Carsharing soll die Zukunft sein. Weil private Autos fast den ganzen Tag stehen und nicht fahren, sollen sich immer mehr Menschen ein Auto teilen. Aber wie sehen Fahrzeuge aus, die benutzt, aber selten gepflegt werden? In der AUTO BILD-Stichprobe fanden wir Dreck, Abfall, abgelaufenen TÜV – und abgefahrene Reifen.
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Diese Geschichte beginnt auf der A 9 vom Flughafen München in Fahrtrichtung Norden, als bei 80 Sachen das Lenkrad flattert. Das Auto wird nervös, als wolle es sagen: "Lass uns in der Stadt bleiben und mit 50 um die Häuser ziehen." Nun also Autobahn, unser schwarzer VW ID.3 erweckt den Eindruck eines in die Jahre gekommenen Gebrauchsautos.
Carsharing
Verkrustet! Wenn Laub langsam vor sich hin kompostiert, wird es langsam zu Muttererde. So wie hier unter der Kofferraumklappe eines Sharing-ID.3.
Bild: AUTO BILD/Andreas May
Lenkung sowie vermutlich auch Vorderachsgelenke und Reifen von zahlreichen Bordstein-Remplern malträtiert, Hartplastik im Kofferraum sichtlich zerkratzt, weil da vermutlich öfter Kinderkarren reingelegt wurden. Fußmatten vorn verschmutzt, drunter auch, Laub in den Blechfalzen der Kofferraumklappe kompostiert zu Erde. 
Als die Augen braune Flecken auf hellem Fahrersitz-Polster erspähen, schicke ich spontan ein Stoßgebet gen Himmel: "Lieber Gott, bitte lass es Schoki sein!"

Ein Euro Startgebühr, 98 Cent pro Kilometer

Unser ID.3 vom Münchner Airport. Es ist eines dieser Carsharing-Autos. In diesem Fall von Miles Mobility, gegründet 2016, aktiv in acht Städten, eine Million Nutzer, 13.000 Fahrzeuge in der Größe S (VW Polo, ID.3), M (Audi A4), "Premium" (Tesla Model 3) und L wie VW Crafter oder Mercedes Sprinter
Die Autos stehen an definierten Stellen im Stadtgebiet, werden übers Smartphone angemietet und aufgeschlossen, gefahren, wieder irgendwo abgestellt. Zum Schluss geht die ganze Sache rückwärts: Auto übers Handy verriegeln, Miete beenden, Rechnung kommt ein paar Sekunden später. Klappt prima und zu überschaubaren Kursen: Ein ID.3 kostet einen Euro Startgebühr und 98 Cent pro Kilometer, andere rechnen nach Zeit ab, Parken und Tanken jeweils inklusive.

3,4 Millionen Carsharing-Nutzer und 30.200 Fahrzeuge

Der Bundesverband Carsharing meldete im vergangenen Jahr fast 3,4 Millionen Fahrberechtigte und 30.200 Fahrzeuge. Aber wie sehen die Autos aus, wenn nach Rückgabe keiner auf Dreck, Kratzer und irgendwelche Schäden guckt? 
Für unsere Stichprobe in Hamburg reicht die kleine Gassi-Runde, also einmal um den Block. Wir befinden uns im Stadtteil Ottensen, viele fünfstöckige Altbauten und wenig Parkplätze, die engen Straßen teilen sich Autos und Fahrräder. Bei den Bezirkswahlen 2019 haben die Grünen 45,4 Prozent geholt. 
Carsharing
Ein Platz nur für Carsharing-Autos: Wie hier am Bahnhof Hamburg-Altona parken Fahrzeuge zum Teilen im öffentlichen Raum, können später einfach fast überall in der Stadt abgestellt werden.
Bild: AUTO BILD/Andreas May

Jetzt ist Ottensen eines ihrer Labore für die "Mobilitätswende", private Autos sollen weniger werden, Carsharing-Autos mehr. Dafür haben sie sogar öffentliche Parkplätze in Parkraum nur für Ausleih-Autos umgewandelt, da dürfen dann nur Fahrzeuge von Sixt Share, Miles, Share Now oder Cambio stehen. Wer unberechtigt seinen Wagen abstellt, zahlt 20 Euro Strafe am Tag. 
So wollen sie ihre Ideologie vom automobilen Bullerbü in der Großstadt umsetzen, Motto: Autos raus! "Über 95 Prozent steht ein privater Pkw ungenutzt im Straßenraum. Ein Miles-Auto wird täglich von mehreren Kunden genutzt und ist 30 Prozent des Tages in Bewegung", schreibt Nora Goette, Sprecherin des Berliner Start-ups.

