Die Corvette ist ein starkes Schnäppchen

Mit Vergleichen ist das so eine Sache. Äpfel und Birnen soll man nicht vergleichen, Männer und Frauen kann man nicht vergleichen. Vergleiche von Autos sind zwar zulässig, hinken aber oft. Dieser hier hinkt ganz besonders. Zumindest auf den ersten Blick: Ein Roadster, eine Kreuzung aus Coupé und Cabrio und ein reinrassiges Coupé – wie passen die zusammen? Leistungsmäßig jedenfalls nicht: 343 gegen 512 gegen 517 PS. Macht zusammen 1372. Doch dazwischen liegen Welten. Andererseits: Kaum etwas ist so dehnbar wie der Begriff Sportwagen. Die Bandbreite reicht vom kessen Smart Roadster bis zum fetten Bugatti Veyron.

Was unser Trio verbindet, ist die Aktualität. Denn hier handelt es sich um die schärfsten Neuheiten des Frühjahrs. Ring frei für eine Auseinandersetzung der ganz besonderen Art. In der roten Ecke: der neue M Roadster. Stärker und offener als mit dem 343-PS-Schleifer kann man für weniger Geld nicht in den Frühling starten. 57.900 Euro verlangt BMW für den sechszylindrigen Biergarten-Expreß. In der silbernen Ecke: the one and only Corvette Z06, ein amerikanischer Traum, schlanker, ranker, stärker und schneller denn je zuvor.

Und immer noch ein Schnäppchen: 79.950 Euro sind zwar kein Pappenstiel, doch dafür gibt es schließlich auch 512 PS aus acht Zylindern. In der schwarzen Ecke: der jüngst verfeinerte SL 55 AMG. Mit variablem Dach, exorbitantem Luxus, acht Zylindern, Kompressor und 517 PS – das Ganze zu einem erschütternden Kurs, denn 133.980 Euro muß einem der Hammer aus Affalterbach schon wert sein. Und da gehen die Probleme bereits los. Ein Basis-SL (350) ist schon für 81.548 Euro zu haben, sieht aber nicht dramatisch anders aus: Etwas weniger Chrom, kleinere Räder, die Unterschiede sind minimal.

SL-Volant mit dem Charme der E-Klasse

Auch der M Roadster erhebt sich nur in Kleinigkeiten aus der Masse seiner schwächeren Artgenossen: Zwei smarte Falten auf der Haube, pralle Gummis und vier Rohre am Heck bezeugen seine Potenz nur ganz dezent. Selbst die Z06 trägt nicht sonderlich dick auf. Optische Unterschiede zur normalen Corvette finden sich auch hier nur in der Reifenbreite und der größeren Zahl von Lufteinlässen. Keine Autos für Angeber also? Die Corvette macht auch im Innenraum nach wie vor wenig her. Billiger Kunststoff prägt das Cockpit, immerhin sind die Sportsitze mit Leder bezogen – und eine Zwei-Zonen-Automatik sorgt für individuelles Klima. Das Lenkrad sieht aus wie Massenware – und fühlt sich auch so an.

Nicht gespart haben die Corvette-Väter jedoch an der Funktionalität: Große Rundinstrumente und ein serienmäßiges Head-up-Display sorgen für Übersicht. Eher schlicht gibt sich auch das BMW-Interieur. Erst auf den zweiten Blick wird klar, daß es nicht billig ist. Leder mit aufgeprägter Carbon-Struktur (!) ziert Armaturenbrett und Mittelkonsole, die wenigen Schalter passen zur Roadster-typischen Reduktion auf das Wesentliche. Und wesentlich ist vor allem das Lenkrad: Dunkelgrau und drall steht es im Raum – und wer den gefühlsecht gepolsterten Kranz einmal in der Hand hatte, mag ihn kaum noch loslassen.

