Es sind Tage wie dieser, die Reisende dazu animieren, sich mit den essenziellen Fragen des Lebens zu befassen: einen Becher mit heißem Kaffee in der Hand, salzige Luft in der Nase, das glitzernde Mittelmeer und einen scheckigen VW T1 zu Füßen. "Es gibt den Brezelkäfer, den Schlüsselloch­-Kapitän und den Hundeknochen­-Escort", sinniert die AUTO BILD REISEMOBIL-­Crew. "Warum bloß hat die T1-­Front keinen Spitznamen?" Wenn wir so drüber nachdenken: Die farblich abgesetzte V-­Prägung im Bulli-­Bugblech mit den umlaufenden Streifen unter den Fenstern erinnert irgendwie an ein – Bikini­-Höschen! Gerade auf dem verblichenen Korallton unseres Busses, der wie Sonnenbrand auf den Oberschenkeln einer blasshäutigen Blondine aus Stockholm wirkt. Es ist die Geburtsstunde des Slip-­Window-­Bullis. Wir nehmen noch einen Schluck vom koffeinhaltigen Heißgetränk, lehnen uns an den Bulli – ohne Berührungsängste, wie man sie bei Hochglanz-­Oldtimern hat – und freuen uns über den Wahrheitsgehalt von Klischees: Der Kaffeebecher ist noch nicht leer, da tauchen schon zwei Girlies auf und wollen Selfies machen, und der erste Hipster mit Analogkamera ist auch bald da.
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Die US-Karrriere des T1 begann schon in den späten 50ern

VW T1 Westfalia
Wer diesem Blick nicht verfällt, hat kein Herz. Auch dank seines Exporterfolgs ist der Bulli heute ein Weltstar.
Gerade weil er sich als ewiger Hippie ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat, haben viele vergessen, dass der Bulli eigentlich ein Nachkriegskind aus dem Arbeitermilieu ist. Auch seine US­Karriere begann lange vor Woodstock, in Amerikas Vorstädten der späten 50er. Die Werbetexter priesen damals die Vielseitigkeit des Bullis und die Vorteile seines Antriebs mit Heckmotor und Luftkühlung: trittfeste Traktion, Spatzendurst, problemloses Anspringen bei Kälte – und günstig war er obendrein. Auch dank seines Exporterfolgs ist er heute ein Weltstar. Obwohl Amerika schon ein Campingland war, seit die Siedler in ihren Planwagen von der Ost-­ an die Westküste zogen, begannen amerikanische Firmen erst in den 60ern mit der Serienproduktion von Reisemobilen. Die waren weitaus unpraktischer als ein T1, mit dem Mom unter der Woche in die Shoppingmall fahren oder die Kids zum Football bringen konnte. Die Vorstadtbewohner von damals waren sicher schockiert, als die Blumenkinder ihren Bus plötzlich genauso lieb hatten. Sie machten ihn zu der Legende, die er heute ist.

Ein 48-PS-Austauschmotor sorgt für mehr Alltagstauglichkeit

VW T1 Westfalia
Munter pöttert der 48 PS starke Austauschmotor. Eigentlich gehört hier der 1200er mit 34 PS rein, mit dem der Bulli gefühlt drei Jahre auf Tempo 70 braucht.
Hinterm Steuer unseres Kalifornien-­Heimkehrers im Hier und Jetzt, am Strand in Frankreich: Zündschlüsseldreh, Gas, das Kupplungspedal schlonzt nach oben. Der Bulli geht sanft in die Hocke, sein Kabäuschen hebt sich leicht aus den Federn. Hinten im Souterrain prasselt der 1,6 Liter große Boxer, gefüttert von einem Solex-­Fallstromvergaser und 48 PS stark (nach der US­-Norm SAE) – laut Motornummer ein US-­Austauschaggregat. Der im Vergleich zur Serie stärkere Motor macht den Bulli alltagstauglicher. Dass Zeitreisen dauern können, erschließt sich Hinterherhupenden nämlich nicht immer Meine Füße trippeln auf den stehenden Pedalen herum, Meeresluft weht durch die ausgestellte Windschutzscheibe. Die Schaltwege sind lang wie der Hippie-Trail nach Südasien, immerhin sind die vier Gänge schon voll synchronisiert. Ich korrigiere permanent am Bakelitlenkrad des 56 Jahre alten Busses. Geht es geradeaus, lenke ich gegen den Seitenwind an. In den Kurven südfranzösischer Küstenstraßen wiegt der Blechkörper sanft Richtung Kurvenrand. Auf Bremsbefehle reagiert der Bulli, sagen wir, zaghaft. Wirksamster Crashschutz der männlichen Hippies waren ihre buschigen Vollbärte.
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Die Sitzecke lässt sich zur Liege für zwei falten

