Es war kein laues Lüftchen, sondern ein wahrer Wirbelwind, der 1978 durch Europa und manch verstaubtes Konstruktionsbüro blies. Und obwohl die frische Brise aus den frostigen Weiten des hohen Nordens kam, wurde nicht wenigen mächtig warm ums Herz. Was dort mit dicken Backen sein lautes Liedchen pfiff, war der einzige aufgeladene Benziner in einer europäischen Serien-Limousine. Innovativer Schwedenstahl namens Saab 900 Turbo. Eine Kombination aus trolliger Technik von morgen in einer Hülle von gestern. Bereit, einen 15-jährigen Marsch durch die Institutionen ins Oberhaus anzutreten. Zumindest der Preis ist dort schon im Premieren-Jahr angekommen.

30.000 Mark kostet anno 1979 das Turbo-Top-Modell des Flugzeug- und Autobauers Svensca Aeroplan Aktiebolaget (Saab) aus dem schwedischen Trollhättan. 30.000! Das ist ein Wort. Kein anderer Vierzylinder ist hierzulande teurer. Aber auch kein anderer verbindet Zutaten wie Panoramascheibe, Pollenfilter und passive Sicherheit zu einer derart markanten Mixtur. Und die schmeckt nicht jedem.

Die einen nennen es Charme, die anderen schamlos. Für so viel hart verdiente Deutsche Mark gibt's sehr viel weiter südlich auch einen seriösen 280er-Einspritzer-Benz oder einen sportiven BMW 528i. Die haben neben einer sicheren Portion Prestige sogar zwei Zylinder mehr und ein in dieser Klasse standesgemäßes Stufenheck. Der 900 hat als Combi-Coupé dafür hinten ein große Klappe und vorn die Nase voll. Unter der langen Haube haust zwar ein betagter Bekannter, aber der ist stark auf der Brust und hat einen langen Atem.

Dampfmaschinen-Durchzug

145 eingeblasene PS sind es, die an den wimmernden Vorderrädern zerren. Ein Turbo noch vom alten Schlag - und mit eben einem solchen setzt die ganze Laderleistung ein. Doch dann geht es wie vom Gummiband gezogen nach vorn. Einen Turbo hatte es zwar auch im Typ 99 gegeben, der um 45 Grad geneigte Zweiliter datiert aber noch länger zurück. Ursprünglich als 1,7-Liter von Triumph für Saab entwickelt, hatte der brave ohc-Motor einstmals eine etwas zähe, aber enorm langlebige Laufbahn eingeschlagen, bevor er zum Ladegerät mutierte.

Laufruhe und Durchzug der Dampfmaschine können begeistern, der Durst des Schweden nicht. Wer den Garrett-Lader von der Leine lässt, hört nicht nur ein Pfeifen, sondern auch den Strudel im Tank. 15 Liter und mehr sind allemal drin. Aber dafür ist am Schwedenhappen auch einiges dran. Allerdings mal mehr und mal weniger modern.

Neben vier Scheibenbremsen, Seitenaufprallschutz in den Türen, Servolenkung und beheizten Sesseln ist eine gewöhnungsbedürftige Karosserie im Kaufpreis inklusive. Vom zehn Jahre zuvor präsentierten Vorgänger 99 unterscheidet sich der 900 in erster Linie durch längere Karosserieüberhänge und einen etwas gewachsenen Radstand. Was weder die Designer in Schweden noch die überaus individuellen Kunden in der Welt zu interessieren scheint. Die berauschen sich an der für die Ewigkeit gefügten Mechanik und dem Rauschen des Windes.

"S" geht noch mehr

Der pfeift der Konkurrenz ab 1984 noch viel ärger um die Ohren. Im bespoilerten 900 Turbo 16 S tobt ein Orkan, entfesselt von Ladeluftkühlung und vier Ventilen pro Zylinder. Im Zusammenspiel mit der 1982 eingeführten APC (Automatic Performance Control) - einer elektronischen Ladedruckregelung mit Klopfsensor, die eine höhere Verdichtung ermöglicht - schaufelt die Turbine nun 175 PS auf die Kurbelwelle des "Aero" genannten Überfliegers.

