Die Reinkarnation der Ikone von 1970

Das Comeback der Muscle-Cars ist nicht mehr aufzuhalten. Chevrolet bastelt an der Neuauflage des Camaro, Ford bringt die Shelby-Variante des Mustang auf den Markt, und DaimlerChrysler ködert die Fans mit dem Dodge Challenger Show-Car. Der Challenger ist die Reinkarnation der Ikone aus dem Jahr 1970. Damals war Dodge eine Kultmarke für den harten Kern der Hubraum-ist-durch-nichts-zu-ersetzen-Fraktion. Hauptsache: Ein HEMI-V8 sorgte per Schaltgetriebe für Vortrieb, dazu das große Optik-Paket mit viel mattschwarzer Farbe und diversem Flügelwerk. Guterhaltene Autos aus der Schmalzlocken-Ära wechseln heute für Summen bis zu 1,5 Millionen Dollar den Besitzer.

Jetzt setzt ein neuer Challenger mit jeder Menge Hubraum, Leistung und Drehmoment nachhaltige Rauchzeichen. Die Reaktion auf den Prototypen, der im Januar 2006 auf dem Salon von Detroit vorgestellt wurde, war jedenfalls überwältigend. "Unbedingt bauen!", lautete der Tenor – "und bitte daran denken, daß seinerzeit die Muscle-Cars nicht nur durch schwarze Streifen auf dem Asphalt, sondern auch durch ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis von sich reden machten." 36 Jahre nach dem Challenger R/T steht in Kalifornien sein moderner Namensvetter zur ersten Ausfahrt bereit.

Das bei Metalcrafters in Carlsbad gebaute Einzelstück ist keine Diva mit Allüren, sondern ein alltagstauglicher Prototyp. Im Gegensatz zu den meisten Show-Cars hat man das orangerote Coupé nicht auf 30 km/h, 3000/min oder 3000 Meter Wegstrecke limitiert. Ganz im Gegenteil: Der Dodge bewährte sich im Berg-und-Tal-Stadtverkehr von San Francisco, er löste auf dem Freeway locker eine Platzkarte für die Überholspur, und er absolvierte zur Freude des Fotografen sogar ein paar Burnouts ohne bleibende Schäden.

Der HEMI-V8 sorgt für Gänsehaut

Diese Funktionstüchtigkeit verdankt der 2+2-Sitzer vor allem der Tatsache, daß unter dem handgedengelten Blech die Bodengruppe und der Antriebsstrang des Chrysler 300C SRT-8 Dienst tun. Kernstück des Donnerbolzen-Arrangements ist ein 6,1-Liter-V8, der bei 6000 Touren 425 PS leistet und bei 4800/min 580 Nm in Richtung Hinterräder schaufelt. HEMI heißt das Zauberwort, das die Augen der Hardcore-Fangemeinde zum Glänzen bringt. Mit diesem Brennraumkonzept, das in den späten Sechzigern entwickelt wurde, besitzt Chrysler/Dodge einen klaren Marketingvorteil gegenüber der Konkurrenz von General Motors.

Wenn alles nach Plan läuft, wird der Challenger als vierte Variante des LX-Baukastens in Serie gehen – und als dritter Dodge nach Magnum und Charger. Warum läßt sich Chrysler-Chef Tom La Sorda mit der Ankündigung des Verkaufsbeginns für Ende 2009 soviel Zeit? Weil der Vertrieb noch über Stückzahlen und Preise nachdenkt – geplant sind rund 50.000 Autos pro Jahr bei einer preislichen Obergrenze von 50.000 Dollar. Da die LX-Produktion im Dreischichtbetrieb absolut ausgelastet ist, müßte DC die Kapazität erhöhen oder ein zweites Werk umrüsten, was auch die Chancen für einen weiteren LX-Ableger nach Art des luxuriös-grotesken Chrysler Imperial deutlich verbessern dürfte.

Wäre diese Zeitschrift als Hörbuch erhältlich, würde der HEMI V8 schon im Leerlauf die Trommelfelle der Hörer mit Gänsehaut überziehen. Kein Gasstoß ohne Wirkung – bellende Hunde, schreiende Babys und verärgerte Nachbarn säumen den Weg der roten Rakete. Den Start erleben wir immer wieder als improvisiertes Open-air-Konzert: Kupplung niederringen, ersten Gang reinschlenzen, Drehzahl bei 4000 Touren einfrieren, dann den linken Huf vorsichtig kommen lassen und den Goodyear-Eagles das Gummifell über die Ohren ziehen. Das klingt pubertär und riecht eher streng, doch die daraus resultierende Straßenmalerei kann sich noch Tage später sehen lassen.

