Da fehlt doch was: Wo ist der Stern? Beim Blick durch die Windschutzscheibe der neuen Mercedes C-Klasse sehe ich nur eine leicht abfallende, fast quadratische Motorhaube. Aber keinen Stern, so wie ihn normalerweise alle Mercedes-Limousinen tragen. Ein Novum: Erstmalig bauen die Stuttgarter ihre kleine Limousine ohne aufrechten Kühler-Dreizack. Stattdessen sitzt das Markenemblem beim Avantgarde-Modell mitten im Grill: groß, auffällig, markant. In den Ausstattungslinien Classic und Elegance dagegen bleibt der strammstehende Stern auf der Motorhaube erhalten. Ein cleverer Schachzug. So kann Mercedes eine viel breitere Zielgruppe erreichen. Die Aufgabe der Avantgarde-Version dabei ist eindeutig. Vor allem soll sie dem Erzrivalen BMW Kunden abjagen. Muskulöser wirkte der Baby-Benz noch nie.
Die geht dem 3er an die Nieren: Mercedes C-Klasse mit Stern im Grill.
Wer liegt beim ersten Schnupper-Duell zwischen C 320 CDI und 330d vorn? Stern oder Niere? Der Benz strahlt den BMW selbstbewusst an. Keine Spur mehr von schwäbischer Spießigkeit. Mit dem Riesen-Stern geht er dem 330d mächtig an die Nieren. Durch das in drei dicke Chromstreben eingebettete Markenzeichen bekommt der kleine Mercedes ein ganz anderes Gesicht. Dazu kommen scharfe Sicken auf Motorhaube und Wagenflanken, die eine ausgeprägte Keilform erzeugen. Da der Testwagen zudem mit AMG-Sportpaket (15 Millimeter Tieferlegung, sportlichere Seitenschweller, runde Nebelscheinwerfer, 17-Zoll-Räder) ausgerüstet ist, liegt er mindestens so satt auf der Straße wie der 330d.

Das Heck des C 320 erinnert an die S-Klasse

Gutes Ende: Die C-Klasse wirkt hinten stimmiger als das 3er-Heck.
Beim BMW sind die Blechpartien seltener durch Linien unterbrochen. Ich finde, sie wirken dadurch flächiger und auch ein wenig langweiliger. Gleiches gilt fürs Hinterteil. Der C 320 CDI hat für mich das stimmigere Heck. Es erinnert an die S-Klasse. Große Rückleuchten mit LED-Blinkern und der weit nach hinten ausgestellte Stoßfänger unterstreichen die Verwandtschaft. Der BMW-Hintern wirkt dagegen beliebiger und weniger konsequent. Auch im Cockpit setzt Mercedes in der Avantgarde-Linie noch sportlichere Akzente als bisher. So ist die Farbgebung des Interieurs jetzt grundsätzlich zweifarbig, zum Beispiel schwarzer Armaturenträger, beige Sitze sowie schwarze Teppiche. Dazu kommen hochwertiger Kunststoff in Alu-Anmutung und drei klare Rundinstrumente.
Das alles verströmt kühlen Technik-Charme. Eigentlich eine BMW-Domäne. Doch nach dem Probesitzen gilt: Die C-Klasse hat hier mindestens gleichgezogen. Wie im iDrive-bestückten 330d werden zentrale Funktionen nun über einen Drehknopf auf der Mittelkonsole gesteuert. Lautlos fährt ein Monitor über den Luftdüsen aus und liegt perfekt im Blickfeld. Zudem hat Mercedes die Heizungsbedienung optimiert. Sie erfolgt über große Drehknöpfe und Druckschalter – ein Vorteil gegenüber dem kleinteiligen Bedienfeld des BMW. Interessant: C 320 CDI und 330d haben jetzt einen identischen Radstand von 2,76 Metern; der Mercedes ist aber sechs Zentimeter länger. Zu spüren ist das nicht. Im Gegenteil: Hinten wirkt der BMW luftiger und bequemer. Kopf- und Kniefreiheit sind besser. Wenn Personen über 1,85 Meter im Fond reisen, dürfte die Schenkelauflage im Mercedes länger sein, der Mittelsitz auf dem Kardantunnel ist nur als Notlösung brauchbar. Vorn ist der Sitzkomfort in beiden Modellen nahezu identisch. Das Wachstum der C-Klasse kommt besonders dem Kofferraum zugute. Er schluckt 475 Liter Gepäck (bisher 455 Liter) und hat damit 15 Liter mehr zu bieten als der 330d.

Bei aller Sportlichkeit behält der Mercedes seine praktischen Tugenden

Diese und andere Kleinigkeiten machen den entscheidenden Unterschied. So springt beispielsweise der Heckdeckel mit Federkraft auf und muss nicht wie bei BMW per Hand geöffnet werden – ein echtes Plus, das den Autoalltag genauso versüßt wie die niedrigere Ladekante. Bei aller Sportlichkeit behält der Mercedes damit seine praktischen Tugenden. Und wem der Avantgarde-Auftritt zu forsch ist, kann beim C 320 CDI aufpreisfrei die konservativere Elegance-Ausstattung wählen. Dann wirkt das Auto zurückhaltender, der Stern steht aufrecht im Wind, dient als Peilhilfe beim Einparken und erinnert als Statussymbol stets daran, dass der Eigner es geschafft hat. Ja, ich fahre Mercedes! "Mit dieser zweigleisigen Strategie wollen wir 35-jährige Mercedes-Neulinge ansprechen, andererseits auch deren 65-jährige Väter, die sich noch mal eine neue C-Klasse leisten", erklärt Mercedes-Sprecher Frank Bracke. Wenn er sich da mal nicht täuscht. Auch reifere Herren stehen auf Sportlichkeit. Bestes Beispiel ist mein eigener Vater, der schon vor 20 Jahren den Stern an seinem 190E in den Grill verlegte. Das sah und sieht noch immer gut aus, finde ich. Mercedes reagiert damit also nur auf den Bedarf nach sportiverer Optik. Und das ist gut so. Zumal eine werkseitige Lösung immer besser ist als ein schlecht passendes Nachrüstteil. Fragen Sie mal meinen Vater.

Fazit von AUTO BILD-Redakteur Jörg Maltzan:

Das erste Aufeinandertreffen von C-Klasse und 3er kennt noch keinen Sieger, aber einen Gewinner: den Kunden. Denn der kann jetzt auch seinen 3er bei Mercedes bestellen. Wenn die C-Klasse Avantgarde so fährt, wie sie aussieht, wird das Duell hoch spannend. Wir können es kaum erwarten. Mehr dazu demnächst in AUTO BILD.