VW T1 Westfalia
Ein Blick in die Wohnhöhle des Bulli: Stehen ist nur
im kleinen Bereich unterm Aufstelldach möglich.
Zurück am Kieselstrand von Antibes, klettere ich aus dem Cockpit und fläze mich nach hinten in die Chillout-­Lounge mit den zwei vis-­à­-vis angeordneten Couchletten. Ich ziehe eine der Gardinen zur Seite, um besser nach draußen sehen zu können. Der Bulli­-Fond ist eine Rhapsodie in Rot. Für Generationen von Fans fühlt sich das Verweilen auf diesen Karopolstern wie ein Sit­-in mit einem alten Polaroid­-Fotoalbum an. Mit den beiden Karosofas, die sich zu einer Liegewiese falten lassen, und einem Kabinett aus Schränken, deren Scharniergequietsche an Omas Wohnzimmerkommode erinnert, hat Westfalia nur das Nötigste auf 7,5 Quadratmetern Bulli untergebracht. Knapp 3000 Dollar kostete der Camper damals in Amerika, so viel wie anderthalb kompakte Chevy mit Magerausstattung. Auf Wunsch gab es auch ein großes Aufstelldach mit zwei weiteren Schlafplätzen, ein Kinderbett zum Einhängen fürs Fahrerhaus, einen Absorberkühlschrank und einen Kocher mit zwei oder drei Flammen. Silvain Le Strat (37) aus Nizza kann damit leben, dass es in seinem T1 kein fließendes Wasser gibt. Oder Platz für eine Campingtoilette. Auf VW-­Treffen schläft Silvain immer in seinem Bus. Für die Fahrten dorthin nimmt er sich Zeit. Eigentlich will er den T1 im Originalzustand erhalten, Gebrauchsspuren inklusive. Doch ohne einen erhöhten Pflegeaufwand ist die Grenze vom charmant­bespielten Zustand zur Rostlaube schnell überschritten.Zeit, uns noch ein paar Gedanken zu machen. Das US­-Auto-­Magazin "Car & Driver" schrieb über den Ferrari 330 GT: "Wäre er eine Frau, wäre sie ungefähr 35, mit einer athletischen Figur und traurigen Augen, eine miserable Köchin, sensationell im Bett und völlig treulos." Ich frage mich: Wäre der Westfalia Camper ein Mensch und kein Auto, was für ein Typ wäre er? Nun, allen Vorurteilen zufolge wohl ein gemütlicher Alt-­Hippie Ende 60, der sich makrobiotisch ernährt und nur noch gelegentlich Joints raucht, während er in der Badewanne Walgesängen aus seinem alten Kassettenrekorder lauscht. So viel Klischee darf ja wohl sein. Schließlich stehen wir doch alle drauf.

Fazit

von

Lukas Hambrecht
Im Patina-Bulli in den Urlaub zu fahren hat Charme, solange der Kult-VW dabei nicht verschlissen wird. Darauf weisen Patina-Profis wie die Patinatoren hin. Die Kunst ist, Technikgeschichte zu erfahren, ohne sie zu zerstören.

Von

Lukas Hambrecht