Vantage hieß der GTI von Aston Martin

Charakter haben sie ja, die britischen Autos, aber sind sie auch schön? So bildschön wie italienische Autos? Aus Britannien kamen TR 7, London-Taxi und der Rolls-Royce Corniche, alles wunderbare Autos. Aber schön? Eine einzige Ausnahme außer dem Jaguar E-Type gibt es, bei dem einem die Luft wegblieb und auch bleibt: Aston Martin. Der Ferrari der Regenschirm-Insel, der Lamborghini aus dem Land der weichgekochten Kohlköpfe, der Maserati der Ale-Trinker. Man fragt sich, wie konnte so etwas passieren? Wie entsteht im Land von Prinz Charles, Camilla Parker Bowles und Mr. Bean so etwas Schönes? Die Lösung des Rätsels: Italiener.

Aston Martin, wohl wissend um die nationale Form-Schwäche, beauftragte in den Sechszigern die italienische Karosseriefirma Touring mit Gestaltung und Bau der Leichtmetallhüllen, während die Briten sich an die spröde Technik machten. Es wurde eine wunderbare Symbiose daraus: ein Supersportwagen, der sich hinter Ferrari und Co nicht zu verstecken brauchte. Der DB6 Mk.II Vantage war der letzte der großen Sechszylinder-Klassiker von Aston Martin, gebaut in homöopathischen Stückzahlen bis 1971. Vantage ist auf Volkswagen übersetzt der GTI von Aston Martin, die Sportversion mit 325 statt 282 PS.

Nein, es war nicht das James-Bond-Auto. Das war der DB5, der Vorgänger, der übrigens das meistverkaufte Fahrzeug der Welt wurde, zumindest wenn es um Spritzgußmodelle geht. Der DB6 Mk.II Vantage ist die Kulmination des ganzen Sechziger-Jahre-Traumwagen-Hype zum endgültigen Aston-Martin-Sechszylinder-Sportwagen. Anschließend ging es bergab. Es kamen modernistische Achtzylinder, denen die stilistische Aufregung und Extravaganz abhanden gekommen war, denn es fehlten ihnen die Italiener. Die Karosse wurde mit Bordmitteln bei Aston selbst entworfen. Nicht schlecht, aber ...

Beim DB9 wirkt eine spezielle Erotik

Lassen wir das. Denn jetzt gibt es den DB9, Wieder so ein Auto, das schon im Stand schnell ist, und zwar mit der Eleganz und der Grandezza einer Ballerina. Aber auch diesmal: keine Italiener. Stattdessen: ein Däne. Ein Däne, der bei BMW in München gelernt hat und als Vater des Z8 gilt. Henrik Fisker hat den DB9 und sein offenes Pendant DB9 Volante entworfen. Das ist so gut gelungen, daß sein Mutterkonzern Ford ihn unverzüglich zum Direktor für Zukunftsdesign berief.

Der DB9 live ist ein Erlebnis. Da liest man immer von britischem Understatement eines Aston Martin, aber der DB9 zieht die Blicke ebenso magnetisch an wie früher ein Countach. So wie ein Mann an einem Strand voller Menschen im Sekundenbruchteil die barbusige Frau entdeckt, drehen sich alle im von Autos wimmelnden Verkehr nach ihm um. Da scheint eine spezielle Form von Erotik zu wirken. Feminin ist sein Benehmen ansonsten nicht. Gibt man Gas, dann faucht der Zwölfzylinder wie ein wildes Tier, dreht man ordentlich hoch, dann wird er auch noch eins. 457 PS, hoppla, schon wieder 270 Kilometer pro Stunde auf der Uhr. Vorsicht, in der Schönen steckt ein Biest!

Bei einer Blindverkostung würde es so losgehen: Einsteigen mit geschlossenen Augen, Schädel anschlagen (ah, ein Coupé), Nase aktivieren (ah, ein englisches Coupé). Der Duft ist wie bei Royces und Bentleys. So etwas schaffen nur die Briten. Diese Kuhhäute sind das Parfüm ihrer Kultur. Ledernes anderer Kulturen riecht schal dagegen. Jetzt aber Augen auf, denn man fummelt vergeblich am Zündschloß herum, dort startet nichts. Oben auf der Mittelkonsole sitzen fünf große Taster, ein gläserner lockt innerlich mit zartem Purpur glühend, auf ihm steht "Start".

Erst bei Tempo 300 wird der V12 schwach

Das Tier jault zunächst nervös auf, dann geht es in ein zartes Brabbeln über, während man verwirrt den Schalthebel sucht. Wo, bitte, geht’s zum Fahren? Ah, auf den Nachbarn des Startknopfs findet man ins Wurzelholz eingelassen vertraute Symbole. Rechts sitzt ein Knopf: "D". Den drücke ich und der DB9 rollt an wie ein ICE. Der Blick schweift neugierig wohlwollend über technoide, dreidimensionale Instrumente mit ein bißchen Digitalanteil darin, der sich entgegen aller Vorurteile besser ablesen läßt als der gute alte analoge.

