Nachdem Bentley im Continental bereits die Selbstfahrer von den Vorzügen des V8-Motors überzeugt hat und bei Coupé und Cabrio auf einen nennenswerten Anteil ohne Zwölfzylinder kommt, rüsten die Briten nun auch ihre Chauffeurslimousine Flying Spur ab. Wer das Pech hat, einem knauserigen oder umweltbewegten, in jedem Fall aber vernünftigen Millionär zu dienen oder für ein Unternehmen mit strengen Controllern zu fahren, der wird deshalb womöglich Abschied vom 6,0 Liter großen und 625 PS starken Zwölfzylinder nehmen müssen. Und wenn es ganz schlimm kommt, muss er sogar mit vier Töpfen auskommen. Denn auch in dem Luxusliner baut die vornehme VW-Tochter den V8-Block aus Ingolstadt ein, der bei Teillast die Hälfte seiner Flammen löscht.Wenigstens werden die Nachbarn nicht gleich auf plötzliche Armut schließen. Denn außer an der roten Plakette um das geflügelte B im Kühlergrill und an den nach Art einer liegenden Acht geformten Doppel-Endrohren kann man die Sparversion nicht vom Top-Modell unterscheiden. Überhaupt sind Sorgen um den Status beim V8-Modell genauso überflüssig wie um den Spaß: Weil die Organspende aus Ingolstadt erste Sahne ist, fällt der Verzicht vergleichsweise leicht. Schließlich büßt man in dem im Herbst 2014 auf den Markt kommenden V8-Bentley zwar je ein Drittel von Hubraum und Zylindern ein, schöpft aber bei vier Litern, 507 PS und 660 Nm noch immer aus dem Vollen.
Als hätte die Physik gerade Pause, wuchtet der V8 den stolzen 5,30 Meter langen und vor allem 2,4 Tonnen schweren Lulatsch in 5,2 Sekunden auf Tempo 100 und klingt dabei noch immer so, als laufe er nur mit Standgas. Wer den Lackschuh länger auf dem Pedal stehen lässt, der erlebt den Bentley als rasenden Riesen: Während die Fahrgäste im Fond etwas tiefer in die weichen Lederpolster sinken und der Champagner gefährlich in den Kristallkelchen schwappt, schaltet die Welt draußen vor den Fenstern in den schnellen Vorlauf, der Flying Spur scheint tatsächlich zu fliegen. Schub ohne Ende und ein standesgemäßer Antritt – so ähnlich muss sich der Pilot eines Jumbo-Jets fühlen, wenn er auf der Startbahn beschleunigt und dann dem Horizont entgegen jagt. So profane Limousinen wie eine Mercedes S-Klasse, einen BMW 7er oder einen Audi A8 jedenfalls lässt der Flying Spur locker hinter sich. Denn wo für die schon bei 250 Sachen Schluss ist, erreicht der flotte Bentley mühelos 295 km/h.

In Kurven nicht ganz so souverän

Dass sich die Gesetze der Physik aber doch nicht über Bord werfen lassen, merkt man spätestens in der ersten Kurve: Denn auch mit computergesteuerter Luftfederung, Sportprogramm und serienmäßigen Allradantrieb lassen sich die überschüssigen Zentner nicht wegschummeln. Während der Flying Spur auf der Autobahn mit fast gespenstischer Ruhe mehr schwebt als fährt und man ihn selbst bei über 200 km/h noch förmlich mit dem kleinen Finger führen kann, muss man auf der Landstraße doch ein wenig arbeiten, wenn der Luxusliner in engen Kurven gefährlich zum äußeren Fahrbahnrand drängt. Es gibt eben einen guten Grund, weshalb man Speere nicht um die Ecke werfen kann und weshalb man am besten Sportwagen nimmt, wenn man wirklich sportlich fahren will.
Aber dafür gibt es bei der Marke ja Autos wie den Continental und im Konzern auch etwas leichtere Coupés mit noch mehr Leistung. Die eigentlichen Qualitäten des Flying Spur liegen anderswo und haben mit dem Antrieb nur wenig zu tun: Luxus, Lack und Leder wohin das Auge reicht und eine Opulenz, wie man sie sonst allenfalls aus dem Yachtbau und aus orientalischen Hotels kennt, machen das Millionärs-Modell in den Augen der Briten zur besten Limousine der Welt. Dass der englische Auto-Adel eigentlich auf dem VW Phaeton fußt und damit höchst bürgerliche Wurzeln hat, merkt man nur noch an Details wie den wenig adretten Schaltpaddeln hinter dem Lenkrad und dem etwas antiquierten Navigationsgerät.
Vor diesem Hintergrund wird es kaum jemanden wundern, dass der Flying Spur auch mit acht Zylindern kein Auto zum Sparen ist. Zum einen, weil der Verbrauch gegenüber dem Zwölfzylinder zwar um 25 Prozent sinkt, aber schon auf dem Prüfstand noch immer bei 10,9 Litern liegt und in der Praxis schnell über 15, ja 20 Liter klettert. Und zum anderen, weil die Briten den Preis zwar um rund 20.000 Euro senken, aber für den Bentley-Spaß trotzdem noch 177.907 Euro ansetzen. Aber ums Sparen geht es der Kundschaft in Crewe ohnehin nicht. Sonst würde mittlerweile nicht das Gros der Bentleys "Bespoke“ ausgeliefert und für Summen individualisiert, für die man wahrscheinlich auch 16 oder 18 Zylinder bekommen und bis an sein Lebensende tanken könnte.

Von

Thomas Geiger