Abgefahrene Reifen auf einem Elektro-Auto

Gucken wir also mal auf einer dieser nur für Sharing-Autos ausgewiesenen Flächen. Da steht fast das gesamte Portfolio: ID.3, A4, Tesla Model 3, Peugeot 308, BMW i3, auf dem noch das "Drive Now"-Logo von BMW prangt. Das ist schon ein alter Hut in der Carsharing-Szene, 2019 haben sich BMW und Mercedes ("car2go") zur neuen Firma "Share Now" zusammengetan, im vergangenen Jahr an den Stellantis-Konzern (Citroën, Peugeot, Opel, Fiat) verkauft. 
Wie alt dieser Hut ist, sehen wir an den Hinterreifen des i3. Sie sind derart runter, dass wir vom Euro fast den kompletten Goldrand erkennen, als wir ihn in eine Rille stecken. Abgefahrene Reifen auf einem E-Auto mit reichlich Drehmoment auf der Hinterachse – und das in der Regen-Hauptstadt Hamburg. Auweia! Zufällig treffen wir einen Share-Now-Mitarbeiter, der gerade Autos inspiziert, sagen: "Damit können Sie keinen mehr losschicken, das ist gefährlich!"
Carsharing
Gefährlich! Ein Sharing-Auto mit abgefahrenen Reifen fahren – ausgerechnet in der Regen-Hauptstadt Hamburg. Der BMW i3 ist ein Hecktriebler – hier mit glatten Gummis hinten.
Bild: AUTO BILD/Andreas May

Nachfrage bei Share Now. Sprecher Patrick Dillenberger: "Das Auto kam gerade aus einer Langzeitmiete zurück, die Reifen wurden am nächsten Tag ersetzt. Unsere Fahrzeuge werden in regelmäßigen Abständen sowie bei allen Tank- und Reinigungsvorgängen auf ihre Verkehrssicherheit und Funktionalität geprüft. Zusätzlich werden alle Verschleißteile, u. a. Bremsen und Reifen, regelmäßig geprüft und vor der totalen Verschleißgrenze erneuert."

TÜV beim Sharing-ID.3 einen Monat abgelaufen

Gucken wir weiter. Den grauen ID.3 von Miles öffnen wir mit dem Handy, um zu sehen, ob der Pflegezustand ähnlich ist wie beim schwarzen vom Flughafen München. Ergebnis: Der helle Fahrersitz hat keine braunen Flecken, dafür muss auf dem Beifahrersitz mal irgendwas ausgelaufen sein. Jedenfalls sehen wir dort eklige Ränder. Kofferraum ohne Hutablage, dafür mit Kratzern auf dem Plastik, Fußmatten auch hier verschmutzt. 
Gleiches Bild ein paar Straßen weiter. In der Haupteinkaufsstraße von Ottensen sehen wir einen weißen ID.3, TÜV im Januar abgelaufen, jetzt ist Februar. Undefinierbarer Fleck auf dem Beifahrersitz, benutztes Taschentuch hinterm Fahrersitz, Fußmatten verdreckt. 
Geht doch noch, denke ich mir. Mein Kollege Roland Wildberg hat für bild.de mal einen professionellen "Car Cleaner" getroffen, der Sharing-Autos reinigt; er sagte: "Ich finde hier alles, was ein Mensch liegen lassen kann." Dazu gehörten benutzte Kondome, Tampons, Gebisse. Auch Handys, Einkäufe, einen Weihnachtsbaum ließen Kunden liegen. Was ist da schon ein benutztes Tempo?
Carsharing
Schmutzig! Was ist bloß mit dem Beifahrersitz passiert? Na, hoffentlich ist da keiner ausgelaufen. Der Umgang mit Sharing-Autos zeugt leider oft von respektlosem Umgang.
Bild: AUTO BILD/Andreas May
Zum Thema Reinigen und Sauberkeit schreibt uns Nina Goette von Miles: "Unser Reinigungszyklus wird von einem Algorithmus gesteuert, der verschiedene Faktoren berücksichtigt, darunter beispielsweise die Anzahl der Anmietvorgänge, zurückgelegte Distanz, der Zeitpunkt der letzten Reinigung, Meldungen, Bewertungen und die Jahreszeit."

Motto vieler Nutzer: Mir doch egal! 

Dass Autos schmutzig oder mit nervöser Lenkung weiter in die Vermietung gehen, liegt auch an den Nutzern. Die werden nach jeder Fahrt zu ihrer Zufriedenheit befragt, müssten nur einmal ihre Erlebnisse beschreiben. Aber viele denken sich wohl: Mir doch egal! Hauptsache, angekommen, um den Rest soll sich gefälligst mein Nachfolger kümmern.
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Falsch geparkt! Der Transporter steht im Halteverbot, und weil der Lkw nicht auf die Baustelle fahren kann, ist der Abschlepper unterwegs. Dann ist auch noch die Scheibe unten, und es regnet.
Bild: AUTO BILD/Andreas May

Mir doch egal! Dachte sich womöglich auch der Nutzer eines VW Crafter im absoluten Halteverbot. Der Transporter "parkt" einen halben Meter neben dem Kantstein, ist komplett verbeult, das Fenster rechts ist offen, es regnet. Viel schlimmer: Gegenüber vom Crafter bauen sie gerade einen Spielplatz um, jetzt steht seit 30 Minuten ein Muldenkipper auf der Kreuzung und kann nicht abladen. 
Mmh, denke ich: Auto schnell über die Miles-App mieten und umparken? Kostet vielleicht vier Euro, und die Arbeiter könnten weitermachen. Aber erstens findest du mit so einem Trumm hier mittendrin keinen Parkplatz. Und zweitens kann so eine Abschlepp-Rechnung ja auch einen Lerneffekt haben …
Eine Frage bleibt. Was wird aus den Autos, wenn die Nutzer damit fertig sind? Miles schreibt: "Sie werden weiter verkauft oder gehen zurück an den Leasing-Anbieter." Und Share Now: "Am Ende ihrer Sharing-Karriere gehen die Fahrzeuge zurück zum Leasing-Partner und werden dort vermarktet."
Ob Sie so ein Auto kaufen sollten? Am besten, Sie lesen sich den Text noch mal genau durch.