Von Reinhold Schnupp Von der Form her sieht er aus wie der große Bruder des Passat. Aber nur auf den ersten Blick und von weitem. Wer genauer hinblickt, und das kann man ab 31. Mai 2002, wenn der Phaeton bei den VW-Händlern steht, erkennt vornehme Eleganz und im Innenraum ein sehr gelungenes, hochwertig wirkendes, luxuriöses Ambiente. Die 5,05 Meter lange Luxusklasse von VW dürfte niemanden kalt lassen: Die einen werden sein Understatement lieben, weil der Wagen keineswegs protzig daherkommt, die anderen werden den für diese Klasse typischen Stern vermissen, der den Auftritt der S-Klasse von Mercedes unterstützt.

Vornehme Eleganz ohne Stern

VW Phaeton
Schalten wie Schumi: Über Wippen am Lenkrad lässt sich die Fünf-Stufen-Automatik des VW Phaeton manuell bedienen.
Warum also soll der Kunde zu einem VW greifen, da in der Oberklasse Audi A8, S-Klasse und 7er BMW traditionell bereit stehen? Die Antwort soll der Luxusliner aus Wolfsburg selbst geben, zu dessen Vorstellung sich VW-Chef Dr. Bernd Pischetsrieder mit der WELT am SONNTAG auf dem sonst hermetisch abgeriegelten Testgelände von VW in Wolfsburg traf. Seine Erklärung für den eleganten, aber doch zurückhaltenden Auftritt: "Die oberste Anforderung bei der Designfindung war es, dass das Auto immer noch wie ein VW aussieht. Einzelne Symbole, die für die Marke stehen, müssen auftauchen." Besonders zufrieden ist der VW-Chef mit der markanten, kraftvoll wirkenden C-Säule. Die Solidität, für die das Unternehmen steht, wird schon beim Blick unter das Blech deutlich. Zum Beispiel beim Motor, der beim W12 aus zwei Bänken mit jeweils versetzter Anordnung der Zylinder besteht, und damit Platz spart.

Details sind es, auf die Pischetsrieder aufmerksam macht und die eben nicht sofort ins Auge fallen. Sie unterstützen den Eindruck: Hier handelt es sich zweifellos um die Oberklasse. Die Kofferraumstreben etwa bestehen aus geschmiedetem Aluminium. Der Vorstandsvorsitzende von VW spricht für den Innenraum von einem "nicht alltäglichen Ambiente" und demonstriert die zugfreie Klimaanlage, die sich für vier Sitze individuell einstellen lässt.

Je schneller, desto tiefer

Fahrender Palast: sehr gelungenes und hochwertig wirkendes Ambiente im Inneraum des VW Phaeton.
Fahrender Palast: sehr gelungenes und hochwertig wirkendes Ambiente im Inneraum des VW Phaeton.
Der Fahrer jedoch bleibt immer der Chef an Bord – über die "Macho-Taste", wie Pischetsrieder sie nennt. Denn über diese Taste kann der Pilot bestimmen, wenn er will, wie warm oder kalt es an Bord ist. Weitere Details: Das Navigationssystem zeigt die letzten Verkehrsmeldungen an, die sich der Reihe nach auch abhören lassen. Mit einem Abstandhalter kann die zeitliche Distanz zum vorausfahrenden Fahrzeug festgelegt werden. Die Luftfederung ist zwischen "Komfort" und "Sport" einstellbar. Wählbar ist zudem, wie bei einem Geländewagen, die Höhe des Fahrzeugs, die sich bei hohen Geschwindigkeiten automatisch für eine bessere Straßenlage absenkt. Und dann gibt es noch, wie bei einem Ferrari, Schaltwippen am Lenkrad, über die sich die Fünf-Stufen-Automatik manuell bedienen lässt.

Noch ehe Pischetsrieder den Wagen startet, steht die Frage im Raum: Warum gibt es einen so gewaltigen Preissprung zwischen den beiden zum Verkaufsstart erhältlichen Fahrzeugen? Die kleine Motorversion mit 3,2 Liter, sechs Zylindern und 241 PS kostet 56.200 Euro, der W12 mit 6,0 Liter Hubraum und 420 PS 98.600 Euro. "Wir sind nicht der billige Jakob", sagt Pischetsrieder und bringt die Antwort auf einen einfachen Nenner: "Der Motor des W12 hat nahezu doppelt so viel Leistung, und er wird von doppelt so vielen Rädern, nämlich vier, angetrieben im Vergleich zum kleinen Motor. Wir bedienen uns zudem nur der gleichen Preisspreizung wie unsere Wettbewerber." Soll heißen: Darum kann der am besten motorisierte Phaeton auch ruhig doppelt so viel kosten. Und: Über einen Dumpingpreis soll das Beste aus Wolfsburg nicht im Markt platziert werden, denn dadurch könnte auch der Eindruck entstehen, das Auto sei sein Geld nicht wert.

Einen Marktanteil von zehn Prozent in der Oberklasse strebt VW an, was einem Verkauf von 20.000 Phaeton im Jahr entspricht. So richtig wohl fühlt sich der Phaeton, wenn der Motor in Bereichen oberhalb von 3500 Touren dreht. In 6,1 Sekunden beschleunigen die zwölf Zylinder den 2,3 Tonner auf 100 km/h. Abgeregelt sind zumindest die Testwagen in der Regel nicht, was bedeutet: knapp 300 km/h sind möglich. Pischetsrieder belässt es in der Steilkurve bei 200 km/h, wobei Motor- und Windgeräusche nahezu unhörbar bleiben. Was den Phaeton aus der subjektiven Sicht des VW-Chefs über die Konkurrenz hebt? "Der Fahrkomfort bei gleichzeitig hoher Agilität." Die Kunden werden mit ihrer Kaufentscheidung die Wolfsburger wissen lassen, ob sie das ähnlich sehen.