Zwei SLR-Generationen
Schnell, legendär, rar

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Der Mercedes SLR McLaren 722 Edition ist ein auf 150 Exemplare limitiertes Sondermodell zu Ehren des 300 SLR und dessen Sieg bei der Mille Miglia 1955. AUTO BILD SPORTSCARS hat die beiden Traumwagen zusammengebracht.
Vierzehn Millionen Euro Sammlerwert? Wie jetzt? Ich stehe vor dem Mercedes 300 SLR von 1955, und in meinem Kopf rauscht es nur noch. Die Antwort auf meine Frage "Wie teuer ist der eigentlich?" macht mich fertig. Okay! Mir war klar, dass einer der legendärsten Rennwagen aller Zeiten nicht eben billig sein würde. Aber vierzehn Millionen Euro? Auch wenn der Versicherungswert "nur" drei Millionen Euro beträgt, die Frage nach dem Auch-mal-fahren-Dürfen spare ich mir. Stattdessen versuche ich, nicht allzu verkrampft zu lächeln. Das gelingt mir angesichts des Gesichtsausdrucks unserer Fotofee Lena nicht ganz. Verstört guckt sie mich an. So muss ich kurz zuvor auch dreingeschaut haben. Nachdem wir uns im McLaren SLR 722 in nur einer Stunde von Schwabach nach Stuttgart gezoomt hatten, meinte sie, eine Ziege gesehen zu haben – an einer Kreuzung, mitten in der Stadt … Ganz klar, das muss der Geschwindigkeitsrausch sein. Schließlich war die Autobahn an diesem frühen Samstagmorgen trocken, frei und schön gerade. Zwischenzeitlich kratzte die Tachonadel an der 350er-Marke. Da hatte die Teufelsbraut noch seelenruhig versucht zu lesen.
Die glanzvolle Geschichte des 300 SLR hat auch eine tragische Seite

1955 waren 310 PS aus einem Reihenachtzylinder eine Ansage

Ich dagegen würde jetzt am liebsten vor Glück schreien. Stattdessen versuche ich, den professionellen Autojournalisten zu mimen. Dann geht es los. Der Motor des SLR 722 ist normalerweise ein Testosteronproduzent erster Güte. Der V8 bollert aus den Sidepipes, der Kompressor kräftigt das mit seinem typischen Jaulen. Wie gesagt, normalerweise. Denn obwohl ich im geschlossenen SLR sitze, höre ich von dem ganzen Spektakel nichts. Der 300 SLR neben mir macht hier die Musik. Jetzt reicht es, ich will zumindest mitfahren. Gesagt, getan, und schon sitze ich auf dem kleinen karierten Beifahrersitz des 300 SLR. Und fühle mich ein bisschen wie Denis Jenkinson. Der britische Motorsportjournalist wurde von Moss bei seinem Sieg bei der Mille Miglia als Beifahrer mitgenommen. Anders als Fangio schätzte Moss während der bis zu zehn Stunden langen Rennen Gesellschaft. Es ist ein im wahrsten Sinn des Wortes atemberaubendes Erlebnis. Anders als der Fahrer habe ich keine Windschutzscheibe vor mir, und zum ersten Mal wird mir die Bedeutung dieses Begriffs wirklich bewusst. Spätestens im dritten Gang habe ich wegen des Fahrtwinds ernsthafte Atemprobleme. Zudem tränen meine Augen trotz Sonnenbrille derart, das ich nichts mehr sehe.
Dann ist das Spektakel vorbei. Der 300 SLR geht zurück ins Museum, Lena und ich treten die Heimfahrt an. Noch in Stuttgart, klärt sich an einer roten Ampel die morgendliche Ziegenvision. Es gab sie wirklich. Unser Weg zum Mercedes-Werk führt direkt am Stuttgarter Zoo vorbei. Was für ein Glück. Für Lena. Für mich. Und für den SLR 722. Es darf schnell gefahren werden.
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