Peterhansel vor der Eisdiele, Auriol auf dem Weg ins Büro, Dakar als Ziel auf Google Maps – Kopfkino fährt mit. Wer aufrecht, breitarmig und kernig-kantig auf der flachen Sitzbank thronend mit einer Yamaha Ténéré aufkreuzt, hat im Hinterstübchen einen Wüstenklassiker, wahrscheinlich die Dakar.
Allein die Optik: eine steile, hohe Scheibe gegen Sandstürme, die Raid-Formgebung der Verkleidung für schnelle Tempo-Etappen, der gelochte Motorschutz in Geröllsektionen, dazu die dicken Handprotektoren. Und das auf deutschen Straßen? Ganz richtig. Die wüsten Bikes haben ihre Berechtigung, denn im Gegensatz zu den Enduro-Elefanten à la BMW GS 1250 sind sie nicht nur viel günstiger, sondern beherrschen auch das spielerische Fahrwesen einer Mittelklassemaschine.
Yamahas 700er hat es vorgemacht: Wer Sahara-Rallye kann, packt auch Alltag im Speckgürtel der Großstadt. Zum Nimbus Dakar kommt bei der Ténéré die technische Solidität, und das auf angenehm bescheidene Weise. 73 PS Leistung und 204 Kilo Gewicht passen nämlich bestens.
Wüstenbike Vergleich
Spurensuche im Sand: Abenteuer-Modelle von BMW, Benelli, Yamaha und Aprilia in der Kaufberatung.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD

Und die anderen Marken? Mischen immer mehr mit in diesem Segment. So hat nun auch Aprilia einen Raid-Renner im Programm. Grund genug für AUTO BILD MOTORRAD, alle wichtigen Wüstlinge zu versammeln, um nach ihren Stärken und Schwächen zu fahnden: Können auf Asphalt und Schotter, Qualitäten als Packesel, Fahrspaß, Vielseitigkeit.
Neben dem Urgestein Yamaha Ténéré 700 und der neuen Aprilia Tuareg stellen sich auch die günstige Benelli TRK 502 X sowie das Parade-Offroadmodell BMW F 850 GS dem AUTO BILD MOTORRAD-Charaktertest. Sogar Ducati buddelt mit der ganz neuen Desert X in dieser Klasse mit. Mehr über die Abenteurer lesen Sie auf den folgenden Seiten. Motorradsaison 2022 – die Wüste lebt!

BMW F 850 GS Adventure

Der kleine Bruder der großen GS trägt immerhin das große F im Vornamen und passt als GS Adventure bestens in unser Wüstenquartett. Dabei zeigt sich das F-Modell besonders universell. Die üppige Zuladung passt zu den langen Federwegen, selbst mit Sozius und Gepäck steckt die BMW derbe Buckel weg. Überhaupt haben es Fahrer und Passagier bequem auf der 850er. Die breite Sitzbank trägt bestens, der Kniewinkel stimmt.
BMW F 850 GS Adventure
Der runde Riese! Nach wenigen Metern Fahrt lässt die GS das recht hohe Gewicht vergessen.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD

Mit 875 mm Sitzhöhe am Fahrerplatz gehört die GS als Adventure eher zu den hohen Türmen; ohnehin fällt es schwer, die breite und massige Enduro rückwärts zu rangieren. Hier hat man zum Beispiel mit der schlanken Yamaha leichteres Spiel. Klasse: BMWs Auswahl an Gepäckbrücken, Transportlösungen und Koffersystemen ist üppig, darüber hinaus kann der Kunde auch Tieferlegungstechnik und verschiedene Sitzbänke wählen.

