Akku wechseln bei E-Autos: Nio, Kosten, laden, China, Europa
Jetzt auch in Deutschland: Nio wechselt E-Auto-Akku in fünf Minuten
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Strom für 500 Kilometer Reichweite in fünf Minuten laden: Die Power Swap Station von Nio wechselt E-Auto-Akkus im Nu. Erste Stationen in Deutschland gibt es schon, jetzt kooperiert EnBW mit der Marke. So funktioniert das System!
Bild: AUTO BILD
Das Netz von Nio wächst schneller als seine Käuferschaft: Der chinesische Elektroauto-Hersteller hat einen starken Partner gefunden, um Deutschland mit seinen Batterie-Wechselstationen zu überziehen. Künftig werden im ersten Schritt 20 "Power Swap Stations" auf den Ladeparks von EnBW entstehen. Die ersten Wechselstationen innerhalb dieser Kooperation baut Nio in Herleshausen (Hessen) an der A4 sowie in Großburgwedel (Niedersachsen) an der A7. Mit rund 4800 Ladepunkten ist EnBW der größte Ladenetzbetreiber Deutschlands.
Wenn die Stationen in Betrieb gehen, erhalten Elektroautos der Marke Nio dort in fünf Minuten Strom für 500 Kilometer. Der Trick: Anstatt Akkus langwierig zu laden, werden sie einfach ausgetauscht. Das geschieht höchst automatisiert an einer vorbereiteten Schnittstelle – und dauert daher nur so lange wie die Betankung eines Verbrenners mit Benzin oder Diesel.
Was man sich dafür spart: das Ein- und Auspacken des sperrigen und oft verdreckten Kabels, das Hantieren in Kälte oder Regen, das ungeduldige Starren auf die Akku-Anzeige. Die öde Warterei in einem hässlichen Industriegebiet oder Autobahn-Rasthof. Was man dagegen braucht: Vertrauen. Vertrauen in die neue Technik.
Die Anlage des chinesischen Herstellers Nio sieht auf den ersten Blick so aus wie eine halb geöffnete Doppelgarage. Man drückt eine Schaltfläche im Display, auf der "Start power swap" steht, und der gut fünf Meter lange Wagen rollt – mit leeren Batterien im Boden – völlig autonom rückwärts in die kleine Halle.
Rund fünf Minuten später fährt man sein Elektroauto mit neuen, vollgeladenen Akkus wieder heraus. Reichweite jetzt wieder bis zu 500 Kilometer; so schnell wie Tanken, aber ohne auszusteigen.
Mehr als 1100 solcher Akku-Wechselstationen – Nio nennt sie "Power Swap Station" (PSS) – gibt es bereits in China. Täglich werden dort bis zu 30.000 Akkus getauscht; insgesamt gab es bis Ende September 2022 schon mehr als zwölf Millionen Tauschvorgänge.
Der Anfang ist inzwischen auch in Deutschland gemacht. Nio eröffnete am 27. September 2022, kurz vor dem offiziellen Markteintritt hierzulande mit der E-Limousine ES7, in Zusmarshausen (Landkreis Augsburg) seine erste PSS. Sie ist ein Kooperationsprojekt mit Sortimo, dem Betreiber eines der größten Ladeparks in Europa direkt an der stark frequentierten A8 zwischen München und Stuttgart. Ebenfalls mit im Boot ist Installationspartner TSG Deutschland.

