Wüstenbikes im Vergleich: BMW, Benelli, Yamaha, Aprilia, Motorrad
Motorrad-Offroader mit Reisequalitäten: Wüstlinge wie wir

—
Dakar-Technik, Wüstenoptik und große historische Vorbilder: Der Motorrad-Megatrend 2022 sind kernige Offroader mit Reisequalitäten. Wir haben die wichtigsten Wüstenbikes geprüft. Mit dabei: die spannende neue Aprilia Tuareg und die günstige Benelli!
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
Peterhansel vor der Eisdiele, Auriol auf dem Weg ins Büro, Dakar als Ziel auf Google Maps – Kopfkino fährt mit. Wer aufrecht, breitarmig und kernig-kantig auf der flachen Sitzbank thronend mit einer Yamaha Ténéré aufkreuzt, hat im Hinterstübchen einen Wüstenklassiker, wahrscheinlich die Dakar.
Allein die Optik: eine steile, hohe Scheibe gegen Sandstürme, die Raid-Formgebung der Verkleidung für schnelle Tempo-Etappen, der gelochte Motorschutz in Geröllsektionen, dazu die dicken Handprotektoren. Und das auf deutschen Straßen? Ganz richtig. Die wüsten Bikes haben ihre Berechtigung, denn im Gegensatz zu den Enduro-Elefanten à la BMW GS 1250 sind sie nicht nur viel günstiger, sondern beherrschen auch das spielerische Fahrwesen einer Mittelklassemaschine.
Yamahas 700er hat es vorgemacht: Wer Sahara-Rallye kann, packt auch Alltag im Speckgürtel der Großstadt. Zum Nimbus Dakar kommt bei der Ténéré die technische Solidität, und das auf angenehm bescheidene Weise. 73 PS Leistung und 204 Kilo Gewicht passen nämlich bestens.

Spurensuche im Sand: Abenteuer-Modelle von BMW, Benelli, Yamaha und Aprilia in der Kaufberatung.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
Und die anderen Marken? Mischen immer mehr mit in diesem Segment. So hat nun auch Aprilia einen Raid-Renner im Programm. Grund genug für AUTO BILD MOTORRAD, alle wichtigen Wüstlinge zu versammeln, um nach ihren Stärken und Schwächen zu fahnden: Können auf Asphalt und Schotter, Qualitäten als Packesel, Fahrspaß, Vielseitigkeit.
Neben dem Urgestein Yamaha Ténéré 700 und der neuen Aprilia Tuareg stellen sich auch die günstige Benelli TRK 502 X sowie das Parade-Offroadmodell BMW F 850 GS dem AUTO BILD MOTORRAD-Charaktertest. Sogar Ducati buddelt mit der ganz neuen Desert X in dieser Klasse mit. Mehr über die Abenteurer lesen Sie auf den folgenden Seiten. Motorradsaison 2022 – die Wüste lebt!
BMW F 850 GS Adventure
Der kleine Bruder der großen GS trägt immerhin das große F im Vornamen und passt als GS Adventure bestens in unser Wüstenquartett. Dabei zeigt sich das F-Modell besonders universell. Die üppige Zuladung passt zu den langen Federwegen, selbst mit Sozius und Gepäck steckt die BMW derbe Buckel weg. Überhaupt haben es Fahrer und Passagier bequem auf der 850er. Die breite Sitzbank trägt bestens, der Kniewinkel stimmt.