Drei Lieblingsreviere hat der Aston Martin DB9: Das Gerade, dabei gern ganz lange Strecken, aber auch das Kurvige schmeckt ihm. Auf den Geraden der Autobahn ist er der Souverän. Der Sechsliter schiebt unerbittlich und erst bei gut Tempo 300 verlassen ihn die Kräfte, was auch ganz gut so ist. Die Windgeräusche halten sich in Grenzen, der Komfort ist untadelig, doch ist das Fahrwerk so straff und präzise, daß man keine Schweißflecken befürchten muß. Unbeirrbarer Geradeauslauf, feinfühlige Lenkung, sattes Kauern auf der Piste. AM-Chef Dr. Ulrich Bez hat einen perfekten, unnervösen GT geschaffen.

Bez, genau. Wenn nun schon der Designer statt aus Italien aus Dänemark kommt, dann darf der Chef – und der ist Ingenieur – statt Brite auch Deutscher sein. Bez hat sich dort ein Biotop der feinsten denkbaren Automobile geschaffen. Ein würdiger Höhepunkt einer bunten Karriere von BMW über Porsche, Daewoo, dem Ausrutscher beim Windmühlengetriebe-Hersteller Flender bis jetzt zu Aston Martin.

Opulentes Gewicht vom Speck des Luxus

Das Kurvige! Gut, daß ich zuerst die Autobahn probiert habe. Dort hatte ich nämlich verschämte, ohrmuschelartige Hebelchen hinter dem Lenkrad entdeckt, die für die Landstraße geschaffen wurden. Sechs Gänge tippt man hier wie die Tonleiter am Piano auf und ab. Mit dem Resultat, den Grenzbereich nun überall vorzufinden, denn mit dem passenden Gang wird jeder Knick mit exzessiver Kraft bedient. Die Leistung schüttelt er wie es uns gefällt aus Gaspedal und Schaltpaddeln des Automatikgetriebes. Dieses liegt übrigens an der Hinterachse und wird appetitlich mit Zwischengas versorgt, wenn man zurücktippt.

In der Kurve spürt man das opulente Gewicht des 2+2-Sitzers, wir reden hier von immerhin 1875 Kilo. Der DB9 ist keine asketische Fahrmaschine, er besitzt den Speck des Luxus, mit elektrischen Sitzen, Navi, Klima, Hifi, mit allen Schikanen, mit genug Airbags und reichlich Lärmdämmung obendrauf.

Der DB9 mag nicht nur das Gerade und Kurvige, sondern, da fehlte ja noch etwas, auch das Holperige, zumindest, wenn es ganz fein holperig ist. Kiesel zum Beispiel, die auf der Auffahrt zum privaten Landsitz des Besitzers melodramatisch knirschen. Die Bestimmung des DB9 ist eigentlich hauptberuflich die des noblen Autos, das nebenbei verdammt schnell sein kann. Der Preis ist auch so, daß man einen Landsitz als vorhanden voraussetzen kann: 144.000 Euro. Wir sind eigentlich rundum zufrieden. Bis auf eines: Muß die Mittelkonsole eines 144.000-Euro-Autos so ärmlich nach Plastik aussehen, Mr. Ford-Rotstiftverwalter?

Cockpit wie in einer Boeing 727

Wie es besser geht, zeigt der Urahn. Die Uhrensammlung erinnert ans Cockpit einer Boeing 727, die ein Zeitgenosse des DB6 war. Das ansonsten schlichte Armaturenbrett war elegant geschwungen und sauber gearbeitet. Man bemerkt allerdings, daß die Automobiltechnik in den letzten 33 Jahren Fortschritte zu verzeichnen hat. Die Sitze bieten deutlich weniger Halt, sind weniger komfortabel, es gab nur eine Nackenstütze am rechten Sitz (!), was der Besitzer des Wagens inzwischen geändert hat. Auch die ursprünglich statischen Dreipunkt-Gurte hat er gegen Hosenträgergurte getauscht, was nicht schön aussieht, aber dennoch sehr klug ist.

Aber all das sind bloß kleine Details. Schauen wir auf das große Bild, und das wird geprägt von der Musik. Der ellenlange Vierliter-Reihensechszylinder mit 325 PS schmettert heisere, kehlige Harmonien in Dur und Moll in die Gehörgänge, so daß man das nachträglich installierte Radio getrost vergessen kann. Dazu kommt das Rauschen der Geschwindigkeit an der Erkern und Kanten der handgefertigten Karosserie.

