappt alles perfekt und dauert sogar nur 5:40 Minuten.

Der Verbrauch ist mehr als akzeptabel

Für die 372 Kilometer zurück nach Hamburg habe ich neue 454 Kilometer Akku-Reichweite. Das genügt knapp. Obwohl ich nicht bummle, sondern, wo es erlaubt ist, an die 130 km/h fahre. Denn der Verbrauch ist mehr als akzeptabel: 20,9 kWh auf 100 Kilometer. Mit vier Prozent Rest bin ich nach 1536 Kilometern wieder zu Hause. Göteborg–Hamburg ohne Kabel: eine wechselhafte Erfahrung. Aber: Experiment doch noch geglückt!