Der runde Riese! Nach wenigen Metern Fahrt lässt die GS das recht hohe Gewicht vergessen.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
Mit 875 mm Sitzhöhe am Fahrerplatz gehört die GS als Adventure eher zu den hohen Türmen; ohnehin fällt es schwer, die breite und massige Enduro rückwärts zu rangieren. Hier hat man zum Beispiel mit der schlanken Yamaha leichteres Spiel. Klasse: BMWs Auswahl an Gepäckbrücken, Transportlösungen und Koffersystemen ist üppig, darüber hinaus kann der Kunde auch Tieferlegungstechnik und verschiedene Sitzbänke wählen.
Technische Daten und Wertung
APRILIA
BENELLI
BMW
YAMAHA
Motor Bauart/Zylinder
Hubraum
kW (PS) bei 1/min
Nm bei 1/min
Gewicht fahrbereit
Zuladung
Sitzhhöhe
Tankinhalt / Reichweite / Verbrauch
Reifengröße
Federweg
Preis
WERTUNG
Vor- u. Nachteile OFFROAD
Vor- u. Nachteile ONROAD
Vor- u. Nachteile ALLTAG
Charakter
Ist die GS in Fahrt, sind Masse und Größe vergessen. Sie gleitet dank üppigem Windschutz und stimmiger Ergonomie stressarm über die Autobahn, geht auf der Landstraße flüssig durch Wechselkurven, hängt oberhalb der Mitte bissig am Gas. Im Drehzahlkeller dürfte sie potenter zufassen, auf kaputten Straßenoberflächen sensibler anfedern. Im Gelände hilft das große 21er-Vorderrad, fiese Furchen zu übertupfen, sauber und fein lässt sich das Gas (im Offroad-Modus) dosieren. Im Stehen zu fahren fällt nicht ganz leicht, die Knie stoßen gern an den breiten Tank.
Aprilia Tuareg 660
Ein grantiger Motor aus den Schwestern RS 660 (Sportler) und Tuono 660 (Naked) – kann das in einem Wüstenschiff wie der Tuareg 660 gutgehen? Und ob! Der Zweizylinder kann nämlich auch zurückhaltend, benimmt sich beim langsamen Tuckern sehr anständig, lässt sich mithilfe der leichtgängigen Kupplung sauber dosieren. Zudem stellt Aprilia neben einer kürzeren Übersetzung des ersten Gangs ein variables Offroadprogramm zur Verfügung.
Das große Vorderrad rollt bestens über schotterige Oberflächen hinweg, der gefühlt tiefe Schwerpunkt hilft beim Balancieren des gerade mal 204 Kilo schweren Motorrads. Im Stehen im Gelände gefahren wirkt die Tuareg zwar kopflastiger und im tiefen Sand schiebender als die Yamaha, doch auf der Straße dreht die 660 erwartungsgemäß spritzig auf.

Ähnlich wie die Yamaha steckt die Tuareg auch beherzte Manöver im Gelände locker weg.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
Das mechanische Motorsurren verwandelt sich in ein rassiges Klangspektakel mit grunzendem Ansauggeräusch, dank leichtgängiger Schaltautomatik (Option, klappt in beide Richtungen) lässt sich die 660er herzhaft durchbeschleunigen. Außerdem fühlt sich der Reihenmotor auch in unteren Tourenregionen enorm kräftig an. Die Federung arbeitet flexibel-stoßfrei, doch nie schwammig – klasse!
Überraschendes Cockpit
An die Sitzposition hinter dem sehr breiten Lenker und stärker in den Sitzschaumstoff eingesunken – ensprechend mit höher aufgelegten Händen am Werk – muss man sich gewöhnen. Auf langen Etappen jedenfalls sitzt man auf der Tuareg sehr kommod. Außerdem passen Mitfahrer besser auf die breite Sitzbank, als es bei der Ténéré der Fall ist.
Im Cockpit steckt viel mehr, als es das schlicht aufbereitete Multifunktionsdisplay vermuten lässt. Über die Mehrfachtaste in der linken Lenkerarmatur lassen sich verschiedene Fahrmodi konfigurieren, dabei zum Beispiel ABS- und Traktionsregelung beeinflussen. Selbst die Motorbremswirkung lässt sich in drei Stufen dosieren.
Yamaha Ténéré 700
Es ist paradox. Die Yamaha hat weniger Federweg als etwa die BMW, fühlt sich aber ungleich hochbeiniger, viel mehr nach Offroader, letztlich radikaler an. Denn sie ist eine Kante, im positiven Sinne. Sitzbank straff, Lenker tief, Fahrposition sprungbereit. Alles fühlt sich direkt an, nichts wirkt diffus, die Rückmeldung aus dem Fahrwerk ist klar und eindeutig – die leichte 700er lässt sich gern per Oberschenkel auf Kurs bringen.