In 4,7 Sekunden von null auf 100 km/h

Wie das große Vorbild ist auch das 2006er Modell kein Ausbund an mechanischer Präzision. Das Getriebe schaltet sich mit der Unverbindlichkeit einer flüchtigen Begegnung, die kopflastige Gewichtsverteilung verzerrt spätestens beim Einlenken das Kräfteparallelogramm aus Wollen und Tun, und an der Hinterachse treibt der Poltergeist nicht nur bei Gasstößen und Lastwechseln sein Unwesen. Doch die sämige Kraftentfaltung stellt alle Ungereimtheiten in den Schatten, der Motor reagiert so bissig auf Gaspedalbefehle wie ein Kampfhund auf Nachbars Katze, und die lange Getriebeübersetzung läßt meinen Beifahrer schon im dritten Gang unruhig auf dem Sitz hin und her rutschen.

Okay, okay: Gleich wird gelupft. Aber es ist schön zu wissen, daß man theoretisch in 4,7 Sekunden von null auf 100 km/h stürmen könnte, und daß dem Renner erst bei 278 km/h die Puste ausgeht. Selbst die Puristen unter den Zuschauern am Straßenrand, die ihre Daumen reaktionsschnell gen Himmel recken, scheinen sich nicht daran zu stören, daß unser Show-Car dem Original wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sieht. "Stimmt nicht!" protestiert Michael Castiglione, der für das Exterieur verantwortlich zeichnet. "Der Wagen orientiert sich zwar am klassischen Vorbild, doch der längere Radstand, die breitere Spur und die großen Räder sind ganz klar ein Tribut an den Zeitgeist."

Die Details haben die Designer ohnehin nur ganz behutsam verändert. Der Challenger ist so breit und hoch, wie er schon immer war. Die rahmenlosen Scheiben und das breite Heckleuchtenband sind ebenfalls historisch korrekt, und der Hüftschwung sitzt so paßgenau auf der Wespentaille wie anno 1970. Das Cockpit entpuppt sich als strenge Kammer mit viel gebürstetem Metall, reichlich schwarzem Leder und noch mehr dunklem Hartplastik. Der wie ein Pistolengriff geformte Schalthebel, der als schiefe Ebene ausgeführte Getriebetunnel und das hohe Armaturenbrett wecken zwar vage Erinnerungen an eine verherrlichte Vergangenheit, doch gleichzeitig sorgen die lieblosen Werkstoffe, die winzigen Uhren, die verwechselbare Mittelkonsole und das unhübsche Lenkrad für Stirnrunzeln beim Betrachter.

Eher Vorserienauto als Designstudie

Dafür stimmt das Platzangebot, und auch der Kofferraum hat Format. Wir fahren zurück in Richtung Monterey, diesmal nicht am Meer entlang, sondern über die Berge. Im Nachgang der schlimmsten Bodenwellen schaben die hinteren Breitreifen gelegentlich an den Radläufen, aber das mag mit den Big Macs zu tun haben, die uns seit dem Mittagessen ziemlich schwer im Magen liegen. Abgesehen davon benimmt sich der Challenger eher wie ein Vorserienauto als wie eine Designstudie.

Obwohl die verchromten Bremsen auf Schau getrimmt sind und nicht auf Funktion, packen sie zu, als wären die Beläge mit Bluthundzähnen gespickt. Die Lenkung, deren Servoflüssigkeit beim 70er Modell mit drei doppelten Whiskeys versetzt war, funktioniert plötzlich prompt und präzise. Nur den ausufernden Wendekreis sollten die Techniker bis zum Serienanlauf auf ein alltagstaugliches Maß zurechtzurren. Weil das Fahrwerk im Prinzip vom 300C stammt, beherrscht der Challenger schon in diesem frühen Stadium die hohe Schule des Surfens, Gleitens und Carvens.

Nein, dieses Auto ist kein Muster ohne Wert. Sondern ein Versprechen, das es in den nächsten Wochen einzulösen gilt. Wir hätten gern ein Cabrio, am liebsten den coolen Super Bee mit einem auf 600 PS feingewuchteten HEMI – wenn's geht in plum crazy metallic, mit kleinem Heckflügel und den wichtigsten Mopar-Accessoires. Dieses Teil hat das Zeug dazu, zum neuen King of Motown gekrönt zu werden – Camaro hin, Mustang her.

Von

Georg Kacher