Plöm-Plöm-Plöm von zwei Motoren

Frau Vahldieck war ahnungslos. Ihr Mann lädt zu einem Bummel durch die Hamburger City ein. Schön. Doch die glitzernden Ladenpassagen der Alstermetropole bekommt sie an diesem Tag nicht zu sehen. Statt dessen steht Frau Vahldieck irgendwann in irgendeiner Straße, und ihr ansonsten ruhiger Mann umkreist aufgeregt ein Auto, das aussieht wie eine Hornisse.

"Das verdutzte Gesicht meiner Frau werde ich nicht vergessen, als wir den G 1200 das erste Mal gesehen haben", erinnert sich Dietrich Vahldieck. Tatsächlich trifft es der Insekten-Vergleich genau. Lang, schlank, feingliedrig ist der Tempo-Geländewagen. Mit derselben dezenten Aggressivität so respekteinflößend wie das Wespentier. Das uralte Ding ist anders als seine Artgenossen aus der Population Allrad. Und das Komischste: vorn fängt es so an, wie es hinten aufhört – mit einem Motor.

Dietrich Vahldieck schmunzelt. Er kennt diesen Aha-Effekt nur zu gut. Und bittet uns zur Probefahrt. Mit heiserem Plöm-Plöm-Plöm setzt der hintere Motor zum Start an. "Immer weiter, Vollgas!" assistiert Vahldiecks Kollege, Bernd Röser, vom Heck her. Zwei Motoren – zwei Fehlerquellen? Dietrich Vahldieck kontert trocken: "Können aber auch rettend sein. Ist einer kaputt, geht’s mit dem anderen weiter."

Exporte bis nach Brasilien, China und Siam

Schnell wird klar, den Mann mit der schwarzen Ledermütze und dem Bundeswehr-Parka bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Bernd Röser sekundiert mit ebensolcher Gelassenheit. Das dynamische Duo aus dem kühlen Norden betreut im Hamburger DaimlerChrysler-Werk seit vielen Jahren die kleine Flottille der Tempo-Veteranen. Der Betrieb, hervorgegangen aus den Tempo-Werken Vidal & Sohn, ist heute ein erfolgreicher Systemlieferant und sieht das automobile Erbe des Standortes als Verpflichtung zu Traditionspflege.

Vom raren 4x4-Tempo lebte lange Zeit jedoch allein der Mythos in den historischen Hallen und zehrte von dem Ruhm vergangener Tage. Vor rund 70 Jahren deklassierte das Hamburger G-Modell die Konkurrenz reihenweise und heimste alle wichtigen Preise bei Geländewettbewerben ein. Das deutsche Militär honorierte die Fähigkeiten jedoch nicht.

Fern der Heimat sind die Vorzüge des Ausnahme-Allradlers dagegen hoch geschätzt worden. Der Prinz von Siam ließ sich sogar eine Stretch-Version des G 1200 montieren. Gleich zu mehreren hundert Stück orderten damals die Schweden den Wagen fürs Wagnis abseits der Straße. Wie mag es ihnen und all denen, die nach Rumänien, Brasilien und China exportiert wurden, ergangen sein? Nicht einmal eine Handvoll ist übriggeblieben.

Technische Daten

Der G 1200 des DaimlerChrysler-Werkes kam in den 80er Jahren aus der DDR nach Hamburg, zunächst in private Hand. Nach Erwerb und Restaurierung wurde der Exot zum Schmuckstück der Sammlung.

Nahezu unbewegt gleitet die Karosserie bei unserem Ausflug ins Gelände dahin. Unten werkelt, pendelt, rotiert das Fahrwerk. Die beiden Zweitaktmotoren stoßen blaue Rauchfahnen aus. Doch blauer Dunst ist für Dietrich Vahldieck kein Problem. Während der Tempo vor sich hinpöchelt, zündet er sich gemächlich eine Zigarette an. Dann qualmen Fahrer und Fahrzeug gemeinsam.

Technische Daten ein wassergekühlter ILO Zweizylinder-Zweitakt-Motor vorne und hinten längs • Hubraum je 594 cm³ • Leistung 14 kW (19 PS) bei 3500/min • permanenter Allradantrieb • je ein Viergang-Schaltgetriebe • Einzelradaufhängung, Schraubenfedern v./h. • Zentralrohrrahmen • Seilzug-Trommelbremsen h. • Reifen 5.00-17 • Länge/Breite/ Höhe 4000/1600/1500 Millimeter • Radstand 2830 Millimeter • Leergewicht 1150 Kilogramm • Höchstgeschwindigkeit 70–80 km/h • Bauzeit 1936 bis 1944

Die ungewöhnliche Technik des G 1200

Besonderheit des Tempo G 1200 sind nicht nur seine beiden Motoren. Einzigartig und geradezu spektakulär ist auch die Gestaltung des Fahrwerks. Bug-Motor und Vorderachse pendeln als komplette Einheit auf einem zentralen Rahmenrohr. So verlieren die Vorderräder fast nie den Bodenkontakt. Zur astronomischen Verschränkung kommt die Allrad-Lenkung. Die Position der beiden Zweizylinder-Zweitakt-Motoren sorgt für eine optimale Lastverteilung. Drehbare Stützräder in der Mitte des Autos verhindern ein Aufsitzen der Unterseite.

Erdacht hat diese Wundermechanik ein Auto-Didakt im wahren Wortsinn. Durch Selbststudium und Tüftelei wurde Otto Daus Chefkonstrukteur bei Vidal & Sohn, den Tempo-Werken, die für ihre robusten Dreiradtransporter berühmt waren. Recht zwanglos spielte der talentierte Ingenieur mit der Allrad-Idee herum. Anfangs an einem Lieferwagen, dem er einen zweiten Motor einpflanzte. Zum Geländemobil war es dann nur ein kleiner Schritt. In kaum einem anderen 4x4-Wagen ist Allradtechnik so präsent. Schaltgestänge und Seilzüge durchziehen den ganzen Innenraum.

Mitten in der Rücksitzlehne klafft ein Loch. Durch das Polster stößt die Schaltstange zum Heck-Getriebe. Wer hinten sitzt, hat immer ein Gelenk in Schulterhöhe neben sich. Bei jedem Gangwechsel gibt es ein Geräusch, als würde einem Fondpassagier schmerzlos der Arm ausgekugelt. Soviel Purismus verlangt Leidensfähigkeit. Unschätzbarer Vorteil des Ganzen: Die gesamte Bedienmechanik liegt geschützt im Innenraum. Nichts ist Bodenberührungen oder Dreck ausgesetzt. Der G 1200 ist das Schmuckstück der Tempo-Sammlung in Hamburg Original und originell: Typenschild von 1942 mit zwei Motorennummern.