Die jüngste Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist wegen eines juristischen Formfehlers umstritten. Nun regen sich Bedenken gegen alle StVO-Änderungen seit dem Jahr 2009: Wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot des Grundgesetzes, unserer Verfassung, könnten aus Sicht von Juristen alle Änderungen seit elf Jahren ungültig sein. Das berichtet die "Neue Osnabrücker Zeitung" unter Berufung auf ein Schreiben des baden-württembergischen Justizministeriums. Dabei geht es vor allem um eine Verordnung aus dem Jahr 2013. Aus der "Justizpraxis" seien Bedenken auch gegen vorherige Novellen der StVO vorgebracht worden, hieß es aus dem baden-württembergischen Justizressort. Diese seien an das zuständige Verkehrsministerium weitergeleitet worden.
Konkret hieß es nun aus dem baden-württembergischen Verkehrsministerium, auch die Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 habe die Rechtsgrundlage nur unzureichend zitiert. Das Gleiche gelte für die Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 5. August 2009, sie sei ebenfalls nichtig. Was bedeutet das nun für Autofahrer? "Für abgeschlossene Fälle bedeutet das in der Regel nichts", sagt Verkehrsrechtsanwalt Uwe Lenhart aus Frankfurt/Main gegenüber AUTO BILD. Es müsste schon Gründe für eine Wiederaufnahme eines Verfahrens geben, die wären durch einen Formfehler im Gesetz allein nicht gegeben. Auch Schadenersatzansprüche entstünden dadurch nicht. Interessant wäre es aber für laufende Verfahren, in denen beispielsweise mit einem Fahrverbot zu rechnen wäre, sagte der Verkehrsrechtsanwalt: "In diesen Fällen wäre die bis zum August 2009 geltende Rechtslage anzuwenden".

Müssen Regeln von vor 2009 angewandt werden?

Bislang rieten Juristen, sich auf die Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle am 28. April 2020 zu berufen. Der Grund: Bei der neuen StVO wurde das sogenannte Zitiergebot des Grundgesetzes verletzt. Denn bei Erlass einer Verordnung muss angegeben werden, auf welcher Rechtsgrundlage der Verordnungsgeber gehandelt hat. Wer nun wegen eines gravierenden Verstoßes gegen die StVO verfolgt wird, der sollte Kontakt mit einem Anwalt aufnehmen. Der Expertentipp von Uwe Lenhart: "Nun sollte man sich den Bußgeldkatalog von 2009 anschauen." So legen Sie Einspruch ein.

ADAC verweist auf den Aspekt der Rechtssicherheit

Der ADAC vertritt eine andere Auffassung. Die Neufassung der StVO 2013 sei damals gerade zu dem Zweck erfolgt, eine rechtssichere Verordnung aufgrund früherer Zitierfehler zu schaffen. Dort seien "alle relevanten Ermächtigungsgrundlagen unseres Erachtens korrekt angeführt", so der Automobilklub. In den zurückliegenden sieben Jahren seien zudem nach ADAC-Recherche keine Gerichtsentscheidungen veröffentlicht worden, die in Bezug auf das Zitiergebot bei der StVO Bedenken geäußert hätten. "Daher können wir eine Fehlerhaftigkeit im Neuerlass der StVO 2013 nicht bestätigen", hieß es von Seiten des ADAC.
Wegen eines Formfehlers war der Ende April 2020 in Kraft getretene Bußgeldkatalog der neuen StVO von den Ländern außer Kraft gesetzt worden. Dabei geht es vor allem um härtere Strafen für Raser, die nach Ansicht von SPD- und unionsgeführten Ländern abgemildert werden sollen. Die Bundesländer und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ringen seit Wochen um eine Neuregelung.
Mit Material von dpa