Technische Daten und Wertung

APRILIA 
BENELLI 
BMW 
YAMAHA 
Abzweigung
Motor Bauart/Zylinder
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Hubraum
Abzweigung
Abzweigung
kW (PS) bei 1/min
Abzweigung
Abzweigung
Nm bei 1/min
Abzweigung
Abzweigung
Gewicht fahrbereit
Abzweigung
Abzweigung
Zuladung
Abzweigung
Abzweigung
Sitzhhöhe
Abzweigung
Abzweigung
Tankinhalt / Reichweite / Verbrauch
Abzweigung
Abzweigung
Reifengröße
Abzweigung
Abzweigung
Federweg
Abzweigung
Abzweigung
Preis
Abzweigung
Abzweigung
WERTUNG
Abzweigung
Abzweigung
Vor- u. Nachteile OFFROAD
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Vor- u. Nachteile ONROAD
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Vor- u. Nachteile ALLTAG
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Abzweigung
Charakter
Abzweigung
flüssigkeitsgekühlter 
Reihen-Zweizylinder 
659 cm³ 
58,8 (79) / 9250 
70 / 6500 
204 kg 
210 kg 
860 mm 
18 l / 450 km / 4,0 l/100 km 
vorn 90/90 R 21, hinten 150/70 R 18 
vorn 240 mm, hinten 240 mm 
ab 11.990 Euro 
+ passende Fahrprogramme
+ leichtes Fahrgefühl
- Fahrgefühl sitzend 
- hohe Sitzposition 
+ hellwacher Motor 
+ bissige Bremsen 
- Soziussitz hoch 
- Bremsgefühl hinten 
+ elastischer Motor 
+ guter Windschutz 
- rauer Motor 
- straffe Federung 
kerniger Sportler 
flüssigkeitsgekühlter 
Reihen-Zweizylinder 
500 cm³ 
35 (48) / 8500 
46 / 6000 
235 kg 
217 kg 
895 mm 
20 l / 480 km / 4,1 l/100 km 
vorn 110/80 R 19, hinten 150/70 R 17 
vorn 140 mm, hinten k. A. 
ab 6299 Euro 
+ Stoßschutz 
+ Motor-Ansprechverhalten 
- Federweg 
- Steh-Ergonomie 
+ elastischer Motor 
+ klares Cockpit 
- schwer 
- keine Fahrhilfen 
+ günstiger Preis 
+ viel Zubehör 
- Lastruckeln 
- Verarbeitung mäßig 
talentierter Sparer 
flüssigkeitsgekühlter 
Reihen-Zweizylinder 
853 cm³ 
70 (95) / 8250 
92 / 6250 
248 kg 
207 kg 
875 mm 
23 l / 540 km / 4,2 l/100 km 
vorn 90/90 R 21, hinten 150/70 R 17 
vorn 230 mm, hinten 215 mm 
ab 13.700 Euro 
+ gute Regelelektronik 
+ Getriebe passt 
- schwer 
- störrisches Anfahrverhalten 
+ sattes Drehmoment 
+ hohes Gripniveau 
- Bedienkonzept 
- behäbiger 
+ komfortabel 
+ Federung variabel 
- höherer Preis 
- Rangierfähigkeit 
absoluter Allrounder 
flüssigkeitsgekühlter 
Reihen-Zweizylinder 
689 cm³ 
54 (73) / 9000
68 / 6500 
204 kg 
190 kg 
875 mm 
16 l / 370 km / 4,3 l/100 km 
vorn 90/90 R 21, hinten 15/70 R 18 
vorn 210 mm, hinten 220 mm 
ab 12.174 Euro 
+ Ergonomie 
+ leicht dirigierbar 
- Ausstattung 
- hohe Sitzposition 
+ handlich 
+ universeller Motor 
- keine Fahrhilfen 
- hoher Verbrauch 
+ klares Cockpit 
+ unkompliziert 
- kleiner Tank 
- Zuladung gering 
echte Enduro 
Ist die GS in Fahrt, sind Masse und Größe vergessen. Sie gleitet dank üppigem Windschutz und stimmiger Ergonomie stressarm über die Autobahn, geht auf der Landstraße flüssig durch Wechselkurven, hängt oberhalb der Mitte bissig am Gas. Im Drehzahlkeller dürfte sie potenter zufassen, auf kaputten Straßenoberflächen sensibler anfedern. Im Gelände hilft das große 21er-Vorderrad, fiese Furchen zu übertupfen, sauber und fein lässt sich das Gas (im Offroad-Modus) dosieren. Im Stehen zu fahren fällt nicht ganz leicht, die Knie stoßen gern an den breiten Tank.

Aprilia Tuareg 660

Ein grantiger Motor aus den Schwestern RS 660 (Sportler) und Tuono 660 (Naked) – kann das in einem Wüstenschiff wie der Tuareg 660 gutgehen? Und ob! Der Zweizylinder kann nämlich auch zurückhaltend, benimmt sich beim langsamen Tuckern sehr anständig, lässt sich mithilfe der leichtgängigen Kupplung sauber dosieren. Zudem stellt Aprilia neben einer kürzeren Übersetzung des ersten Gangs ein variables Offroadprogramm zur Verfügung.
Das große Vorderrad rollt bestens über schotterige Oberflächen hinweg, der gefühlt tiefe Schwerpunkt hilft beim Balancieren des gerade mal 204 Kilo schweren Motorrads. Im Stehen im Gelände gefahren wirkt die Tuareg zwar kopflastiger und im tiefen Sand schiebender als die Yamaha, doch auf der Straße dreht die 660 erwartungsgemäß spritzig auf.
Aprilia Tuareg 660
Ähnlich wie die Yamaha steckt die Tuareg auch beherzte Manöver im Gelände locker weg.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD

Das mechanische Motorsurren verwandelt sich in ein rassiges Klangspektakel mit grunzendem Ansauggeräusch, dank leichtgängiger Schaltautomatik (Option, klappt in beide Richtungen) lässt sich die 660er herzhaft durchbeschleunigen. Außerdem fühlt sich der Reihenmotor auch in unteren Tourenregionen enorm kräftig an. Die Federung arbeitet flexibel-stoßfrei, doch nie schwammig – klasse!