20 Prozent mehr Drehmoment und 210 km/h Spitze sind das Ergebnis. In 8,7 Sekunden pfeift der neue Turbo 16 S auf Tempo 100 und frisst auf Landstraßen und Serpentinen die Reifen auf der angetriebenen Vorderachse. Sogar der Verbrauch ist, trotz Lust unter Last, dank Ladeluftkühlung gesunken. Nicht jedoch der Preis. 5000 Mark mehr kostet das Top-Turbotriebwerk, 43.500 Mark das Gesamtkunstwerk. Sanfter gibt sich da der Soft-Turbo mit 141 PS, doch der verzichtet auf APC und Ladeluftkühlung. Dann ist da noch der Voll-Turbo mit acht Ventilen und 145 oder 150 Pferdestärken - und so weiter. So verwirrend die Kombination der Komponenten gerät, so überschaubar bleibt die Modellpalette.

Zwar ist seit 1980 auch ein konservatives 900er-Stufenheck zu haben, dieses bleibt jedoch eine Luftnummer und fungiert auch als Basis für eine solche. Der "Sedan" dient dem schönsten aller Schweden, dem 900 Cabrio, als Grundlage. Ein Wagen für den Export, gebaut im eisigen Trollhättan, gefahren im sonnigen Kalifornien. Und bei uns, wo die Kreativen und jungen Erfolgreichen nach den ehemals skurrilen Mobilen greifen, die längst schon jenseits aller Auto-Moden nur noch für sich stehen. Typ 9000, die kantige Euro-Schaukel der Konvention? Klarer Fall: weg damit und hopp. Der echte Saab-Fahrer kauft 900er-Combi-Coupé oder -Cabrio, der Arzt, der Anwalt, der Architekt. Hauptsache anders als die anderen. Bis zum bitteren Ende.

Das kommt langsam, aber furchtbar. 1992 werden nur noch das doppelte C und das Cabrio gebaut, mit dem ein Jahr später das letzte Modell der ersten 900er-Modellreihe das Werk verlässt. Der 900 II, der ihm folgt, ist mehr Rüsselsheim als Trollhättan und pfeift auf dem letzten Loch. Aus dem Wirbelwind ist ein laues Lüftchen geworden.

Historie, Daten, Kontakt

Modellgeschichte Es hatte so beschaulich angefangen. Als der Flugzeugbauer Saab 1968 den Typ 99 präsentierte, war dies erst das dritte Modell seit der Gründung der Auto-Sparte im Jahre 1947. Im Gegensatz zur buckligen Verwandtschaft, der Typen 92 und 96, klöterte nun kein Dreizylinder oder Ford-V4 mehr unter der Haube, sondern ein modernes ohc-Reihenvierzylinder-Aggregat. Dem blies seit 1978 ein Turbo mächtig Dampf ein, womit Saab als erster Hersteller einen aufgeladenen Vierzylinder in einer Serienlimousine verbaute. Aus dem 99 erwächst kurz darauf der 900, mit größerer Karosserie und längerem Radstand - aber immer noch mit dem legendären Zweiliter-Turbomotor. Zuerst ist der 900 nur als Fließheck (mit zwei oder vier Türen), ab 1980 aber auch als Stufenheck und 1986 sogar als Cabrio zu haben. Die Leistung der Turbos wuchs dank Ladeluftkühlung und Vierventiltechnik von anfangs 145 auf 150 und 175 PS. Ohne etwas an unerschütterlicher Haltbarkeit einzubüßen, gewissenhafte Pflege und richtige Bedienung des Turbos vorausgesetzt. Mit dem 900 festigte Saab seinen Ruf als Turbo-Marke. Ein Image, das mit der Übernahme durch GM und dem Auslaufen der Baureihe 1993 allerdings an Glanz verlor.

Kontakt Weitere Informationen zu Geschichte und Entwicklung der 900er-Baureihe sowie Angebote und Tipps beim Gebraucht-Saab-Kauf gibt es im Internet unter www.forum-auto.de