Früher war das ganz normal: Noch in den 80er-Jahren stieg man nicht einfach in einen Geländewagen ein, sondern man erklomm ihn. Gute 80 Zentimeter Sitzhöhe über der Fahrbahn waren nicht nur bei Land Rover oder Mercedes gang und gäbe, sondern auch bei Geländewagen von Nissan, Mitsubishi, Isuzu oder Toyota. Das hatte allerdings den Nachteil, dass es für nicht ganz so langbeinige Zeitgenossen schwierig war, ihr Gesäß auf den Fahrerthron zu hieven. Ein schönes Geschäft für die Zubehörhersteller, die durch nachträglich angeschraubte Trittbretter aus Metall jedermann den Zugang zum hohen Geländewagen ermöglichten. Und heute? Problemlos gleiten wir auf die Sessel der aktuellen SUV à la M-Klasse, X5, Touareg, Q7 oder XC90. Dieser äußerst bequeme und rückenschonende Zu- und Ausstieg ist mitverantwortlich für den Erfolg dieser Fahrzeuggattung.

Der Offroad-Dinosaurier ist seit 1979 im Mercedes-Programm

Auf dem Geländewagen-Olymp: das Mercedes-Benz G-Modell.
Dennoch gibt es sie noch, die "Aufrechten" mit traditionell hohem Thron und traditionell steilen Scheiben. Die Mercedes G-Klasse symbolisiert dabei schon wegen ihres Preises die höchste Stufe des Aufstiegs zum Geländewagen-Olymp. In Wahrheit handelt es sich bei dem Austro-Germanen aber um ein nach allen Regeln der Kunst zum Luxusauto veredeltes Militärvehikel, das in zahlreichen Armeen dieser Welt geschunden wird, auch in der deutschen Bundeswehr. Mit viel Liebe zum Detail und großem Geschäftssinn schleppt Mercedes diesen Oldtimer seit 1979 über immer neue Sicherheits-, Abgas- und Geräuschhürden. Der erste G hatte weder Turbolader, noch Elektronik, noch Katalysator, ABS, ESP oder Partikelfilter. Heute ist dies alles wie selbstverständlich an Bord. Und vielleicht erleben wir ja sogar noch eine Hybridversion des seit Jahren totgesagten Rekruten. Doch der direkte Vergleich zeigt unbarmherzig die Schrullen, die dem alten Militaristen selbst über all die Jahre nicht auszutreiben waren.

Oldtimer gegen komplette Neukonstruktion

Land Rover zeigt mit dem Discovery was Stand der Technik ist.
Wer unvoreingenommen von einem modernen Geländewagen wie dem aktuellen Land in den Mercedes G umsteigt und losfährt, muss zwangsläufig enttäuscht sein. Dieses Auto soll ausstattungsbereinigt 22.000 Euro Aufpreis wert sein? Mit dieser elend schwergängigen Lenkung? Mit diesem holprigen Starrachsfahrwerk? Mit dem strammen Geräuschpegel? In der Tat, der Fahrkomfort ist der Preisklasse nicht angemessen und die zentrale Schwäche des guten alten G. Der Mercedes poltert unbeholfen über Kanaldeckel und will mit entschlossener Hand um jede Kurve gezwungen werden. Was da inzwischen Stand der Technik ist, zeigt exemplarisch der heute in der dritten Generation seit 1989 befindliche Land Rover Discovery, eine komplette Neukonstruktion aus dem Jahre 2004: großzügige Innenraumbreite, wenig Windgeräusche, ein flüsterleiser und fast perfekt abgeschotteter Dieselmotor und vor allem eine auch auf kurzen Unebenheiten wirksame Federung.
Der Mercedes kontert den englischen Angriff auf der Komfortebene mit der Gewalt von 34 zusätzlichen PS, die den G 320 CDI beim Gasgeben richtig temperamentvoll wirken lassen. In nur 9,8 Sekunden reißt der Mercedes die Tempo-100-Marke. Der bleischwere Brite nimmt dagegen stets sanft Fahrt auf. Er setzt der zackigen Beschleunigung des Deutschen aber seine Genügsamkeit entgegen. Der Land Rover verbraucht bei gleichem Tempo mehr als zwei Liter/100 km Dieselöl weniger als der Mercedes. Die G-Klasse ist eben noch kantiger geformt und zudem kürzer übersetzt, sodass sein Motor bei gleichem Tempo höher drehen muss. Auch der subjektive Fahreindruck am Steuer unterscheidet sich bei den beiden Kandidaten drastisch. Der Brite umschmeichelt seinen Fahrer, lullt ihn ein mit dem sanften Schnurren seines überaus kultivierten Dieselmotors und animiert zur stressfreien Fernreise auf gepflegten Autostradas in die Toskana. Die Fahrtpause am Nachmittag genießt man in einem netten Café am See auf einem lässig gepolsterten Terrassensessel, wo der Wirt einen Cappuccino samt blütenweißer Stoffserviette reicht. Später, am Ziel angekommen, gleitet man völlig entspannt aus dem Fahrersitz und lässt sich die Lederkoffer in das Zimmer des stilvollen Hotels tragen.

