Es dauert eine gute halbe Stunde, bis der VW ID.3 mit seiner zersplitterten Frontscheibe und seinen zerfledderten Airbags zu einem kompakten Paket verschnürt ist. Ein gut vier Tonnen schweres Paket, das, mit rund 2000 Liter Wasser befüllt, nun von einem Kran auf einen Abschlepper gehievt wird. Nicht auf einer Autobahn oder Bundesstraße, sondern auf einem Übungsplatz im niedersächsischen Meppen.
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Vorgeführt wird hier ein neues Produkt zur Bergung verunfallter Elektroautos: E-Vehicle Isolation System (kurz: EIS) heißt die Lösung mit dem beschichteten PVC-Sack. EIS auch wegen der kühlenden Wirkung. Denn es ist eine Lösung für ein ebenso schwieriges wie brandgefährliches Problem. (Von welchem Antrieb geht die größte Brandgefahr aus?)
E-Auto Brand Löschdecke
Lösung Löschdecke: Sie ist extrem hitzebeständig (1000 bis 1300 Grad). Brennende E-Autos können abgedeckt und die Flammen erstickt werden.
Bild: ADAC

Statistisch brennen Autos mit Verbrennungsmotor zwar rund 60-mal häufiger als E-Autos – wenn aber ein Fahrzeug mit Hochvolttechnik an Bord abfackelt, hat das ganz andere Konsequenzen. Die schlimmste wird "thermal runaway" genannt: Das "thermische Durchgehen" ist eine unaufhaltsame Kettenreaktion in den Akkus, wodurch in Bruchteilen von Sekunden die in der Batterie gespeicherte Energie freigesetzt wird.
"Ab 70 Grad kann man das Ding nicht mehr stoppen", erklärt Marco Pannhausen, Vertriebsleiter der Firma Vetter, die den EIS-Bergungssack in dreieinhalb Jahren entwickelte. "Dann", so Pannhausen, "steigen die Temperaturen blitzartig bis auf 1300 Grad."

Ein E-Auto kann tagelang weiterlodern

Gründe für das thermische Durchgehen gibt es einige: falsche Ströme beim Ladevorgang, mechanische Beschädigungen von außen (etwa Unfallschäden) oder ein interner Kurzschluss aufgrund eines Produktionsfehlers.
E-Auto nach Brand Bergung
So wird eingesackt: Mit Spreizern wird der Wagen angehoben, die Plane ausgebreitet.
Bild: Harald Almonat / AUTO BILD

Doch es gibt da noch ein ganz anderes Problem: Während klassische Autos relativ schnell ausbrennen, kann ein E-Auto tagelang weiterlodern. Oder die Explosion findet erst verspätet statt. Oder das Feuer kommt immer wieder. Das kann bis zu zwei Wochen so gehen.
Hersteller machen unterschiedlichste Angaben, wie mit einem gecrashten Elektroauto umgegangen werden muss. Jaguar etwa gibt vor, dass um ein abgestelltes Auto herum im Radius von 15 Metern kein anderes Objekt stehen darf. Und das bis zu 14 Tage lang.
E-Auto nach Brand Bergung
Die Plane wird seitlich hochgezogen und mit Spanngurten über dem Dach fixiert.
Bild: Harald Almonat / AUTO BILD

Einige Abschleppunternehmen, berichtet Ralph Janssen, der als Ausbilder in der Lukas Rescue League Feuerwehrleute auch im Umgang mit der Bergung von E-Autos schult, würden sich deshalb weigern, Elektroautos aufzuladen – sie könnten während des Abtransports ja Feuer fangen.

Wasserbefüllte Container sehr teuer

Lösungen für das brennende Problem gibt es schon. So werden Autos in mit Wasser gefüllte Container getaucht und dort so lange gelagert, bis die Brandgefahr vorbei ist. Nachteile: Das System ist sehr teuer (rund 70.000 Euro) und benötigt viel Wasser (bis zu 10.000 Liter).
E-Auto nach Brand Bergung
Der Sack wird mit Wasser befüllt ...
Bild: Harald Almonat / AUTO BILD

Oder Löschdorne können durch das Batteriegehäuse getrieben werden, um den Akku mit (vergleichsweise wenig) Wasser zu fluten. Und inzwischen wird mit einer extrem hitzebeständigen Löschdecke versucht, die Brandentwicklung bei E-Autos zu verzögern, um den Rettern und der Feuerwehr mehr Handlungsspielraum zu ermöglichen.
Zurück nach Meppen, wo zwei geschulte Feuerwehrmänner den ID.3 wie ein Weihnachtsgeschenk verpacken. Das Ziel von 20 Minuten, das Pannhausen vorgibt, wurde nur von vier Rettern erreicht. Zu aufwendig ist das Ausrichten und Anheben des Autos, das Fixieren an 28 Ösen mit Spanngurten und schließlich das Fluten mit den 2000 Liter Wasser bis zur Oberkante der Akkus.
E-Auto nach Brand Bergung
... und dann per Kran auf den Abschlepper gehoben.
Bild: Harald Almonat / AUTO BILD

Bei einem Plug-in-Hybrid mit höher eingebauter Batterie ist noch mehr Wasser nötig. Und das ist möglicherweise hinterher verseucht, falls Elektrolyt aus dem Akku austritt und mit dem Wasser reagiert. Dann kann Flusssäure entstehen.
"Wichtig ist eine enge Konturanpassung", erklärt Marco Pannhausen den Beobachtern. Was er meint: Das Paket muss so fest wie möglich geschnürt werden. Auch das kostet Zeit.

EIS-Sack mit Schwächen

Der EIS-Sack hat aber noch weitere Schwächen. Obwohl die Vorführplane bereits mehrfach verwendet wurde, ist der 6000 Euro teure Sack bei einem echten Einsatz ein Einwegprodukt. Er muss nach dem Benutzen als Sondermüll entsorgt werden. Vetter, der Hersteller von Rettungsprodukten, arbeitet an einer Lösung zum Reinigen und Wiederverwerten des Sacks.
Doch nicht für jedes Fahrzeug ist EIS geeignet: E-Transporter sind deutlich zu groß für die 500-mal-250-Zentimeter-Sackplane. Dafür könne das E-Auto im gefluteten Sack ohne Abstand zu anderen Objekten gelagert werden, beschreibt der Verkaufsleiter einen Vorteil seines Produkts. Als potenzielle Kunden nennt er Feuerwehren und Abschleppfirmen.
Offen ist die Frage, wer für das Einsacken des E-Autos zahlt. In Meppen anwesende Versicherer zeigten sich noch zurückhaltend.
Hauke Schrieber

Kommentar

Die Zahl der Autos mit Hochvoltakkus an Bord wird auf unseren Straßen rasant zunehmen. Und
damit auch die Anzahl der Unfälle, in die sie verwickelt sind. Nur wenn Kunden das Gefühl haben, dass sie nach einem Crash nicht gefährdeter sind als in einem Auto mit Benziner oder Diesel, bekommen auch Zweifler das Vertrauen in die E-Mobilität. Gut, dass Firmen jetzt Ideen entwickeln. Die ultimative Lösung ist aber noch nicht dabei.