Die anderen Autofahrer müssen uns für bescheuert halten. Es ist morgens um halb neun, es sind schon über 30 Grad, und an der Tankstelle in Hamburg-Stillhorn stehen drei Golf-Fahrer und rütteln an ihren Autos. Der eine wippt mit seinem Körpergewicht auf der Einstiegsleiste, die beiden anderen schieben und drücken an der C-Säule. Das sieht dämlich aus, hat aber einen Grund: Die Luftblasen im Tank müssen raus, damit er wirklich randvoll gefüllt werden kann. Diesen Frühsport hat mir mein Kumpel Björn eingebrockt. Er ist der größte Autoliebhaber, den ich kenne, und ausgerechnet der hat mir neulich erzählt, dass er wegen der hohen Spritpreise auf der Autobahn nur noch Tempo 90 fährt. Und dass er ganz viele andere Autofahrer kennt, die das auch so machen.

Drei identische Autos, drei verschiedene Tempovorgaben

Spritspar-Fahrt
Ich dagegen habe Zweifel, ob das wirklich so viel bringt – und ob man dabei nicht wahnsinnig wird. Der Plan: Wir probieren das mal aus. In drei identischen Golf 1.4 TSI mit 122 PS wollen wir gleichzeitig von der Autobahnraststätte Stillhorn an der Stadtgrenze Hamburgs zum Rasthof In der Holledau vor den Toren Münchens fahren. Einer so schnell es geht (und erlaubt ist), einer mit der Richtgeschwindigkeit 130 und ich mit Tempo 90. Regeln: Stauzeiten und Erholungspausen werden von der Fahrzeit abgezogen, Tankstopps aber nicht. Wir fahren mit Licht, Radio und Klimaanlage auf 22 Grad. Das benachteiligt zwar denjenigen, der am langsamsten fährt (weil bei ihm die Klimaanlage länger läuft), ist bei den hohen Temperaturen aber realistisch. Wir wollen ja Praxis- und keine Laborwerte haben. Auf meiner Schleichfahrt merke ich schon bei der nächsten Auffahrt, dass ich umdenken muss: Weil ich einen Lkw auf die Autobahn lassen möchte, ziehe ich wie gewohnt auf die Mittelspur – und komme mit meinen 90 km/h nicht mehr zurück. Aus Höflichkeit habe ich ein Elefantenrennen verursacht, über das ich mich als Hinterherfahrender aufregen würde. Nächstes Mal bleibe ich rechts und tippe auf die Bremse.

Autobahn voll oder leer – das ist (auch) eine Frage der Geschwindigkeit

Es sind ganz neue Erkenntnisse, die man auf der rechten Spur gewinnt. Zum Beispiel, dass der deutsche Lkw knapp 90 km/h schafft, der Skandinavier dagegen eher 100 fährt und die Wohnwagenfahrer bunt gemischt. Ich merke auch, wie unterschiedlich die Wahrnehmung ist: Vollgas-Fahrer Stefan (Vmax um die 200) ruft an und meckert, dass die Autobahn wahnsinnig voll sei. Mir kommt sie dagegen leer vor. Der Bordcomputer zeigt derweil großes Kino: Ich kann im Display zuschauen, wie die Reichweite von 700 auf zwischenzeitlich über 1000 Kilometer ansteigt. Nach 360 Kilometern erreiche ich das Hattenbacher Dreieck und habe immer noch über 900 Kilometer Reichweite. Damit würde ich es bis zum Gardasee schaffen. Locker. Vorausgesetzt natürlich, ich bin nicht vorher eingeschlafen: Eine Studie des DEKRA hat ergeben, dass bei niedrigerem Tempo Unachtsamkeiten und Sekundenschlaf zunehmen.
Gelohnt hat sich die Schleichfahrt am Ende sowieso nicht: Mit achteinhalb Stunden bin ich rund zwei Stunden länger unterwegs gewesen als der Kollege mit Tempo 130, habe ihm gegenüber aber nur neun Euro Spritkosten gespart, das ist umgerechnet deutlich unter Mindestlohn. Immer Vollgas zu fahren ist aber auch Blödsinn: Unser Tempo-Mann war lediglich eine Stunde schneller als der 130-Fahrer – und hat das mit 50 Euro Mehrkosten bezahlt.

Fazit von AUTO BILD-Redakteur Alex Cohrs

Manchmal ist Mittelmaß gar nicht schlecht: Tempo 130 war auf unserer Strecke der beste Kompromiss aus Fahrzeit und Verbrauch. Ein generelles Limit auf 130 km/h lehne ich trotzdem ab. Wo keine Gefahrenstelle ist, sollte jeder Autofahrer selbst entscheiden, welches Tempo er für vernünftig hält. *inklusive Tankstopps, ohne Erholungspausen und Stauzeiten
** bei durchschnittlich 1,50 Euro pro Liter

Tipps zum Spritsparen finden Sie in unserem Spritspar-Spezial.

Von

Alex Cohrs