In der G-Klasse zählt vor allem die Kraft

Arbeitsplatz: Der Mercedes G 320 CDI verlangt nach einer harten Hand.
Ganz anders der Deutsche. Seine Bedienung hält stets hellwach, denn Türen, Gaspedal und Lenkung erfordern hohe Kräfte. Die Heckpforte will mit roher Gewalt in das Türschloss gepfeffert werden. Über distinguierte Fernfahrten lacht der Mercedes nur. Er will lieber dachhoch mit Expeditionsausrüstung bepackt werden und anschließend einen möglichst grässlichen Pfad in unwirtlicher Gegend bezwingen. Auf der Anfahrt über die Autobahn überwacht sein Tempomat mit teutonischer Strenge die Einhaltung des Tempolimits. Später, auf Landstraßen dritter Ordnung, mahnt ein müder Gasfuß zur Erholungspause. Die Insassen stolpern aus dem G, suchen sich einen schattigen Platz und vertilgen ein paar mitgebrachte Käsebrote. Man hockt auf einem vom letzten Sturm umgenieteten Baumstamm, während die mit Früchtetee gefüllte Thermosflasche herumgereicht wird. Danach rumpelt der Mercedes-Benz stundenlang über verwahrloste Bergpfade, bis das Ziel auftaucht: eine abgelegene Hütte, in der die mitgebrachten Feldbetten aufgebaut werden und per Solargrill ein zuvor noch schnell erlegtes Wildhuhn zubereitet wird.

Ob Gelände oder Luxushotel: Zwei Offroader für alle Fälle.
Vielleicht ist es aber auch genau umgekehrt und der Land-Rover-Besitzer visiert auf einem kargen Staubweg die Schlichtheit der immer noch beeindruckenden Natur unseres Erdballs an. Denn auch der Land Rover Discovery übersteht schwere Einsätze auf schroffem Untergrund mit dem Gleichmut der englischen Königin. Und genauso gut ist es auch möglich, das Schlüsseläquivalent seines pieksauberen Mercedes G 320 CDI dem Parkier eines Luxushotels zu übergeben, ohne an Glaubwürdigkeit einzubüßen. Und dann darf der Hotelparkier zumindest für ein paar Meter das genießen, was den Reiz dieser Autos ausmacht: die weitläufige Fernsicht vom Fahrerthron aus über die übersichtliche Motorhaube und über alle anderen Verkehrsteilnehmer hinweg bis zum Horizont. Und das Wissen, schwersten Anhängern oder üblen Wegstrecken mit Leichtigkeit Herr zu werden.

Fazit von AUTO BILD ALLRAD-Redakteur Martin Braun

Klar, mit Kurven- und Autobahntempo können weder Land Rover noch Mercedes beeindrucken – der G am allerwenigsten. Die Faszination solcher Autos liegt woanders. Dazu muss man nicht unbedingt schwere Anhänger schleppen oder üble Wege suchen. Es reicht das Probesitzen und die weitläufige Fahrerperspektive – ein Gefühl der Erhabenheit. Und das bringt der Land Rover mit weniger Alltagsnachteilen zum deutlich günstigeren Preis. Der Mercedes wirkt dafür unübertroffen ernst.

Von

Martin Braun