Die Ténéré macht ihrem Namen alle Ehre: In ihr steckt der beste Wüsten-Durchquerer dieser Gegenüberstellung.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
In diesem Gefühl rührt der CP2-Motor reichlich mit. Die Maschine geht in puncto Laufkultur knurrig, doch immer hellwach an die Arbeit. Auf der Straße spritzig, im Gelände saftig und dosierbar gleichzeitig – die 700er bereitet entsprechend auf Asphalt und Schotter gleichermaßen Laune.
Dazu kommt: Das hoch angebrachte Instrument im Roadbook-Design und die schmale hohe Scheibe vermitteln ein sehr sportliches Gefühl. Trotz eher simpler Grundeinstellung dem Thema Fahrhilfen gegenüber (außer ABS steckt nichts in der Ténéré) fühlt sich die Maschine fahrstabil und vertrauenerweckend an.
Klar, den dampfenden 86 PS der BMW hat der Reihen-Zweier der Japanerin nichts entgegenzusetzen. Dafür lassen sich die versammelten 73 Pferde angenehm folgsam in Richtung Kette dirigieren. Zarte Drifts auf Sand, gern im Stehen gefahren – ein großartiger Kitzel auf der 700 Rally. Längere Straßentouren muss man mögen und planen; die Reichweite ist geringer, die kantige Sitzbank unbequemer als bei den anderen Wüstlingen.
Benelli TRK 502 X
Kleineres 19-Zoll-Vorderrad, dicker Bauch statt schmale Rally-Silhouette – gehört die TRK 502 in diesen Vergleich? Na klar. Das X im Namen steht schließlich für Cross, und sowohl Sitzhöhe als auch Federwege schreien nach schnellen Etappen auf sandigen Böden. Der eigentliche Hammer: Die Benelli kostet ungefähr die Hälfte von Ténéré und Tuareg.

Ein enorm günstiger Kandidat, doch bestimmt kein billiger Typ: In der Benelli 502 steckt ein Fahrwerk mit Offroadreserven.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
Dabei ist sie nicht so kärglich ausgestattet, wie es der Kaufpreis vermuten lässt. Großes Windschild, umfangreiches Cockpit inklusive beleuchteter Schaltereinheiten, dazu dicke Handprotektoren, ein stabiler Sturzbügel und Speichenräder – das kann sich sehen lassen.
Der Zweizylinder mit 500 Kubik wirkt trotz der gerade mal 48 PS gar nicht träge, geht kernig und mit dumpfer, angenehmer Klangkulisse aus einem mächtigen Endpott ans Werk.
Angenehm: Die kurze Übersetzung und das lineare Drehzahlband passen bestens zueinander, der R2 mag auch höhere Tourenzahlen. Auf der Straße benimmt sich die Benelli dann auch erstaunlich wendig und flüssig, vor allem der gute Windschutz kann gefallen. Die Vorderbremse verlangt jedoch nach deutlich mehr Handkraft als die der BMW GS, ihre Wirkung dürfte giftiger sein.
Im Gelände hat die Benelli schlechte Karten. Der Grip ist trotz leicht kantiger Profilierung mäßig, und man kann nicht optimal im Stehen fahren – der Tank stört den Knieschluss. Fahrhilfen sind nicht vorgesehen. Schlussendlich gibt es dennoch viel Abenteuermotorrad für wenig Geld.
Fazit
Von günstig (Benelli) bis überaus aufwendig (BMW) hat diese Motorradkategorie alles zu bieten. Klar, nicht jeder buddelt sich täglich durch tiefen Sand. Doch selbst die recht radikale Yamaha Ténéré zeigt Talente auf Asphalt. Abenteuer Alltag!
Service-Links