Zusmarshausen bei Augsburg: Hier wurde in einem großen Ladepark an der A8 die erste Power Swap Station in Deutschland eröffnet.
Bild: NIO
In der Anlage können künftig an einem Tag theoretisch bis zu 312 "Swaps", also Tauschvorgänge, vorgenommen werden. Bis zu 13 Batterien sollen mit 40 bis 80 kW Ladeleistung netz- und batterieschonend mit Energie gefüllt werden, ohne die typischen Spitzen im Stromnetz zu verursachen. Mittlerweile ist am Seed&Greet-Ladepark in Hilden bei Düsseldorf (NRW) eine zweite PSS von Nio in Betrieb, eine dritte soll in Berlin folgen.
Seit Anfang 2022 geht das Akkutauschen bereits im kleinen Ort Lier westlich von Oslo. In Norwegen wird der Nio ES8 ab 60.000 Euro verkauft (kommt nicht zu uns). In der Regel in der 9000 bis 16.000 Euro günstigeren Version ohne Akku. Die Batterie wird dazugemietet (146 bis 209 Euro/Monat), "Battery as a Service" (BaaS) nennt Nio das. Zweimal im Monat kann der Akku kostenlos an der Station getauscht werden. Jedes weitere Mal kostet umgerechnet zehn Euro Servicegebühr plus 0,20 Euro pro kWh.
Das Vertrauen in die Technik braucht man, weil: Es rumpelt und wackelt ein bisschen unten an dem Wagen. Die Karosserie des Autos wird fünf Zentimeter angehoben. Es macht Geräusche, wenn die Station von unten zehn Bolzen löst und den alten Akku freigibt.

Nur am Display starten und zurücklehnen: Alles Weitere machen Auto und Station.
Bild: NIO
Es ist auch deutlich zu hören und zu spüren, wenn einer der 13 frischen Stromspeicher, die nebenan im "Battery Hotel" mit rund 40 kW und bei 20 Grad sanft wieder aufgeladen wurden, sogleich ins Auto eingesetzt werden. Die Station zieht die Schrauben wieder fest, der ES8 erwacht wieder zum Leben – und man fährt aus der Power Swap Station wie aus einer Waschanlage.

Die Einfahrt in die Power Swap Station absolviert der Nio ES8 voll autonom.
Bild: NIO
Die Idee des Akku-Tauschs ist nicht neu. Doch Nio ist der erste Hersteller, der seinen Kunden diesen Service anbietet. Die 65 m2 große Power Swap Station in Lier befindet sich zwischen einer Shell-Tankstelle und einem Fast-Food-Restaurant. Umgeben von Tesla-Superchargern und Nio-Schnellladern.
Doch schneller als Wechseln geht nicht. Von 7 bis 22 Uhr ist die Station in Norwegen geöffnet. Noch muss eine Aufsichtsperson dabei sein und an einem Display den Vorgang per Hand starten. In China läuft das System bereits komplett autonom.
Die Wechselstation ist Hightech: Mechanisch wird das Fahrzeug in die korrekte Position befördert; ein Laser-Radar und 37 installierte Kameras sorgen dafür, dass die Schrauben millimetergenau erfasst und gelöst werden. "Das kann auch mal etwas länger als fünf Minuten dauern, wenn es Verzögerungen bei der Verbindung vom Auto zur Station gibt", sagt Gert-Jan Geerinckx. Der Belgier, einst bei Tesla, soll für Nio das Netz an Akku-Wechselstationen in Deutschland aufbauen.

Das Elektro-SUV wird millimetergenau in seine passende Position gebracht, ehe zehn Batterie-Befestigungen gelöst werden.
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Nios Europa-Boss Hui Zhang nennt weitere Vorteile des Akkuwechsels: "Kunden profitieren direkt von einer neuen, besseren Batteriegeneration. Und sie können den Akku up- oder downgraden." Heißt: Mit 100-kWh-Batterie ankommen und mit 75-kWh-Akku wegfahren. Oder umgekehrt. 90 Prozent der Kunden in Norwegen haben den BaaS-Service gewählt.

AUTO BILD-Redakteur Hauke Schrieber vor der Tauschstation, die etwa so groß wie eine Doppelgarage ist.
Bild: NIO
Bis 2025 will Nio rund 4000 Power Swap Stations in Betrieb nehmen, 1000 davon außerhalb Chinas. Ein Werk zur PSS-Fertigung ist in Ungarn in Betrieb genommen.
Fazit
Elf Jahre liegen zwischen meinen Tests der Akku-Wechselstationen von Better Place und nun Nio. Das neue System funktioniert beeindruckend und anscheinend zuverlässig. Bleibt abzuwarten, ob sich das Angebot wirklich durchsetzt. Klar ist aber: Nio macht richtig ernst. Auch wenn die Chinesen (noch) im langen Schatten von Tesla agieren.
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