Aktuell gibt es in Europa genau eine Corvette C8 Z06, und die ist quietschgelb. AUTO BILD SPORTSCARS durfte exklusiv schon mal ran – und mitfahren!
Bild: Lena Willgalis
Es ist einer dieser Anrufe, von denen du als Motorjournalist träumst: Die neue Z06, frisch vom Schiff; "komm zum Lausitzring, kannste mal anschauen", sagt Corvette-Allzweckwaffe Patrick Herrmann. Er ist nicht nur Ansprechpartner für uns Schreiberlinge, er macht das US-Urgestein auch fit für Europa.
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F-Z 6071 ist die erste Z06, die überhaupt mit dem Schiff vom US-Werk in Bowling Green (Kentucky) nach Europa geschickt wurde. Mit ihr spult Herrmann Qualitätsfahrten ab. Viele Tausend Kilometer, um zu testen, dass auch alles den hiesigen Ansprüchen genügt.
Kofferraum unverändert, selbst das Dachteil ist nach wie vor abnehmbar: Trotz Renn-Genen ist die Corvette C8 Z06 voll alltagstauglich.
Bild: Lena Willgalis
Diese Z06 ist das erste Serienauto nach EU-Spezifikation. Das erkennt man vor allem an der Abgasanlage, die beim US-Modell in vier zentralen Endrohren mündet und einen markerschütternden Lärm in die Umwelt entlässt.
Und genau hier liegt das Problem: Was unsereins als schön empfindet, definiert der gemeine Paragrafenreiter als störend. Daher musste für den Markt in der alten Welt eine konventionellere Abgasanlage her und natürlich auch ein Ottopartikelfilter eingebaut werden. Den Ami interessiert das alles nicht.
Für die Z06 hat Chevrolet einen modernen 5,5-Liter entwickelt
Das soll uns aber nur am Rande beschäftigen. Denn zum einen geht es bei der Z06 vor allem um die Performance; andererseits klingt sie auch in dieser Konfiguration noch so was von brachial, den Kaltstart in der Lausitz-Box hat man wahrscheinlich selbst im nahegelegenen Dresden noch gehört.
Quell der Freude: moderne Motorentechnik. Man mag es kaum glauben, aber Corvette hat der Z06 einen brandneuen 5,5-Liter verpasst, der mit zwei obenliegenden Nockenwellen pro Zylinderbank und 32 Ventilen mit einer uralten Corvette-Tradition bricht. Bislang setzten nämlich alle Corvette-V8 auf eine untenliegende Zentralnockenwelle und Ventiltrieb über klassische Stoßstangen und Kipphebel.
Hier saß bislang der motorische Anachronismus LT2. Jetzt: 5,5-Liter-Vierventiler mit obenliegenden Nockenwellen.
Bild: Lena Willgalis
Alle? Nein, ein kleines angelsächsisches Dorf leistete Ende der 80er erbitterten Widerstand. Das Dorf heißt Hethel und ist die Heimat des Leichtbauspezialisten Lotus – damals im Besitz von General Motors. Hier entwickelte man für die C4 ZR1 den sagenumwobenen LT5, aufgebaut nach gleichem Strickmuster wie der LT6 in der heutigen C8 Z06. Die Neue tritt also ein gewaltiges Erbe an – bleibt dem Urahn jedoch insofern treu, dass auch sie auf Aufladung verzichtet.
Alu-Block und Flatplane-Kurbelwelle – der LT6 stammt aus dem Rennsport
Und es wird noch besser: Der LT6 hat einen Flatplane-Kurbelwelle, wie man sie aus dem Motorsport oder auch von Ferrari, AMG GT Black Series und Co kennt. Das liegt schlicht daran, dass der Motor aus dem Rennsport stammt. Genauer gesagt von der C8.R, die in den vergangenen beiden Jahren vom reinen Speed her das schnellste GTE-Pro-Auto in Le Mans war. Nicht die schlechtesten Gene also.
Der Block selbst besteht komplett aus Aluminium, die Schmiedekolben ebenfalls, eine Trockensumpfschmierung sorgt auch bei enormen Fliehkräften für Öl an allen wichtigen Bereichen. Das resultiert in einem Drehzahllimit von – halten Sie sich fest – 8600 Touren.
Auch fahrwerksseitig hat das vorläufige Topmodell (zu einer möglichen ZR1 hüllt man sich noch in vielsagendes Schweigen) nicht mehr viel mit der Basis zu tun: Die Spur wurde breiter, das grundlegende Setting straffer, die Felgen größer – 20 Zoll an der Front, 21 Zoll hinten. Allein die Federn sind um 35 Prozent steifer als beim Standardmodell.
