Abschalttechnik bei Dieselautos: EuGH-Urteil, Abgasskandal, Mercedes
Schummel-Diesel: Autofahrer dürfen auf Entschädigung hoffen

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Dieses Urteil könnte Dieselfahrern viel Geld und Autobauern reichlich Ärger einbringen: Der EuGH hat Schadenersatzklagen beim Einsatz illegaler Abgastechnik erleichtert. Nicht nur Mercedes-Fahrer sollten genau hinschauen!
Bild: DPA
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Dieselfahrer, aufgepasst: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit einem möglicherweise bahnbrechenden Urteil die Hürden für Schadenersatzklagen beim Einsatz unzulässiger Abgastechnik gesenkt.
Die Luxemburger Richter entschieden am 21. März 2023: Autobauer können auch dann haften, wenn sie bei der Nutzung eines Thermofensters in einem Schummel-Diesel nur fahrlässig gehandelt haben – was wesentlich leichter nachgewiesen werden kann.
Das Urteil könnte große Auswirkungen auf die deutsche Rechtsprechung haben. Laut dieser muss bislang eine Betrugsabsicht nachgewiesen werden. Beim Bundesgerichtshof (BGH) – Deutschlands oberstem Zivilgericht – hatten Klägerinnen und Kläger bisher nur dann eine Chance auf Schadenersatz, wenn sie vom Hersteller bewusst und gewollt auf sittenwidrige Weise getäuscht wurden. Diese strengen Kriterien waren nur beim VW-Skandalmotor EA 189 erfüllt. (Soll ich noch einen Diesel kaufen?)
Der ADAC begrüßt das EuGH-Urteil "als gutes Signal für den Verbraucherschutz", so eine Sprecherin. Zu zukünftigen Urteilen äußert sich der Automobilclub allerdings zurückhaltend: "Ob diese Entscheidungen Betroffenen helfen, Schadenersatzansprüche gegen Mercedes und auch gegen andere Hersteller von Autos mit Thermofenster durchzusetzen, bleibt abzuwarten." Es sei nicht davon auszugehen, dass jetzt alle Fahrer von Schummel-Dieseln automatisch Schadenersatz bekommen. Hierfür müsse im Einzelfall festgestellt werden, dass unzulässige Technik verbaut worden sei. Zudem bedürfe es weiterhin des Nachweises eines Verschuldens durch den Hersteller.
Wesentlich optimistischer geben sich Vertreter der Anwaltskanzleien, die geschädigte Autofahrer in Sammelklagen gegen die Hersteller vertreten. "Das ist ein Sensationsurteil. Diese Entscheidung vereinfacht die Durchsetzung von Abgasskandal-Ansprüchen für betroffene Verbraucher enorm", ließ Rechtsanwalt Claus Goldenstein verlauten, dessen Kanzlei über 50.000 Mandanten im Zusammenhang mit dem Abgasskandal vertritt. Auch die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hält das verbraucherfreundliche Urteil für einen Meilenstein. "Die Chancen der Verbraucher auf Schadensersatz sind enorm gestiegen", so Geschäftsführer Dr. Ralf Stoll.
Hintergrund des Verfahrens war eine Schadenersatzklage aus Deutschland gegen Mercedes-Benz wegen eines sogenannten Thermofensters. Das Landgericht Ravensburg hatte zur Klärung den Europäischen Gerichtshof angerufen. Der EuGH fällte nun als erstes oberstes Gericht ein Urteil zuungunsten von Mercedes.
Thermofenster sind Teil der Motorensteuerung, die bei kühleren Temperaturen die Abgasreinigung drosselt. Autohersteller argumentieren, das sei notwendig, um den Motor zu schützen. Umweltorganisationen sehen darin hingegen ein Instrument, das dabei helfe, die Emissionen von Autos unter Testbedingungen kleiner erscheinen zu lassen, als sie es im realen Straßenverkehr sind.
Die Richter in Deutschland müssen diese Vorgaben nun umsetzen. Um das EuGH-Urteil abzuwarten, hatten Gerichte aller Instanzen mehrere Tausend Diesel-Verfahren auf Eis gelegt. Der "Dieselsenat" des BGH hat für den 8. Mai 2023 bereits eine Verhandlung terminiert, in der er die sich "möglicherweise ergebenden Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht" (AZ C-100/21) erörtern will. Offen ist allerdings beispielsweise noch, wie viel Geld betroffenen Autokäufern zusteht.
Mit Material von dpa und Reuters
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