Es war keine leise Zeit damals. Man spürt es auch an weiteren Wesenszügen des Wagens, so daß man schnell begreift, warum er "Sport"-Wagen heißt. Ruppig ist zum Beispiel der musikalische Motor bei niedrigen Drehzahlen, die mag er nicht und schüttelt sich wie ein nasser Hund. Erst bei hohen Drehzahlen spürt man sein Wohlgefühl, und die Post geht richtig ab. Der Sprint von 0 bis 100 km/h übrigens in 6,2 Sekunden. Spitze 238. Das ist heute noch gut, damals war es sensationell.

ESP im Kopf regelt den Tatendrang

Sport treibt man auch selbst: Am filigranen Holzlenkrad mit dahinter steckender Servolenkung versucht man mit ausladenden Bewegungen das Kurshalten, verreißt jedoch den Wagen jedes Mal, wenn man die Kupplung tritt. Diese benötigt die Kraft eines Kickboxers. Auch das Bremspedal verlangt den entschlossenen, gut trainierten Fuß.

Das Fünfganggetriebe (von ZF) jedoch ist perfekt gestuft, und die Gänge wissen immer schon vorher, wo sie hingehören. Auch die Fahreigenschaften sind erstaunlich zivilisiert, obwohl man dem DB6 natürlich das Fehlen von mehr als drei Jahrzehnten Fahrwerksfortschritt anfühlt. Hinten stampft eine starre Achse an Schraubenfedern, die aber bereits zeitgenössisches Hightech kannte: Die hinteren Öldämpfer lassen sich an einem kleinen Drehknopf am Armaturenbrett härter oder weicher stellen.

Auf der Landstraße wirkt er mit seinen 1580 Kilo ziemlich schwerfällig, und angesichts von Kurven regelt das ESP im Hirn des Fahrers frühzeitig den Tatendrang, denn man weiß vorher nie so recht: Hat man die Kontrolle oder hat man sie nicht? Und für große Experimente ist er zu schade, schließlich ist dieses von uns gefahrene Vantage-Exemplar – es ist der allerletzte aller jemals gebauten DB6 – ebenso wertvoll wie ein nagelneuer DB9.

Technische Daten und Fazit

Zum Schluß noch zwei liebenswerte Details am DB6: Er besitzt zwei Tankeinfüllstutzen, links und rechts, obwohl er nur einen Tank hat. Sehr praktisch! Und da Motor und Getriebe ordentlich Hitze abstrahlen, und es im Fußraum extrem warm wird, spendierte man dem Wagen schlauerweise serienmäßig ein Fußraumgebläse.

Welchen wir bevorzugen? Natürlich alle beide. Den DB6 Mk.II Vantage an besonderen Feiertagen, damit das kapriziöse Gefährt dem Fahrer artig bestätigt, daß er seine Sinne und Reflexe noch gut beieinander hat. Den DB9 für jeden Tag. Denn er läßt sich genauso leicht ausführen wie ein Focus oder jede andere Cousine oder jeder Cousin aus der ganzen Ford-Familie. Nur eben etwas anders.

Technische Daten Aston Martin DB6 Sechszylinder-Reihenmotor, vorn längs eingebaut • zwei Ventile je Zylinder • Hubraum 3996 cm³ • Leistung 239 kW (325 PS bei 5500/min • max. Drehmoment 393 Nm bei 4500/min • Hinterradantrieb • manuelles Fünfganggetriebe • Einzelradaufhängung an doppelten Querlenkern vorn, Starrachse mit Schraubenfedern hinten • Scheibenbremsen rundum • Reifen 6.70 HR 15 • Länge/Breite/Höhe 4623/1676/1359 mm • Radstand 2584 mm • Leergewicht 1580 kg • Tankinhalt 86 l • 0-100 km/h in 6,2 Sekunden • Höchstgeschwindigkeit 238 km/h • Preis (1971) 55.000 Mark

Technische Daten Aston Martin DB9 V12, vorn längs • vier Ventile je Zylinder • Hubraum 5935 cm³ • Leistung 336 kW (457 PS) bei 5750/min • max. Drehmoment 570 Nm bei 5000/min • Hinterradantrieb • Sechsstufen "Touchtronic"-Automatik • rundum Einzelradaufhängung an doppelten Querlenkern • rundum belüftete Scheibenbremsen • Reifen 235/40 ZR 19 vorn, 275/35 ZR 19 hinten • Länge/Breite/Höhe 4710/1875/1270 mm • Radstand 2740 mm • Leergewicht 1875 kg • Tankinhalt 85 l • 0-100 km/h in 5,4 Sekunden • Höchstgeschwindigkeit 306 km/h • Preis 144.000 Euro