Überraschendes Cockpit

An die Sitzposition hinter dem sehr breiten Lenker und stärker in den Sitzschaumstoff eingesunken – ensprechend mit höher aufgelegten Händen am Werk –  muss man sich gewöhnen. Auf langen Etappen jedenfalls sitzt man auf der Tuareg sehr kommod. Außerdem passen Mitfahrer besser auf die breite Sitzbank, als es bei der Ténéré der Fall ist.
Im Cockpit steckt viel mehr, als es das schlicht aufbereitete Multifunktionsdisplay vermuten lässt. Über die Mehrfachtaste in der linken Lenkerarmatur lassen sich verschiedene Fahrmodi konfigurieren, dabei zum Beispiel ABS- und Traktionsregelung beeinflussen. Selbst die Motorbremswirkung lässt sich in drei Stufen dosieren.

Yamaha Ténéré 700

Es ist paradox. Die Yamaha hat weniger Federweg als etwa die BMW, fühlt sich aber ungleich hochbeiniger, viel mehr nach Offroader, letztlich radikaler an. Denn sie ist eine Kante, im positiven Sinne. Sitzbank straff, Lenker tief, Fahrposition sprungbereit. Alles fühlt sich direkt an, nichts wirkt diffus, die Rückmeldung aus dem Fahrwerk ist klar und eindeutig – die leichte 700er lässt sich gern per Oberschenkel auf Kurs bringen.
Yamaha Ténéré 700
Die Ténéré macht ihrem Namen alle Ehre: In ihr steckt der beste Wüsten-Durchquerer dieser Gegenüberstellung.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD

In diesem Gefühl rührt der CP2-Motor reichlich mit. Die Maschine geht in puncto Laufkultur knurrig, doch immer hellwach an die Arbeit. Auf der Straße spritzig, im Gelände saftig und dosierbar gleichzeitig – die 700er bereitet entsprechend auf Asphalt und Schotter gleichermaßen Laune.
Dazu kommt: Das hoch angebrachte Instrument im Roadbook-Design und die schmale hohe Scheibe vermitteln ein sehr sportliches Gefühl. Trotz eher simpler Grundeinstellung dem Thema Fahrhilfen gegenüber (außer ABS steckt nichts in der Ténéré) fühlt sich die Maschine fahrstabil und vertrauenerweckend an.
Klar, den dampfenden 86 PS der BMW hat der Reihen-Zweier der Japanerin nichts entgegenzusetzen. Dafür lassen sich die versammelten 73 Pferde angenehm folgsam in Richtung Kette dirigieren. Zarte Drifts auf Sand, gern im Stehen gefahren – ein großartiger Kitzel auf der 700 Rally. Längere Straßentouren muss man mögen und planen; die Reichweite ist geringer, die kantige Sitzbank unbequemer als bei den anderen Wüstlingen.

Benelli TRK 502 X

Kleineres 19-Zoll-Vorderrad, dicker Bauch statt schmale Rally-Silhouette – gehört die TRK 502 in diesen Vergleich? Na klar. Das X im Namen steht schließlich für Cross, und sowohl Sitzhöhe als auch Federwege schreien nach schnellen Etappen auf sandigen Böden. Der eigentliche Hammer: Die Benelli kostet ungefähr die Hälfte von Ténéré und Tuareg.
Benelli TRK 502 X
Ein enorm günstiger Kandidat, doch bestimmt kein billiger Typ: In der Benelli 502 steckt ein Fahrwerk mit Offroadreserven.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD

Dabei ist sie nicht so kärglich ausgestattet, wie es der Kaufpreis vermuten lässt. Großes Windschild, umfangreiches Cockpit inklusive beleuchteter Schaltereinheiten, dazu dicke Handprotektoren, ein stabiler Sturzbügel und Speichenräder – das kann sich sehen lassen.
Der Zweizylinder mit 500 Kubik wirkt trotz der gerade mal 48 PS gar nicht träge, geht kernig und mit dumpfer, angenehmer Klangkulisse aus einem mächtigen Endpott ans Werk.
Angenehm: Die kurze Übersetzung und das lineare Drehzahlband passen bestens zueinander, der R2 mag auch höhere Tourenzahlen. Auf der Straße benimmt sich die Benelli dann auch erstaunlich wendig und flüssig, vor allem der gute Windschutz kann gefallen. Die Vorderbremse verlangt jedoch nach deutlich mehr Handkraft als die der BMW GS, ihre Wirkung dürfte giftiger sein.
Im Gelände hat die Benelli schlechte Karten. Der Grip ist trotz leicht kantiger Profilierung mäßig, und man kann nicht optimal im Stehen fahren – der Tank stört den Knieschluss. Fahrhilfen sind nicht vorgesehen. Schlussendlich gibt es dennoch viel Abenteuermotorrad für wenig Geld.

Fazit

Von günstig (Benelli) bis überaus aufwendig (BMW) hat diese Motorradkategorie alles zu bieten. Klar, nicht jeder buddelt sich täglich durch tiefen Sand. Doch selbst die recht radikale Yamaha Ténéré zeigt Talente auf Asphalt. Abenteuer Alltag!