Es ist 22 Uhr, ich sitze in der Tapas-Bar Jarritus in der Calle de Alcalá in Madrid, trinke mein drittes San Miguel und werde gleich zurück in mein Billighotel gehen. Vor fünf Stunden hat mir David Valls von Nissan die Schlüssel für den neuen Qashqai gegeben. "Ich dreh mal kurz ?ne Runde", hab ich ihm erklärt, mit Händen und Füßen. Während der Fahrt revidierte ich meine Entscheidung. Kurz ist mir zu kurz, ich bring die Kiste nach Hamburg. Der Nissan-Typ hat sich noch nicht wieder gemeldet. Und wenn, dann könnte ich nicht antworten. Denn ich kann kein Spanisch. Und er kein Hessisch.

Mit dem 110-PS-Diesel quer durch Europa

Nissan Qashqai
Schnell weg hier: Um sechs Uhr geht es in Spanien auf die Autobahn. Fluchtfahrzeug: der neue Qashqai.
Presse-Fahrvorstellung in Madrid. Journalisten aus aller Welt testen den Qashqai und müssen Marketing-Gewäsch über sich ergehen lassen. Ich nicht. Mir muss kein Werbefuzzi erklären, wo der Frosch die Locken hat. Das finde ich schon noch selbst raus. Abfahrt mit dem Qashqai. Sechs Uhr am Morgen, es ist noch dunkel. Schnell weg, bevor Señor Valls doch noch anruft. Was habe ich mir da eigentlich, na, sagen wir mal: "ausgeliehen"? Blick in die Preisliste. Qashqai 1.5 dCi mit 110 Diesel-PS in der Ausstattung Acenta. Grob gesagt ist da alles drin, was man braucht: 17-Zoll-Aluräder, Klimaautomatik, Parkpiepser vorn und hinten, Tempomat, CD-Radio, elektrische Fensterheber. 24.850 Euro kostet der Spaß. Aufpreis wird fällig für das Navi (faire 800 Euro) und den weißen Metalliclack (happige 550 Euro). Ich will nicht meckern, genau so hätte ich den Qashqai auch konfiguriert.

Der Qashqai ist für Nissan ein echter Verkaufsschlager

Nissan Qashqai
Qashqai klingt wohl nicht zufällig nach "Cash-cow" – in Europa fanden sich bisher 1,5 Millionen Käufer.
Wo fahr ich jetzt hin? Erst mal auf die Autobahn, Richtung Mittelmeer, da ist es schön warm. Die Kollegen Rennfahrer in der Redaktion würden mosern, denke ich so, als ich bei 1700 Touren runterschalte, denn es scheint, als hätte der Knabe bei niedrigen Drehzahlen Asthma. Ich fordere jetzt keine Kortisonspritze, sondern sage: Entspannt euch, der Qashqai ist schließlich kein Haudegen zum Kurvenräubern, sondern vor allem ein Auto für die Generation 50 plus. Das sind Menschen, die morgens von ihren Bandscheiben geweckt werden und sich nicht in die tiefen Sitze eines Kompakten reinschälen wollen. Diese Leute werden immer mehr. Seit 2007 hat sich die erste Qashqai-Generation in Europa 1,5 Millionen Mal verkauft, allein in Deutschland gibt es 150.000 dieser Kreuzungen aus Kompaktwagen und SUV.  Huch, bin ja schon in Frankreich. Beim Tankstopp ist es mir aufgefallen. Eben noch in Barcelona einen frisch gebrühten Café con leche für 1,30 Euro getrunken, und jetzt 2,50 Euro in den Automaten geworfen und einen Plastikbecher voll brauner Plörre erhalten, merci.
Wo ich schon mal stehe, gleich den tatsächlichen Spritverbrauch ausrechnen. Nissan sagt, der 1.5 dCi begnüge sich mit 3,8 Litern. Ich sage: Grober Unfug! Trotz Höchsttempo 120 genehmigt sich der Qashqai nach den ersten 815 km 6,65 Liter, auf den folgenden 2000 Kilometern wird sich das auch nicht mehr groß ändern. Nach dem Kaffeeschock, einem eher mäßigen, aber teuren Abendessen und einer kalten Nacht in einer unbeheizten und gottverlassenen Absteige in Montpellier beschließe ich: Frankreich und ich werden in diesem Leben keine Freunde mehr, Abfahrt nach Österreich.

Nach der langen Tour überzeugt das japanische SUV

Nissan Qashqai
Bequem einsteigen, hoch sitzen: Auch in der Generation 50+ kommt der neue Nissan gut an.
"Wann warst du eigentlich zuletzt im Skiurlaub?", fragt mich Fotograf Sven. Ich sage ihm: "Heute Abend." Bartholomäberg, Österreich, Skigebiet Montafon, 1087 Meter über Normalnull. Es schneit, und wir müssen über den Notbremsassistenten reden. Der ist ab der Ausstattung Acenta an Bord, ebenso wie ein Spurhaltepiepser und Verkehrszeichenerkennung. "System nicht aktiv" zeigt das Zentraldisplay an. Denn es schneit ja. Ich könnte jetzt Schnappatmung kriegen. Ist aber nicht so. Denn bis auf die Verkehrszeichenerkennung habe ich seit Madrid nicht nur keines dieser Systeme gebraucht, sondern sogar alles ausgeschaltet. Ich fahre – nicht der Computer!  Mal hören, was Mama meint. Der Weg nach Hamburg führt über Hessen. Praxistest in Ziegenhain, Mama wartet schon. "Hier kann ich ja schön einsteigen", sagt sie, und dass sie statt ihres Golf VI lieber einen Golf Plus genommen hätte, so wie Marianne und Irene aus ihrer Kaffeekränzchen-Runde. Ich hör sie schon stöhnen: Wir werden alle nicht jünger! Stattdessen sagt sie: "Fahr mal zu Michele, der hat auch so einen." Michele ist der Pizzabäcker bei uns im Ort. Er sagt: Diana wollte eigentlich einen Tiguan, aber der war zu teuer. Diana ist Micheles Frau. Als die beiden eine Runde im Qashqai drehten, war die Entscheidung gefallen: 'Nach fünf Kilometern hat sie gesagt: Den will ich!'
Und Michele hat dem Händler mit guten Argumenten einen satten Rabatt rausgeschlagen: "Ich parke immer vor meiner Pizzeria, das ist gute Werbung für dich!" Ach, Michele, ich könnte noch stundenlang zuhören und Pizza essen. Aber nutzt ja nix, muss weiter nach Hamburg. Und mir auf den restlichen 375 Kilometern überlegen, was außer der elektrischen Parkbremse und der Anfahrschwäche gegen den Qashqai spricht. Ich grüble. Und grüble. Bis Hamburg. Sven hat auch keine Idee. Vielleicht gehe ich in 'ne Tapas-Bar und grüble bei ein paar San Miguel weiter. Vielleicht meldet sich dann auch Señor Valls.
Andreas May

Fazit

Wetten, dass Nissan die Erfolgs-Story mit dem neuen Qashqai fortschreibt? Der kompakte Hochsitz sieht gut aus, ist richtig fein verarbeitet, gut ausgestattet – und noch bezahlbar.