Verschärftes Fahrwerkspaket verpasst der Corvette einen riesigen Heckflügel
Das zieht ein Problem nach sich: Beim Ausfedern hätte die Dämpfereinheit zu viel Zugweg für das Ausdehnungspotenzial der Feder. Dafür verbaut Corvette sogenannte Helperfedern, die dem Konstrukt eine stete Grundspannung verleihen. Kennen wir auch von Porsche ab dem 911 GTS.
Der mächtige Flügel ist Teil des Z07-Performance-Pakets. Flics und Splitter sind ebenfalls aus Kohlefaser.
Bild: Lena Willgalis
Das optionale, aber an unserem Testwagen verbaute Z07-Paket hat ein nochmals verschärftes Fahrwerkssetting (Ordercode: FE7) mit spezifischer Abstimmung für das MagneRide-Adaptivfahrwerk. Ebenfalls im Paket: das Kohlefaser-Aero-Kit mit Frontsplitter, Flicks und dem riesigen Heckflügel, der leider nicht in der Neigung verstellbar ist.
Dazu kommen Keramik-Verbundbremsen mit 399 Millimeter Durchmesser vorn und 391 mm hinten sowie klebrige Michelin Cup 2 R in 345er-Breite an der Hinterachse. Natürlich speziell auf die Bedürfnisse der Z06 angemixt.
Cup-2-R-Pellen, Kohlefaserfelgen, Keramikbremsanlage vom italienischen Spezialisten Brembo – mehr geht aktuell im Bereich der ungefederten Massen nicht.
Bild: Lena Willgalis
Optional lassen sich die Cup 2 R sogar auf Vollcarbon-Felgen des australischen Herstellers Carbon Revolution spannen. Dieser stellt auch die Kohlefaser-Rundlinge für Ferrari oder den Renault Megane R.S. Trophy R her. Allein diese sparen 18,6 Kilogramm gegenüber den konventionellen Felgen ein.
Trotz des kompromisslosen Konzepts federt die Z06 Unebenheiten sauber ab
Aber jetzt genug über die Theorie gequatscht – auf in die Praxis. Na ja, zumindest vom Beifahrersitz aus. Für die Kurvenbilder schwinge ich mich durch die rechte Pforte. Auf einen Knopfdruck erwacht der 5,5 Liter zum Leben. Innen klingt das Ganze noch einen Tick sonorer als von außen. Wir cruisen aus der Boxengasse, selbst die Querfugen und Abflussrillen hier am Lausitzring federt die Z06 im Standardmodus relativ sauber weg. Überraschend, bei dieser kompromisslosen Auslegung.
Es dauert seine Zeit, bis der kompromisslose Michelin Cup 2 R sein volles Haftpotenzial entfaltet. Doch wenn er einmal auf Temperatur ist, sind die Kurventempi beeindruckend.
Bild: Lena Willgalis
Wir bleiben erst mal im Normalmodus, denn auf den Bildern soll sich ja was im Fahrwerk tun. Der limitierende Faktor sind anfangs ohnehin die Reifen, denn ist der Cup 2 R nicht auf Temperatur, fährt es sich wie auf rohen Eiern. Erst nach einiger Zeit kommt Leben in die Bude. Und das ist sofort spürbar: Die Kurventempi werden höher, die Sitzwangen drücken tiefer in die Rippen, und das Grinsen auf Patricks Gesicht wird immer breiter.
Bei mir schleicht sich ein unstillbares Verlangen nach einem Fahrerwechsel ein, doch nicht mal die paar Meter zurück in die Box darf ich hinter das Steuer – Firmenvorschrift. Das verstehen wir natürlich, wir wollen ja nicht, dass jemand Ärger bekommt.
Beim Launch-Control-Start merkt man, wie sich der Reifen in den Asphalt verbeißt
Aber jetzt, da die klebrigen Rundlinge mal warm sind, schaltet Patrick auf "scharf", knallt die Launch Control rein und schnalzt uns vehement in Richtung Start-Ziel-Gerade. 2,6 Sekunden gibt Corvette auf 60 Meilen (96 km/h) an.
Was das EU-Auto schließlich leisten und verbrauchen wird, muss erst noch homologiert werden. Eine fixe Runde später ist schon mal klar: Gefühlt kann sich unser Messgerät auf richtig tiefe Zeiten gefasst machen.
Mit der Z06 und dem neu entwickelten 5,5-Liter holt Chevrolet die Corvette endgültig in die Moderne hinüber. Mit dem Basismodell hat diese Vette kaum noch etwas zu tun. "Rennwagen für die Straße" trifft es gut.