Produktpiraten in China
Das schmutzige Geschäft

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Still und heimlich kopieren chinesische Hinterhof-Werkstätten unseren Smart. AUTO BILD-Reporter Claudius Maintz wagte sich in die geheimen Hallen der Produktpiraten und Smart-Fälscher.
Zwei Stunden quält sich der klapperige Bus über die vierspurige Autobahn im Westen Chinas, gegen Mittag passiert er bei Dezhou die Mautstation. Der Fahrer stoppt auf dem Seitenstreifen, zückt sein Handy und wählt die Nummer von Zhang Yinshun, Verkaufsleiter der Firma "Shandong Xin Ming Glass Fibre Manufacture Co. Ltd.". So war es vereinbart. 20 Minuten später blitzt ein knallgelber Chery durch die beschlagenen Scheiben, am Steuer des Kleinwagens grinst ein Mann: Zhang Yinshun, der Verkaufschef der Firma. Er rudert mit den Armen, wir sollen folgen. Die Fahrt geht durch bäuerliche Vororte, vorbei an Dutzenden Arbeitern, die bei minus zehn Grad Chillischoten pulen, hinein in ein graues Industriegebiet der 5,5-Millionen- Stadt. Schließlich rollt der Chery durch ein breites Werkstor, ein uniformierter Wachmann schaufelt gerade Kohlen in den Ofen seiner kleinen Pförtnerloge. Auf einmal sind wir mitten in den heimlichen Hallen der Smart-Fälscher. In Reih und Glied haben die Produktpiraten ihre heiße Ware aufgefahren. Grün, Blau, Rot, Schwarz, Silber – viele bunte Smarties für Kunden in Südafrika, Neuseeland, Russland und neuerdings auch in den USA, wie Manager Zhang sagt.
Ab 3970 Euro ist der Elektro-Smart zu haben

Giftige Dämpfe kriechen durch die Fälscherbuden

Vor den grauen Betonhallen stapeln sich Prototypen-Karosserien im Schnee. Auch die Außenhaut eines Smart Fourfour ist dabei. "Wir bauen das, was der Kunde haben will", sagt Zhang. Auch eine Mercedes E-Klasse? Konkrete Antwort: "Ja, machen wir." Sein Chef habe die Idee zur Smart-Kopie auf einer Deutschland-Reise gehabt und sich ein Original mit nach Hause genommen. Und wo, bitte, ist die Kopiervorlage jetzt? "In der Werkstatt", sagt Verkaufschef Zhang. Einen echten Smart als Vorlage hat sich auch die von der Provinzhauptstadt Jinan aus operierende Fälscherschmiede Flybo besorgt. "O.k., wir haben kopiert, aber das ist doch lange her", gesteht Cappy Zhang, der sich als Designer vorstellt und im Hauptjob Elektro-Mofas entwirft. Seine Labors und Werkstätten will er nicht zeigen – "weil Sie Journalisten sind", sagt er später. Vielleicht landen die Chinesen tatsächlich bald den nächsten Copy-Coup. In Linzi, rund vier Autostunden von Dezhou entfernt, spüren wir die nächste Fälscherwerkstatt auf – "Shandong Huoyun Electric Cars" nennt sich die Firma: drei Hallen, vollgestopft mit Smart-Nachbauten, ein paar Büros.
Das Areal gleicht eher einem Bauernhof. Nach Protesten von Daimler hat Firmenchef Wang Xiao Bin die fortwo Form eckiger gemacht. Doch von Besserung kann keine Rede sein. Auf dem Hinterhof steht die Fiberglas-Karosserie eines New Beetle! Das nächste freche Plagiat? Boss Wang müsste es wissen. Doch statt zu antworten, wird der kleine Mann wütend – wegen der "unhöflichen Frage". Kein Kommentar. Auf seine Kollegen aus den anderen Copyshops ist Wang gar nicht gut zu sprechen: "Die haben uns diesen Wagen nachgemacht", sagt er und zeigt auf einen gelben Smart-Abklatsch. Kopierer beschuldigen Kopierer des Kopierens. Willkommen im Herzen Absurdistans.
Absurd: Die Plagiate sind nur für den Export

Das Design bleibt ohne Markenschutz
Daimler ist machtlos gegen die im ganzen Land ebenso verstreuten wie versteckten Smart-Fälscher. Kapituliert der Weltkonzern vor einer versprengten Truppe chinesischer Produktpiraten? "Wir bekämpfen Produktpiraterie mit allen rechtlichen Mitteln – wo immer es notwendig ist", sagt Smart-Chef Anders Sundt Jensen. Wahrscheinlich ist es sogar unmöglich, die Autokopierer zu stoppen. "Die Feststellung einer Urheberrechtsverletzung ist bei einem Fahrzeug nicht so leicht wie bei einem T-Shirt", erklärt der Jenaer Markenrechtprofessor Volker Jänich. In einem aktuellen Urteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) den Kopierschutz sogar gelockert (Az. I ZB 37/04). Ein Kernsatz der Richter: "Gewöhnlich schließen Verbraucher aus der Form der Ware nicht auf die betriebliche Herkunft." Übersetzt: Die Form eines Autos genießt grundsätzlich keinen Markenschutz. Die Ausnahme hiervon steht in einem BGH-Urteil zur Gestaltung des Porsche Boxster (Az. I ZB 33/04). Grundsatz: Designschutz besteht, wenn sich von der Form sofort auf die Marke schließen lässt – beim einzigartigen Smart-Konzept wäre das der Fall.
Gefährliche Plagiate

Und so Smart das US-Geschäft vermiesen. Doch vom Kauf ist dringend abzuraten. Wie bei fast allen Stromautos macht das enorme Drehmoment zwar eine Menge Spaß. Die Bremsen aber sprechen bei fast allen getesteten Plagiaten viel zu spät an. Trotz oder gerade wegen der Handarbeit wirkt die Verarbeitung schlampig. Ein Beispiel: Wer den Türknopf ziehen will, hat ihn beim Smart aus Zibo gleich in der Hand. Und wie sicher ist Fiberglas? Technikleiter Guido Folster vom Crashtestzentrum des DEKRA: "Das Material bricht sehr spröde, vermutlich bilden sich bei einem Unfall viele scharfe Kanten."

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