Das exakte Gegenteil finden wir im AMG-SL: Modisch geformt und teuer beledert, vermittelt das Mercedes-Multifunktions-Volant den Charme einer E-Klasse. Sportliche Faszination sucht man hier ebenso vergeblich wie bei den kleinen, schwer ablesbaren Instrumenten und der riesigen, mit Knöpfen und Tasten überladenen Mittelkonsole. Selbst nach dem Anlassen des Achtzylinders ändert sich das nicht grundlegend. Gedämpft schnurrend nimmt der 5,5-Liter seine Arbeit auf, die Fünfstufen-Automatik erledigt Gangwechsel unmerklich, die hübschen kleinen Alupaddel hinter dem Lenkrad braucht man nicht wirklich.

Ausstattungen und Preise

Schließlich strömen schon bei 2000/min knapp 700 Newtonmeter Drehmoment von der Kurbelwelle, kurze Zwischensprints und Überholvorgänge auf der Landstraße erledigt der SL 55 automatisch mit atemberaubender Lässigkeit. Erst auf dem Beschleunigungsstreifen der Autobahnauffahrt wechselt das Triebwerk beim Durchtreten des Gaspedals seine Tonart: Das milde Säuseln weicht augenblicklich einem markerschütternden Orgeln. Und dann geht alles ganz schnell: dritter, vierter, fünfter Gang – schon ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Mitten im schönsten Galopp dreht der Begrenzer den 517 Pferden den Saft ab.

Über so was kann ein Corvette-Fahrer nur müde grinsen. Schließlich endet die Tacho-Skala nicht nur zu Deko-Zwecken bei 320. Auf die antriebstechnischen Finessen des SL muß man hier allerdings verzichten, von Laufkultur kann bei dem Sieben-Liter-Trumm unter der Haube keine Rede sein. Im Leerlauf schüttelt er sich wie ein nasser Hund, beim Hochdrehen ist die Akustik eher rustikal, das Getriebe schaltet sich mühsam auf langen Wegen – und beim Einkuppeln in den unteren Gängen tut es mächtige Schläge an der Hinterachse.

In den Gängen vier bis sechs dagegen wird sich jeder wohlfühlen. Im vierten schießt die Corvette bei jedem Tritt aufs Pedal förmlich nach vorn, der fünfte garantiert flächendeckenden Vortrieb von Tempo 120 bis zum Tachoanschlag – und im sechsten schont man Nerven und Spritbudget: schon imposant, wie brav der heiße Ofen dann bei Bedarf knapp oberhalb der Leerlaufdrehzahl mit gemütlichen 100 km/h dahinbollert.

Fahrleistungen und Verbrauchswerte

Gemütlichkeit sucht man im Antriebsstrang des M Roadster vergebens. Schon im Leerlauf läßt sich unschwer hören, daß unter der langen Haube ein aggressives, nervös mit den Pleueln scharrendes Triebwerk wohnt. Das sich sehr wohl mit gebremstem Schaum durch tempolimitierte Bereiche bewegen läßt, ohne dabei nervende Unarten an den Tag zu legen. Doch so richtig wohl fühlt sich der legendäre Reihensechszylinder erst hinter dem beliebten Schild mit den fünf feinen schwarzen Balken. Dann erst atmen die sechs Zylinder durch die elektronisch gesteuerten Drosselklappen so richtig durch – wenn es sein muß, bis zur Höchstdrehzahl von fast 8000/min.

Aber es muß nicht sein. Schon bei 4900/min liegt das maximale Drehmoment von 365 Nm an – und das auf kurzen Wegen präzise schaltbare Getriebe betätigt man immer wieder gern. Vor allem natürlich auf unserer Hausstrecke in Oschersleben, wo die drei Kontrahenten ihre wahre Sportlichkeit unter Beweis stellen dürfen. Und hier ist der stramm gedämpfte M Roadster voll in seinem Element. Die bajuwarische Drehorgel besticht in den engen Ecken des Motoparks mit überragender Handlichkeit, läßt sich mit der rein hydraulisch unterstützten Servolenkung präzise einlenken und bei abgeschaltetem DSC dank variabler Differentialsperre auch wieder gefühlvoll herausbeschleunigen.

