Wie ein Tarnkappenbomber zieht der glanzschwarze Brabus E V12 "One of Ten" die Blicke auf sich. Den mit Karbon verkleideten Hinterrädern gelten die meisten Zeigefinger und Kamerablitze – eine aerodynamische Maßnahme, um auf über 370 km/h beschleunigen zu können. Im täglichen Straßenverkehr muss der "One of Ten" allerdings nur einen Bruchteil seiner elektronisch auf 1100 begrenzten Newtonmeter bemühen, um sich uneinholbar davonzubeamen. Nur ein altehrwürdiger E 500 der Mercedes-Baureihe W124 hält heute überraschend locker mit. Eine intensive Begutachtung der Frontpartie weckt indes erste Zweifel: Lufteinlässe unterhalb der Scheinwerfer? Und wo sind die unteren Nebelleuchten geblieben? Eine Plakette mit 7.3-Gravur und der 330-km/h-Tacho steigern den Verdacht, der Blick auf den prall gefüllten Raum unter die Haube bringt Gewissheit: Ein waschechter Brabus E V12 7.3 S spielt den Verfolger. Produktionszahl: drei, vielleicht vier.

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Zweimal Brabus E V12
Der Brabus E V12 7.3 S (links) ist der damals erhältliche Leistungsgipfel. 772 Nm und 582 PS gilt es hier zu verdauen.
Anfang der 90er-Jahre gehört der pausbackige Benz bereits mit serienmäßigen 326 PS zu den etablierten Sportlimousinen, zusammen mit dem BMW M5, Audis S4 4.2 (später S6 Plus) und Exoten wie Alpina B10 Biturbo oder Lotus Omega. In Bottrop stillt man den Leistungshunger seiner Kundschaft zunächst mit Hubraumerweiterungen von fünf auf bis zu 6,5 Liter – macht maximal 450 PS. Mehr ist nicht zu holen, jedenfalls nicht aus acht Töpfen. Die zwölfzylindrige S-Klasse wird zu dieser Zeit durch Brabus von sechs auf 6,9 Liter aufgestockt. Da könnte man doch. Leichter gesagt als getan. Nebenaggregaterücken ist angesagt, soll das intern M120 genannte Triebwerk in die E-Klasse passen. Wer den Motorraum des V8 als vollgestopft empfindet, dürfte hier erst mal tief durchatmen. Der gesamte Vorderwagen wurde daher verstärkt, ebenso das Automatikgetriebe und die Hinterachse. 509 PS sind gut, die 530 der darauffolgenden 7.3-Version noch besser. Die Schlussstufe mit dem Buchstaben S bildet schließlich den Leistungsgipfel.
Zweimal Brabus E V12
Dem W124 fehlen die Nebelscheinwerfer. Daran erkennt man, dass er kein normaler E 500 ist.
772 Newtonmeter und 582 PS gilt es hier zu verdauen, generiert von speziellen Schmiedekolben, geänderten Zylinderköpfen, Sportnockenwellen, optimierter Elektronik und einer Sportauspuffanlage mit Metallkatalysatoren. Besonders große Öl- und Wasserkühler besänftigen die Mechanik – und bedingen die anfänglich bemerkten Besonderheiten, um auch das letzte Quäntchen Luft anzusaugen. Das funktioniert gut, wie die bei lauschigen 80 Grad verharrende Öltemperatur der Brabus-Tempamatic beweist. Diese zeigt sowohl Außenluft- als auch Schmiermitteltemperatur an und kündigt per grüner Leuchte den betriebswarmen V12 an, der nun leise und souverän vor sich hinsäuselt. Der Kraftzuwachs schmälert die Laufkultur keineswegs – der zeitgenössische Pressetext verspricht nicht zu viel. Im Stand noch steif, wird die Kugelumlauflenkung mit zunehmendem Tempo leichtgängiger. Direkt ist nach heutigen Maßstäben anders, doch die entspannte, richtungsstabile Auslegung trägt zum erhabenen Reisecharakter des alten Brabus bei.
