Der weiß und orange gestreifte Scirocco in den Rückspiegeln erscheint riesengroß. Vor der engen Schikane, die vom Innenfeld des Lausitzrings in die Steilkurve des Ovals führt, habe ich mich verbremst. Mein Rivale saugt sich im Windschatten näher und näher, schert zum Überholen aus – und tschüss!
Mit dem rechten Daumen drücke ich den roten Knopf auf dem Lenkrad. Fast wie einst das Wunderauto KITT aus der Kultserie "Knight Rider" zieht mein gelber Scirocco von dannen. Die Drehzahl steigt schneller, der Motor schiebt kräftiger.
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Video: VW Scirocco R vs. R Cup

Geschwisterkampf

Kein Schummel-Knopf für kurzzeitige Hochgefühle beim Gaststarter ist hier am Werk. "Push-to-pass", zu deutsch "drücken zum Überholen", nennt Volkswagen das System. Zehn Mal pro Sitzung – also Training, Qualifikation und Rennen – kann jeder Fahrer so für zehn Sekunden die maximale Leistung von 225 um 50 auf 275 PS erhöhen. Diese 50 Pferdchen mehr sind aber nicht nur zum Überholen dienlich. Sondern haben gerade meine Position gerettet, den Fahrfehler ausgemerzt. Je nach Rennstrecke bleibt die Funktion danach für eine Zeit lang gesperrt, worauf ein rotes Lämpchen im Zentraldisplay hinweist. Damit der Gegner eine Chance hat, direkt zum Revanche-Manöver anzusetzen.

Tracktestarchiv: Alle Tracktests von AUTO BILD MOTORSPORT

VW Scirocco R-Cup auf zwei Rädern
Aggressiv: Gleich mehrere Piloten vollführten einen Balanceakt, nachdem sie ihren Rennwagen zu heftig über die Kerbs gelenkt hatten.
Das tut er zu meinem Glück diesmal nicht. Durchatmen. Anbremsen der ersten engen Linkskurve am Ende der Start-und Zielgeraden. Das Heck schwänzelt leicht. Dreimal die linke Schaltwippe hinter dem Lenkrad gezogen, schaltet das Serien-Doppelkupplungsgetriebe DSG automatisch vom sechsten bis in den dritten Gang runter. Untermalt vom Brodeln und Böllern der beiden fetten Endrohre der Rennauspuffanlage. Einlenken. Mit einem Satz fegt das Auto über den hohen Kerb, die linke Seite stellt sich leicht auf. Ich schalte einen Gang hoch, nehme die nächste Rechtskurve in Angriff. Fahre weit raus auf den Randstein.

Cup-Auto fährt mit Bio-"Erdgas"

Abgesehen vom strategisch nutzbaren Leistungsschub fährt und fühlt sich die Cup-Version des Volkswagen Scirocco R an wie ein gewöhnlicher, ordentlich motorisierter Markenpokal-Renner. Und ehrlich gesagt: Im Cockpit interessieren mich nur Rundenzeiten und Positionskämpfe. Dass in dem großen zylinderförmigen Tank aus Kunstverbundstoff hinter dem Fahrersitz Bio-"Erdgas" schwappt, ist aber der tatsächliche technische Clou des in diesem Jahr eingeführten Scirocco-Cup. Als Raffinerie müssen Mikroorganismen herhalten. Sie gären unter Ausschluss von Licht und Sauerstoff brennbares Methan zusammen. Aus Bioabfällen, Gülle und Mist. Klingt eklig, ist aber ein umweltfreundlicher Kraftstoff, der in unendlichen Mengen produziert werden kann und aufbereitet die gleiche Qualität wie gewöhnliches Erdgas erreicht.

Bio-Kraftstoffen gehört die Zukunft im Motorsport

VWs Motorsport-Direktor Kris Nissen gratuliert Tabelleführer Maciek Steinhof
Gratulation: VW-Motorsport-Direktor Kris Nissen (l.) beglückwünschte Maciek Steinhof, den Tabellenführer nach dem dritten Lauf.
Um das Bio-Gas im Renntrimm zu verfeuern, entspannen es zwei Druckminderer im Motorraum auf 6,5 bar Druck. Danach lässt sich der Kraftstoff direkt ins Saugrohr einspritzen. Das ist die Zuleitung zu den Zylindern, in der aus Gas und angesaugter Luft das brennbare Gemisch entsteht. Der 2,0-Liter-Turbomotor kommt also ohne einen einzigen Tropfen Benzin aus. Beim Kaltstart noch etwas unwillig, geht er danach aber vehement zur Sache. So wie die Fahrer des Scirocco-Cup. "Die Premiere des Volkswagen Scirocco R-Cup in Hockenheim hat viel positive Resonanz bekommen", freut sich VW Motorsport-Direktor Kris Nissen (49). "Neben den innovativen Technologien war auch die sportliche Ausrichtung ein Volltreffer." An meiner sportlichen Ausrichtung im Scirocco Cup muss ich dagegen noch arbeiten: Von Position 26 aus gestartet, erreiche ich im Ziel Platz 20. Zum Üben bleibt mir wohl noch viel Zeit. Selbst wenn das Erdöl eines Tages versiegt – Bio-Kraftstoffe weisen dem Motorsport die Zukunft. Wenn das keine gute Hoffnung ist. Nicht nur für mich.


Fazit

von

Martin Westerhoff
Der Scirocco R-Cup zeigt schon heute, wie die Zukunft des Motorsports aussehen könnte. Nämlich ähnlich laut, spektakulär und spannend wie eh und je. Dank Kraftstoffen wie Bio-Gas hat der Verbrennungsmotor noch längst nicht ausgedient. Das ist gut so!

Von

Martin Westerhoff