Mit neutralem Fahrverhalten belohnt der BMW allerdings nur Chauffeure, die Kurven rechtzeitig anbremsen – und dann auch wieder früh aufs Gas steigen können. Spätbremser dagegen müssen sich mit einem Hang zum Untersteuern herumschlagen, der die Rundenzeiten deutlich verlängert. Die Bestzeit aber kann sich sehen lassen: Mit 1:48.24 Minuten schlägt der kleine Bayer seinen großen Bruder M5 in der ewigen Bestenliste um immerhin drei Zehntel.

Technische Daten und Fazit

Wer aus dem M Roadster in den SL 55 AMG umsteigt, wechselt nicht nur stilistisch in eine andere Welt. Schon beim Rollen durch die Boxenstraße wähnt man sich auf einem fliegenden Teppich, der dann auf der ersten langen Geraden nahezu linear beschleunigt und sich vor der nächsten Kurve mit spielerischer Leichtigkeit brachial verzögern läßt. Mit geringerem physischen Aufwand läßt sich wohl kein anderes Auto schneller fahren. So weit, so gut. Als weniger schön für wirklich ambitionierte Fahrer erweisen sich dagegen die Komfort-Zutaten. Wie etwa die Parameter-Lenkung, die zwar angenehm direkt übersetzt ist, aber kaum noch Kontakt zur Fahrbahn vermittelt.

Oder die aktive Fahrwerkregelung, die die Karosseriebewegungen in Kurven auf ein Minimum reduziert und das Wankmoment zwischen Vorderund Hinterachse geschwindigkeitsabhängig variiert. Beides zusammen sorgt für einen fast schon virtuellen Fahreindruck, der den Spaß erheblich trübt. Immerhin: Mit seiner Bestzeit von 1:47.21 läßt der luxuriöse Zweitonner neben dem M Roadster auch den guten alten Porsche 911 Turbo hinter sich. Womit wir zur angekündigten Überraschung kommen: Von elektronischen Gimmicks muß der Corvette-Pilot noch nicht einmal träumen. Denn der Ami ist auch so unglaublich schnell unterwegs.

Die 512 Wildpferde im Bug ziehen die 1445 Kilo leichte Karosse aus Alu, Magnesium, Glasfaser und Carbon schon auf der kurzen Zielgeraden auf Tempo 226, lassen sich danach von riesigen Stahlscheiben gefühlsecht und fadingfrei verzögern. Auch in den Kurven kann der Corvette kein Konkurrent das Wasser reichen. Die klassische Radaufhängung mit doppelten Querlenkern und Kunststoff-Blattfedern ermöglicht neben hohen Querbeschleunigungswerten und bravem Verhalten im Grenzbereich am Ende eine Fabelzeit: Mit 1:40.57 Minuten katapultiert sich die Corvette als bestes Serienfahrzeug auf den dritten Rang der ewigen SPORTSCARS-Bestenliste. Womit das eingangs erwähnte Problem zu einem unlösbaren wird: Womit hätten wir dieses Auto vergleichen sollen?

Fazit von AUTO BILD SPORTSCARS-Redakteur Hermann J. Müller: Wie gesagt – auch dieser Vergleich hinkt. Trotzdem gibt es einen überraschend klaren Sieger: Mit sieben Sekunden Vorsprung auf der Rennpiste zeigt die federleichte, bärenstarke und preiswerte Corvette, wo bei den ernstzunehmenden Sportwagen ab sofort der Hammer hängt. Wer weniger auf den Preis und die Sekunden achtet, sich aber dafür mehr Luxus gönnen möchte, ist im edlen SL 55 AMG bestens aufgehoben. Kaum langsamer als der AMG, aber um mehr als die Hälfte billiger ist der BMW M Roadster, der bei objektiver Betrachtung aller Kriterien am meisten Sinn macht: Er ist kompromißlos sportlich, relativ erschwinglich – und läßt sich bei Bedarf sogar mit unbegrenzter Kopffreiheit genießen.

Von

Hermann J. Müller