Royal Enfield Classic 350: Fahrbericht, Motorrad
Reichen 20 PS fürs Motorrad-Glück? Eine Maschine, viele Meinungen!

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Pur kommt sie daher, fährt wie anno dazumal und ist unverschämt günstig: Die indische Royal Enfield Classic 350 müht sich, die Redakteure glücklich zu machen. Das ist das Ergebnis!
Bild: AUTO BILD
Eine Maschine, viele Meinungen: Gleich vier AUTO BILD-Redakteure machen es sich nacheinander auf dem Sitz der Royal Enfield Classic 350 gemütlich – ein Motorrad für Sinnsucher, Entschleuniger und Preisbewusste, weniger für Technikfreaks, Heizer und Angeber. Alle vier wollen für sich die Frage beantworten: Reichen 20 PS fürs Motorrad-Glück?
Bernd Volkens: "Eine Maschine zum Meditieren"
Toktok, alles Metall. Tank, Schutzbleche, Lampe und diese massiven Bügel überm Hinterrad. Viel Metall für wenig Leistung, da ist die Skepsis vor dem Anfahren groß. Aber dann fühlt sich die Enfield ausreichend erwachsen an. Die Power reicht zum Wegfahren an der Ampel und notfalls auch für die Autobahn. Für meine 400-Kilometer-Tour über Land akzeptabel, man hat Zeit, unterwegs viel nachzudenken. Ein Philosophen-Bike ist das, ein Meditierrad. Ooohm!
20 PS reichen für den ursprünglichen Spaß am Fahren, ich gondele mit 80, 90 über Landstraßen, gucke gelassen auf die Gebückten, die mich überholen. Weniger ist mehr – na ja, ein bisschen mehr wäre auch schön. So 30 PS und dazu ein paar Kilo abspecken.
Spitze: 114 km/h – sitzend. Früher maß man auch liegend, aber das verbietet das schöne Aussehen. Süß, diese Lampenhaube. Dazu Zweifarblack, Kniepads, Schriftzüge auf den Rastengummis, die richtige Portion Chrom – kein Wunder, dass die Enfields beim Hamburger Händler neben den teuren Indians stehen.

Bernd Volkens: "Man hat Zeit, unterwegs viel nachzudenken. Ein Philosophen-Bike ist das."
Bild: AUTO BILD
Die Sitzposition passt trotz niedriger Bank, die eine schöne breite Polsterung hat, nur die Fußrasten stehen seltsam weit vorn und der Bremshebel zu hoch. Ich tanke 9,5 Liter nach 320 Kilometern. Klingt wenig, ist angesichts der gebotenen Fahrleistungen aber nicht wirklich sparsam. Der Sound geht in Ordnung, nicht so ein Luftpumpenklang wie nostalgische 125er von Mash.
Schön: Werkzeug stilecht in einer Rolle, USB-Ladebuchse links am Lenker, Hauptständer dabei, erstaunlich bissige Fußbremse, der günstige Preis. Nicht so schön: Bei Kilometer 2245 leuchtet N für Leerlauf – ich habe aber den Ersten drin und würge an der Ampel ab. Bei Kilometer 2294 spinnt der Tacho, springt nicht zurück und zeigt bei Tempo 80 über 160 km/h. Ein Elektronikwurm – von wegen simple Technik ist nicht anfällig.
Malte Büttner: "Schlechte Erinnerungen werden wach"
Es sollte eine Fahrt werden, die Erinnerungen weckt. Mehr als 1000 Kilometer nach Dänemark und zurück. An einem langen Wochenende und nur über Landstraßen. Das habe ich als Teenager vor einem Vierteljahrhundert mit einer 50er gemacht.

Malte Büttner: "Ich bin nicht mehr 16, mit 20 PS möchte ich mich nicht rumärgern."
Bild: AUTO BILD
Dass nun die Enfield auch die schlechten Erinnerungen wachküsst, hätte ich nicht erwartet. Das Rechtsfahren, um Autos vorbeizulassen, das Verhungern hinter den Lastern, der ständig krampfhaft aufgerissene Gashahn – nee! Die Optik ist sympathisch, der Sound toll. Aber ich bin nicht mehr 16, und mit 20 PS möchte ich mich nicht rumärgern.
Matthias Moetsch: "Ein lahmendes Zirkuspferd"
Ja, ich weiß: Die Leute gucken, wollen das niedliche Ding streicheln. So viel Aufmerksamkeit für so wenig Geld, das gibt es sonst nirgends. Aber Stil? Nun ja, die Enfield ist einfach irgendwo stehengeblieben in den 50ern oder 60ern. Mit ihrem roten Lack, den wulstigen Chromschutzblechen, den Wimpern überm Scheinwerfer und all den Verzierungen macht sie ziemlich auf Zirkuspferd. Nicht mein Ding.

Matthias Moetsch: "Selbst für mich als schüchternen Fahrer hat die Royal Enfield zu wenig Druck."
Bild: AUTO BILD
Ansonsten: Selbst für mich als schüchternen Fahrer hat die Maschine zu wenig Druck, auf der Autobahn nerven die Überholduelle mit Lastern. Als klasse hingegen empfinde ich die bequeme Sitzposition.
Jan Horn: "Selten so lässig langsam gefahren"
Von wegen retro. Retro imitiert Vergangenes, an der Royal Enfield Classic 350 ist dagegen alles echt. Die dicken Streben der stabilen SchutzBLECHE, der dampfende Charakter des Einzylinders, das Verhältnis aus tatsächlichem und gefühltem Gewicht. Alles so schön authentisch hier. Ich fahre Eisen, ich fühle Mechanik, ich bediene 195 Kilogramm Maschine, ich lebe 1952 – so ungefähr.

Jan Horn: "Selten bin ich so lässig langsam gefahren. Eine neue Erfahrung dank alter Ideale."
Bild: AUTO BILD
Und ja, ich guck sie gern an. Tank in zwei Tönen, Cockpit mit Rundtacho, sooo viel Chrom, mächtiger Motorblock. Selten bin ich so lässig langsam gefahren. Eine neue Erfahrung dank alter Ideale.
Fahrzeugdaten Royal Enfield Classic
Motor Einzylinder, 4-Takt • Hubraum 349 cm3 • Leistung 15 kW (20 PS) bei 6100/min • max. Drehmoment 27 Nm bei 4000/min • Spitze 114 km/h • Reifen v./h. 100/90-19 / 120/80-18 • Sitzhöhe 805 mm • Gewicht 195 kg • Tankinhalt 13 l • Preis ab 4890 Euro
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