Das tut auch die unaufgeregt agierende Vierstufenautomatik. Sie treibt den Motor auch bei forscherer Fahrweise nicht in Drehzahlexzesse; die Kraft liegt schließlich im riesigen Drehmomentreservoir, von der lang übersetzten Hinterachse passend portioniert. Natürlich interessiert uns brennend, wie es wohl mit der performanceorientierten kurzen Achse voranginge. Doch auch so imponiert das Erlebnis. Der getunte V12 ist enorm elastisch, läuft seidenweich, klingt bei höheren Drehzahlen wie ein mächtiger, fein manierlicher Reihensechser und düpiert auch heute noch gut im Futter stehende Sportwagen. Unter Volllast taucht der Wagen mächtig in die hinteren Federn und saugt mit langem Atem die Fahrbahn auf. Nur der Abrollkomfort ist steifbeinig und hölzern – auch weil der aktuelle Besitzer 20-Zöller anstelle des zeitgenössischen 18-Zoll-Radsatzes montierte, um eine riesige Movit-Bremse unterzubringen. Die eliminiert zwar nicht das modelltypisch schwammige Pedalgefühl, verzögert aber auch aus hohen Tempi wirkungsvoll.
Zweimal Brabus E V12
Vollgas aus dem Stand ruft beim aktuellen E V12 wild scharrende Hinterräder und einen wütend schnaubenden Motor auf den Plan.
Weitaus brachialer baut der "One of Ten" überschüssigen Schwung ab. 1100 dammbrechend drückende Newtonmeter und die nackte Gewalt von 800 PS geben einem immer wieder neuen Anlass, dieses auszuprobieren. Dem Zwölfender aus dem aktuellen Mercedes S 600 hilft der größte Mercedes-Tuner der Welt mit einer Hubraumvergrößerung per Spezialkurbelwelle und vergrößerter Zylinderbohrung, eigenen Kolben, besonderen Nockenwellen und gewachsenen Turboladern auf die Sprünge. Vollgas aus dem Stand ruft trotz Sperrdifferenzial wild scharrende Hinterräder, einen zornig schnaubenden Motor und die fieberhaft eingreifende Regelelektronik auf den Plan – Stützrad für Grobmotoriker. Da die Lader hauchfein ansprechen und auch die Gasannahme sehr nuanciert dosiert werden kann, lässt sich der aktuelle Brabus E V12 zahm und chauffeursgerecht durch die zäheste Rushhour steuern. Dann grummelt der überirdisch anschiebende V12-Biturbo satt bei 1000 Touren, bollert während der Rotlichtphase elitär aus seinen vier Endrohren.

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Das Vmax-taugliche Gewindefahrwerk schluckt bereitwillig Schläge, federt geschmeidig, klammert sich aber trotzdem beruhigend fest an den Asphalt auf der atemberaubend kurzen Reise Richtung Tempo 300 und darüber. Mittels der sehr homogenen, präzisen und direkten Lenkung fühlt sich das Dickschiff auch abseits seines Lieblingsreviers Autobahn wohl und verknüpft winklige Straßenverläufe weitaus flüssiger als sein Vorgänger – was aber auch wenig überrascht. So rollen die Verwandten weiter, der Neue im Rampenlicht, sein Vorfahre inkognito. Sie ziehen den unauffälligen Auftritt vor? Nun, Brabus-typisch gibt es auch vom aktuellen Modell eine zivilere Version ohne hintere Radhausverkleidungen – und schmalen 750 PS.

Fazit

von

Frank Wiesmann
Mit dem ersten E V12 verrückte Brabus einst die Grenzen des bei Limousinen technisch Mach- und Vorstellbaren. Die gegenwärtige Ausbaustufe führt diese Tradition fort. Das nahezu unerschöpfliche Drehmoment stellt nachhaltig zufrieden - wie ein endloser Schokovorrat.

Von

Frank Wiesmann