Es ist alles eine Frage des Geschmacks: Schön oder hässlich, geschüttelt oder gerührt, hoch drehender Sauger oder Kompressortriebwerk? Letztere Frage beschäftigt jedenfalls die Tuningwelt und spaltet sie in zwei Lager. AUTO BILD SPORTSCARS wollte herausfinden, welche Philosophie mehr zusagt. Die Versuchsobjekte: zwei Golf R32 mit Direktschaltgetriebe (DSG) – einer von Rüddel, einer von SLS.

Optisch dezent: Rüddel setzt auf Serienoptik und BBS-Alus.
Ersterer setzt auf klassisches Motortuning. Durch die Feinbearbeitung der Zylinderköpfe und zwei neue Sportnockenwellen sind höhere Drehzahlen als beim Serienmotor möglich. Ein modifiziertes Hosenrohr mit größerem Durchmesser, zwei Sportkatalysatoren mit je 200 Zellen und eine angepasste Elektronik tun ihr Übriges. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Aus den serienmäßigen 250 Pferdestärken macht Rüddel 292. Nur geringfügig steigt das Drehmoment an – 345 Newtonmeter statt werksseitiger 320. Ferner wurde die Drehzahlgrenze aufgehoben, die das DSG zu verantworten hatte. So gerüstet jodelt der V6 fröhlich bis 7100 Umdrehungen. Was die Optik anbelangt, hält sich Rüddel hingegen zurück. Einzig die schmucken BBS-19-Zöller unterscheiden ihn von einem R32 im Serien-Trimm.

Dampf unter der Haube: SLS baut einen Kompressor in den R32.
Sein candyweiß lackierter Gegner schwört auf Kompressor-Schub der Schweizer Firma Ruf. Die Zwangsbeatmung zeigt Wirkung: 310 PS und 355 Newtonmeter lauten die Eckdaten des 3,2-Liter-Motors. Das nutzbare Drehzahlband bleibt unverändert. Warum auch nicht: Dank riemengetriebenem Lader kommt der Punch aus dem Keller. Erst ab 5500 Umdrehungen wirkt der R32-Sauger von Rüddel kraftvoller als das SLS-Pendant. Permanent präsent ist bei Letzterem das Surren des Kompressors. Das mag manchen stören, aber: Die akustische Abgrenzung zum Serienfahrzeug stellt für manche Tuningfreaks einen unschätzbaren Placebo-Effekt dar. Rüddel bedient derlei Bedürfnisse gar nicht – sein R32 klingt exakt wie das Serienauto. Bei der Optik dachte sich wohl auch SLS: Was will man bei einem R32 äußerlich noch verbessern? Außer den tief in den Radhäusern sitzenden 19-Zöllern blieb alles unverändert.
Der SLS eilt dem Rüddel locker davon. 5,7 Sekunden bis Tempo 100.
Von ersten Eindrücken zu knallharten Fakten. Die Messwerte sprechen eine deutliche Sprache: Den Standardsprint auf 100 km/h absolviert der SLS in 5,7 Sekunden. Der Rüddel-Golf benötigt hier 0,3 Sekunden mehr. Damit heben sich beide vom 6,3 Sekunden schnellen Serienauto ab – allerdings nicht so deutlich wie erwartet. 1:0 für SLS. Dafür bremst Rüddel mit warmen Bremsen besser als der Konkurrent – dabei haben beide Veredler die Serienbremse nicht angerührt: 36,7 Meter stehen 37,8 gegenüber. 1:1! Weitestgehende Einigkeit bei der Höchstgeschwindigkeit. 265 km/h verzeichnet unser GPS-Messgerät beim Rüddel-Golf, 264 beim SLS-Auto – damit setzen sie sich deutlich vom 248 km/h schnellen Serienmodell ab. Punkt für beide – 2:2 Die Motorsport Arena Oschersleben entscheidet schließlich über Sieg und Niederlage – Helm auf, Handschuhe an und los geht's!

Als Erster tritt der R32 von SLS an. Schnell stellt sich heraus, dass es der Tuner bei der Einstellung des Gewindefahrwerks übertrieben hat. Es ist einfach zu hart, zudem scheuern die Vorderräder in Kurven unangenehm in den Radkästen. Nicht nur für den Rennstreckeneinsatz wünscht man sich ein paar Millimeter weniger Tiefgang und eine etwas weichere Auslegung. Bei zu forsch angegangenen Kurven erweist sich der SLS-Golf als friedlicher Untersteuerer – bei Lastwechseln neigt er hingegen zu heftigen Heckschwenks, die mit einem beherzten Gasstoß aber schnell wieder neutralisiert werden. Derlei Sperenzchen machen Spaß, kosten aber Zehntel.
Pluspunkte kann er wieder beim Motorenkapitel für sich verbuchen. Die Charakteristik entspricht zwar der des Serienmotors, dafür kämpft er nicht mit den auftretenden Ermüdungserscheinungen im oberen Drehzahlbereich, die sein ungetuntes Gegenstück plagen. Als Störfaktor erweist sich aber die "Zwangsschaltung" an der werksseitigen Drehzahlgrenze: sie sorgt für unnötig Hektik im Getriebe. Am Ende bleibt die Stoppuhr bei 1:50,55 stehen. Das sind, trotz Fahrwerksmängeln, fast zwei Sekunden weniger als ein Serien-R32 benötigt.

Einwandfrei: die Abstimmung des Bilstein-Fahrwerks im Rüddel.
Danach kommt Rüddel dran. Sein breiteres Drehzahlband erweist sich ein weiteres Mal als Ass im Ärmel. Es erlaubt, den gewählten Gang beizubehalten, wenn der Pilot des SLS-Fahrzeugs längst schalten muss. Es kostet zwar Überwindung, das Aggregat so hoch zu drehen. Hat man diese Hemmschwelle aber erst einmal überwunden, lassen sich viele Streckenpassagen viel flüssiger durchfahren. Darüber hinaus hat Rüddel auch bei der Abstimmung des Bilstein-Fahrwerks ganze Arbeit geleistet. So lässt sich der R32 durch alle Kurven durchweg neutral fahren. Resultat: 1:49,78. Das Ergebnis lautet am Ende 3:2 für den Golf R32 von Rüddel – objektiv ein Sieg. Subjektiv bleibt die Wahl des richtigen Tuners aber trotzdem eine Frage des Geschmacks.

Von

Sebastian Schneider